Nesthäkchen im Kinderheim. Else Ury

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Nesthäkchen im Kinderheim - Else Ury

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– selig jauchzte es aus dem Bett. Die ernsten weißen Wände blickten ganz erstaunt drein. Oft kam es nicht vor, daß hier im Hause der Krankheit solch ein Jubel erschallte.

      War denn noch immer nicht morgen? Heute verging der kleinen Patientin die Zeit wieder schrecklich langsam.

      Und als der nächste Tag endlich herangekommen war, da hieß es für Fräulein Ungeduld immer noch warten. Kaum hatte Annemarie die Augen aufgemacht, rief sie auch schon: »Schwester Elfriede, bitte meine Strümpfe, heute darf ich aufstehen!«

      »Aber vorläufig doch noch nicht, mein Herz. Das erste und zweite Frühstück bekommst du noch im Bett. Gegen Mittag nehme ich dich dann ein Stündchen auf.«

      »Ich bin doch kein Baby mehr, das aufgenommen werden muß, ich ziehe mich schon seit zwei Jahren allein an. Und Vater hat gesagt, ich darf heute aufstehen«, ungezogen rief es die enttäuschte Annemarie.

      Aber bei Schwester Elfriede konnte man nie lange unartig sein. Die hatte dann eine so besondere Art, einen anzusehen, halb überlegen und halb erstaunt, daß solch ein großes Mädchen sich noch so ungehörig benehmen konnte. Obwohl Annemarie sich fest vorgenommen hatte, nun ihren Milchkaffee überhaupt nicht zu trinken, wenn sie ihn noch in dem »ollen Bett« bekam, mochte sie Schwester Elfriede, die so gut für sie sorgte, schließlich dann doch nicht ärgern.

      Dafür mußte die Schwester ihr versprechen, sie noch etwas länger als bloß ein Stündchen aufzulassen. Sie wollte doch nach dem langen Stilliegen wieder mal ordentlich herumspringen.

      »Ach, Annemiechen,« meinte die Schwester lächelnd, »mit dem Herumspringen wirst du dir wohl noch etwas Zeit lassen müssen. Wenn man so viele Wochen im Bette gelegen hat, ist das nicht so einfach.«

      Annemarie sah Schwester Elfriede verständnislos an.

      Herumspringen – das war doch das Einfachste von der Welt. Nun war's endlich so weit. Die Schwester hatte Annemaries Sachen auf den Stuhl ans Bett gelegt und ging noch einmal hinaus, eine warme Decke für sie zu holen.

      Hast du nicht gesehen, war der Wildfang aus dem Bett. Annemarie wollte Schwester Elfriede überraschen und ihr zeigen, daß ein zehnjähriges Mädchen kein Baby mehr war und sich ohne Hilfe ankleiden konnte.

      Aber was war denn das? Die Beine knickten ja förmlich unter ihr zusammen. Und als Annemarie jetzt nur einen kleinen Schritt machen wollte, da lag sie auch schon auf der Nase.

      Schwester Elfriede, die nach wenigen Sekunden wiederkehrte, fand ihre kleine Patientin weinend an der Erde. Erschreckt sprang sie herzu.

      »Um Himmelswillen, Annemariechen, bist du aus dem Bett gefallen?« sie spedierte das so leicht gewordene Dingelchen schnell wieder hinein.

      Annemarie weinte bitterlich. Sie konnte gar nicht sprechen vor Schluchzen.

      »Herzchen, hast du dich gestoßen, tut es dir irgendwo weh?« forschte die Pflegerin ängstlich.

      Da kam es endlich stoßweise heraus:

      »Ich – ich kann nicht mehr laufen. Ganz – ganz lahm bin ich durch die Krankheit geworden wie der – wie der alte Bettler mit der Harmonika im Tiergarten.«

      »Aber Annemiechen, wenn das dein einziger Kummer ist, dann kannst du deine Tränen ruhig trocknen. Du wirst bald wieder laufen und herumspringen können wie früher. Nur wird's noch ein Weilchen dauern. Habe ich dir das nicht gleich gesagt?«

      Ja, Schwester Elfriede hatte recht behalten. Auch damit, daß sie Annemarie wie ein Baby aufnehmen und anziehen mußte. Die Kleine war so schwach, daß sie nichts allein machen konnte. Das hatte sie im Bett gar nicht gemerkt. Zu guter Letzt wickelte sie Schwester Elfriede in die warme Decke und trug sie in den großen Sessel am Fenster mitten in die lachende Maisonne.

