Schulpsychologie -. Jürgen Mietz

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Schulpsychologie - - Jürgen Mietz

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      Schule ist diesen Individualisierungsbedürfnissen und -notwendigkeiten nicht gewachsen. Mit ihrer Organisationsform und ihrem Selbstverständnis entspricht sie entgegengesetzten Interessen: Sie entspringen dem Interesse bürgerlicher und bestimmter adliger Schichten des ausgehenden 18. Jahrhunderts an staatlicher Machtdurchsetzung gegen die die Willkür, Chaotik und "Provinzialität" feudaler Souveräne. So sehr das ein historischer Fortschritt für die Anerkennung des Individuums als allgemeines Prinzip war, so gehört(e) zum Vermächtnis der Aufklärung und der Moderne die Vorstellung der Planbarkeit technischer und menschlich-sozialer Prozesse. Gärtnerisch inspirierte Züchtungsvorstellungen spielten und spielen noch heute eine große Rolle in schulischen Selbstverständnissen.

      Was sich in den Schriften der Aufklärung wie eine Hymne an das Individuum liest, ist oft nichts anderes als der Versuch, den Menschen, wie eine Maschine zu mechanisieren (oder wie eine Pflanze zu züchten) und verfügbar zu machen. Dieses auch der Schule zugrundeliegende Entwicklungsmodell kann dem Bedürfnis nach Individualisierung, wie auch der Notwendigkeit der Individualisierung nicht gerecht werden.

      Verführerisch erscheinen Gesetze, Richtlinien, Lehrpläne. Es ist alles darin, was sich das Lehrer- und Demokratenherz wünscht: Mündigkeit, Achtung der Menschenwürde und der Natur, Persönlichkeitsentwicklung und noch vieles mehr. Offenbar wird all das für planbar durch Dienstordnungen, Curricula, Methodik und Didaktik gehalten. Diese Konzeptionen sind Ausdruck des Vertrauens in Regelbarkeit durch übergeordnete Instanzen, wie auch Ausdruck des Mißtrauens in die sich einer Kontrolle entziehenden Individuen.

      Die hehren Ziele ernsthaft erreichen zu wollen, erforderte ein Ernstnehmen des Subjekts, Anerkennung seiner Eigenwilligkeit und Absage an seine Planbarkeit. Tatsächlich haben wir es in der staatlichen Schulpädagogik (und in weiten Teilen der Gesellschaft!) mit einem anthropologischen Pessimismus und pädagogischen Optimismus zu tun - eine Spaltung, die zahlreiche Paradoxien erzeugt (Wie wird der schlechte Mensch durch Erziehung zu einem Guten?).

      Viel erziehungswissenschaftlicher und psychologischer Schweiß ist darauf verwendet worden, den Zwiespalt zwischen staatlichen Interessen an Macht und Ordnung einerseits - Schule ist dazu ein Mittel - und subjektiven (Lern-) Interessen der Individuen andererseits aufzulösen. Die Legitimierung des Schulwesens als im Interesse der Lernenden liegend ist dennoch nie gelungen.

      Wie sollte die Schule auch ein Ort der Persönlichkeitsentwicklung, Bildung und Vervollkommnung sein, wenn ich "zur Not" mit Zwang dahin gebracht werden kann? Wie kann sich Humanität und Gerechtigkeit entwickeln bzw. welche Vorstellungen entwickeln sich davon in einem System, in dem Persönlichkeit und Beurteilung meiner Kompetenz sich in einer Notenskala von 1 bis 6, mit Zehntel-Noten "Genauigkeit" zusammenfassen lassen; ganz zu schweigen von den logisch-statistischen Irrationalitäten des Benotungssystems? Stattdessen entwickelt sich ein Wissen über den Doppelcharakter des Systems, über seine Unausweichlichkeit, über die Abhängigkeit von ihm und wie man sich auf es einrichtet.

      Die für die frühe Industrieproduktion und Bürokratie entindividualisierten, austauschbaren Menschen sind nicht kreativ und übernehmen keine Verantwortung für das, was sie treiben und herstellen. Sie werden unproduktiv, krank, lerngestört etc. Das gilt für Wirtschaft und Schule. Zentralistische, mechanistische, undemokratische Formen des Entwickelns und Organisierens werden zu einem Destruktivitätsfaktor.

      Heute rückt der Zeitpunkt näher, zu dem es immer wichtiger wird, die individuellen EntwicklungsPotenziale für den einzelnen Menschen und für die Gesellschaft zu nutzen. Also kommt es darauf an, Individualität in Schule nicht zurückzuweisen, sie als Störung aufzufassen, sondern sie in ihrer Eigenart verstehbar zu machen und sie in Schule zu integrieren. Dazu braucht man eine Theorie der Persönlichkeit.