      Aber das sonst ebenfalls stets lachende Mädelchen schaute gar nicht vergnügt drein. Das hatte es sich eigentlich doch ganz anders vorgestellt, das Aufstehen. Es hatte geglaubt, daß es nun vollständig gesund wäre und gleich wieder herumlaufen könnte wie damals nach den Masern. Eigentlich – wenn Annemarie ehrlich war – hatte sie sich im Bett viel wohler gefühlt als im Lehnsessel.

      Als Doktor Braun kam, machte er: »Puh, Lotte, wie siehst du aus! So darf ich dich der Mutti nicht nach Hause bringen. Dich müssen wir erst wieder tüchtig herausfüttern. Aber ich denke, für heute ist es nun genug.«

      Und Annemarie, die sich vorgenommen hatte, den Vater recht sehr zu bitten, sie doch noch wenigstens über das Mittagbrot aufzulassen, machte gar keine Einwendungen. Ordentlich froh war sie, als sie wieder in ihrem Bette lag.

      Aber das blieb nicht so. Junge Kräfte kehren schneller zurück als alte; jeden Tag fühlte sich die kleine Genesende ein wenig frischer. Freilich mit dem Laufen wollte es noch immer nicht recht gehen. Wie ein ganz kleines Kind mußte sie es erst wieder lernen, ein Schrittchen nach dem andern, auf Schwester Elfriedes Arm gestützt.

      »Heute habe ich eine Überraschung für dich, meine Lotte,« sagte Doktor Braun an einem besonders warmen, wonnigen Maitage. »Du darfst ein bißchen in den Garten hinunter.«

      »Ja – wirklich?« Aber das glückselige Leuchten in den strahlenden Kinderaugen erlosch gleich wieder. »Ach nee – lieber nicht – ich hab' keine Lust.«

      »Nanu?« verwunderte sich der Vater, der aus seinem Nesthäkchen nicht klug wurde.

      »Ich kann ja doch nicht herumlaufen. Tragen lassen mag ich mich nicht von Schwester Elfriede, da schäme ich mich ja vor den andern, daß solch ein großes Mädchen noch auf den Arm genommen wird.« Höchst trübselig klang es.

      »Deshalb brauchst du dich nicht zu schämen, meine dumme Lotte. Den andern geht es nicht besser wie dir. Im Gegenteil, die möchten gewiß gern mit dir tauschen. Du hast allen Grund, dem lieben Gott dankbar zu sein, daß er dich wieder gesund gemacht hat,« sagte der Vater ernst.

      »Und dir, Vatichen,« das Töchterchen küßte zärtlich seine Hand, denn einen richtigen Kuß durfte sie ihm noch immer nicht geben.

      Annemarie wurde warm angezogen, »als ob es nach Sibirien geht,« lachte sie.

      Von Vater auf der einen Seite, und auf der anderen von Schwester Elfriede gestützt, schritt sie zum erstenmal aus ihrem Käfig. Draußen stand ein Stoßwagen, dort hinein wurde das kleine Fräulein gehoben und gut in Decken verpackt.

      »Wie Margots kleines Schwesterchen,« lachte Annemarie. Die Sache begann ihr Spaß zu machen.

      Der Wagen mit der kleinen Patientin wurde mit dem Fahrstuhl hinuntergeschafft, und nun war man endlich unten.

      Einen tiefen Atemzug tat Annemarie. Ach, war das schön auf der sonnigen Gotteswelt. Niemals war ihr das vorher je zum Bewußtsein gekommen. Wie einem gefangenen Vögelchen, dem man die Freiheit zurückgibt, war ihr zumute. Und dabei durfte sie doch ihre Schwingen noch immer nicht recht regen.

      Es war ein nicht allzu großer Garten, der zu der Klinik gehörte, wie man sie noch vereinzelt im alten Westen Berlins findet. Aber die in lichtem Frühlingsgrün prangenden Bäume lugten schwarze Schornsteine und rußige Dächer. Aber was schadete das! Drunten blühte der Flieder in roten, blauen und lila schwerduftenden Dolden. Die hängenden Zweige des Goldregens streiften liebkosend die bleichen Wangen der kleinen Genesenden. Und als Schwester Elfriede den Wagen jetzt an das große Stiefmütterchenbeet mitten in die Prallsonne schob, da glaubte die so lange ins Krankenzimmer gesperrte Annemarie

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