      2 Tendenz zu Individualisierung und Differenzierung

      Ein wesentliches Kennzeichen der Gegenwart und absehbaren Zukunft sind Differenzierungsprozesse. Es gibt ein allgemeines Streben nach Individualität. Was einheitlich und festgelegt war, nimmt unterschiedlichste Formen an: Lebensstile, Lebensziele, Berufsperspektiven variieren in einem breiten Spektrum und lassen sich immer weniger an bestimmte Schichten, Traditionen, Zeiträume, Rollenfestlegungen anbinden. Dieses festzustellen heißt nicht, die Schattenseiten, Deformierungen und Merkwürdigkeiten, wie die Form des Konsumierens, dieser Entwicklung zu übersehen.

      Sich selbst von anderen zu unterscheiden, auch über die Verbindung zu anderen (Bildung von Szenen) ist wichtiges Element individueller Selbstverständnisse und des Überlebens. Selbstverwirklichung ist ein zentrales Thema und eine dialektische Antwort auf Entindividualisierungsprozesse der Industriegesellschaften. Diese Bedürfnisse lassen sich nicht durch Moral oder Politik unterbinden. Die einseitige Verarbeitung dieser Entwicklung im Sinne einer Bedrohung kann selbst zu einer Gefahr werden; denn die Diskriminierung bestimmter Individualisierungs- und Identitätsbedürfnisse schaffen diese nicht aus der Welt. Abwehrhaltungen erschweren nur die Aussichten, die Prozesse der Individualisierung und Differenzierung zu gestalten. Dieses wiederum ist an persönliche "Qualifikationen" gebunden, die weiter unten erörtert werden sollen.

      Wenngleich widersprüchlich und nicht ungebrochen, so verstärken sich auch in den Bereichen der Betriebs- und Volkswirtschaft Tendenzen, die in der Individualisierung einen wesentlichen Schlüssel zu mehr Kreativität und Produktivität sehen. Der Mensch als Anhängsel der Maschine oder als ausführendes Organ einer höheren, unternehmerischen Weisheit hat zwar noch lange nicht ausgedient. Aber unter dem Eindruck wachsender Bedürfnisse nach mehr Individualität, Freiheit und Verantwortung muss dem Individuum mehr Rechnung getragen werden.

      3 Individualität als Basis für Erneuerung und Produktivität - ein Modell der Persönlichkeitsentwicklung

      3.1 Individualität braucht Geschichte und Generationenarbeit

      Diese Theorie nimmt sich nicht eine Störung, einen Defekt oder eine Krankheit zum Ausgangspunkt, sondern die "normale" Persönlichkeit: Woraus ist sie gemacht und zusammengesetzt? Welche speziellen Deutungsmuster und Handlungsorientierungen sind ihr eigen? Was macht ihre einzigartige Qualität aus? Wie ist Persönlichkeit verstehbar zu machen?

      Jeder Mensch - zumindest in unserer Kultur - baut auf den vielschichtigen Lebenserfahrungen von Vater und Mutter und den vorangehenden Generationen auf. (Auch im Falle der Adoption, Inpflegenahme, Heimerziehung spielen diese Kategorien für die Lebensgestaltung eine wesentliche Rolle). Jede nachfolgende Generation hat damit - im Prinzip - eine komplexere, reichhaltigere Lebenserfahrung zur Verfügung als die vorangehende.

      In der Familiengeschichte sind Erfahrungen von Arbeiterexistenz, bäuerlicher, unternehmerischer Existenz, Arbeitsteilung usw. versammelt; Erfahrungen vom Umgang mit Krisen und Konjunkturen, von Migration, Neuaufbau usw. Immer haben einzelne Personen in konkreten, sozialgeschichtlichen Situationen und Herausforderungen mit ihrer Persönlichkeit Leben und Überleben organisiert und dabei auf Vorerfahrungen zurückgegriffen, sie damit weiterentwickelt und wiederum nachfolgenden Generationen zur Verfügung gestellt.

      Selbstverständlich spielen dabei nicht nur die Erfahrungen und Handlungen eine Rolle, die unmittelbar der Existenzsicherung dienen, sondern auch solche kultureller Art (Arbeitsteilung von Mann und Frau, Geschlechterrolle, Religion, Kunst, Art der Geselligkeit, Freizeitgestaltung etc.). In diesen "versammelten Lebenserfahrungen", die sich in einer Person finden, sind die historisch-gesellschaftlichen Existenzbedingungen und die Besonderheiten des Lebens der Ursprungsfamilien enthalten (die subjektiven Aneignungsformen und die immer wieder "überarbeiteten" Ergebnisse der Auseinandersetzung mit der Umwelt).

      3.2 Objektives und verfügbares Potenzial

      Die in einer Person versammelten Lebenserfahrungen

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