108 ...Antwort von X. Urs Wendel
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Sein Gesang rückte nach einiger Zeit in die Ferne und wurde immer leiser. Ich vernahm ihn nur noch leise und weit entfernt. Obwohl mein Körper bleiern war, behielt ich eine hohe innere Aufmerksamkeit, die mich vereinnahmte. Ich tauchte in einen tiefen Trancezustand ein, von dem ich absolut überwältigt wurde. Mein Zustand war unbeschreiblich. Ich glaubte mein Kopf hing, oder sei irgendwie verschoben und nicht am richtigen Platz. Mir viel auf, daß dieses eigenartige Gefühl am ganzen Körper wahrnehmbar war. Ich drehte mich, oder alles um mich herum drehte sich. Es war als ob ich tanzte. Anders ausgedrückt war es eher so, als wurde ich von etwas getanzt. Ich genoss einfach diesen Taumel und gab mich dem Ereignis voll hin.
Ich überschritt meinen physischen Grenzbereich. Durch die Tiefe der Trance war ich frei geworden. Wie lange dieser Zustand anhielt, weiß ich nicht. Ich fühlte mich wie entrückt.
Durch das Erleben und die Verwunderung war ich mit mir selbst und allen Dingen um mich glücklich. Irgendwann bemerkte ich, daß es in unserer Schwitzhütte ganz still geworden ist. Ich fühlte eine innere geistige Kraft in mir aufsteigen, die ich kaum in Worte kleiden kann.
Dieses Gefühl erfüllte mich total. Ich verschmolz mit dem Geschehen. Dabei wurde mir meine Verbundenheit mit der der Gesamtheit aller Dinge bewusst. Meinen Körper fühlte ich in dem Zustand kaum noch.
Von Max und Yvo vernahm ich nur noch leise Worte und sah farbige Nebelschwaden. Es war, als ob sie lebendig wären und durch die Schwitzhütte gleiten würden. Jetzt konnte ich Max´ Körper sehen. Er schien von innen heraus ein sanftes goldenes Licht zu verbreiten. Yvo verstrahlte ein ähnliches Licht. In meinen Augenwinkeln, es war, als ob ich fast rundherum sehen kann, wurde ich einer dritten Person gewahr. Dort saß ein dritter Bär. Er strahlte Zuversicht und Weisheit aus. Ich akzeptierte die Gegebenheiten einfach ohne nachdenken zu müssen. Mein Gefühl sagte mir, daß er ein Ahne von Max und Yvo ist. Als ich das vermutete nickte er mir lautlos und freundlich zu. Seine Aura umgab eine Güte und solch aufrichtige Herzlichkeit, daß ich mich richtig wohl fühlte.
„Mein Name ist Alberi und ich bin der geistige Vater von Max! Vielleicht kann Max dein geistiger Vater werden. Aus diesem Grund hat er dich zu mir gebracht.“
Alberi unterbrach seine Worte mit einer Geste und deutete mit einer leichten Tatzenbewegung auf seine gegenüberliegende Seite. Als ich dorthin sah schien alle Zeit still zu stehen. Mein Atem stockte und Erstaunen packte mich. Ich erblickte ein Geschöpf von höchster Reinheit und Vollkommenheit. Ehrfürchtig sah ich einen weißen Drachen an. Ein zarter hellblauer Schimmer umgab seinen kraftvollen, doch harmonisch proportionierten Körper. Die Aura seines majestätischen Hauptes war ausschließlich von goldenem Licht umgeben. Er war noch größer als die Bären in der Schwitzhütte, was mir Respekt einflösste.
Als ich ihn sah schaute er mir in die Augen. Sein Blick durchdrang mich sanft. Ich glaubte in dem Augenblick, daß er alles zugleich an und in mir sah. Er blickte tief in mein Inneres. Sein Geist durchdrang meinen Geist und er sah meine Seele so klar, wie sie von Anbeginn geschaffen war.
Sanft begann er zu sprechen: „Du wirst die Gesetze der Natur anerkennen. Das ist dein erster Schritt. Deine Willenskraft ist stark wie mein Zepter. Erinnere dich!“
Als er das sagte wich ich seinen durchdringenden Blick und bemerkte sein Zepter. Er war weiß und ein kleiner goldener Drache schmückte dessen Spitze. Seine Stimme schien aus allen Richtungen an mein Ohr zu dringen. Auch innerlich konnte ich sie fühlen. Er durchdrang jede Zelle meines Körpers.
„Meine Krone ist die spirituelle Erleuchtung. Gehe diesen Weg. Er ist dir vorherbestimmt! Es ist der Weg der Liebe.“
Ich sah auf sein Haupt und bemerkte augenblicklich die goldene Krone. Er breitete seine Flügel aus und schien dabei immer größer zu werden. Nicht er wurde direkt größer, sondern das Licht, welches er ausstrahlte. Sein Licht erhellte alles um mich herum und gleichzeitig umschlang es mich. Es war überall. Es war, so empfand ich jedenfalls, als ob er sich mit mir vereinen würde, da nun auch von mir Licht auszugehen schien. Auch ich strahlte dieses Licht ab. Wir bildeten eine gemeinsame Aura. Ein Gefühl der Vertrautheit, Geborgenheit und Liebe durchströmte uns vollkommen. Wie lange dieser Zustand anhielt vermag ich nicht zu sagen.
Danach schwang er seine Flügel, drehte sich von mir ab und flog in die Ferne.
Es war still und wieder absolut Dunkel. Das Gefühl der Freude hielt lange Zeit in mir an. Mein Rausch verflog bei weitem schneller. Die Stimmung wurde zum Gefühl der inneren Zufriedenheit und Zuversicht. Ich wusste nicht auf was ich zuversichtlich sein sollte. Ich war es einfach und dachte nicht darüber nach.
Yvo öffnete den Eingang und ging heraus. Benommen vom erlebten tat ich es ihm gleich. Vor unserer Schwitzhütte setzte ich mich auf einen gefällten Baumstamm. Dort übergoss mich Yvo mit lauwarmen Wasser. Das fühlte sich richtig angenehm an. Ich rieb mich trocken und konnte meine Kleidung wieder anziehen. Der raue Wind und die Sonne ließen sie trocken werden. Max und Yvo waren zufrieden. Das konnte ich spüren. Wir verabschiedeten uns. Schweigsam gingen Max und ich zum Haus zurück.
Er kochte einen Tee: „Mit Hilfe von Alberi, ein Ahne der mich ausbildete, fand deine Bewusstwerdung zur Verbindung mit der Natur und deinem höheren Selbst statt. Halte diese Erfahrung stets in dir wach. Der Drache sagte dir den Zugang zu deiner inneren Kraft voraus. Dadurch kannst du in deiner Welt eines Tages viel nützliches bewirken. Jetzt ruhe dich am besten aus.“
Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, was er damit meinte. Das war jetzt auch nicht wichtig. Müde suchte ich das Gästezimmer auf und verabschiedete mich von Max.
Am Morgen erwachte ich und stellte erneut fest, daß ich wieder nicht im Gästebett war. Ich ging zum Höhleneingang, schob die Decken beiseite und lugte neugierig heraus.
Ich fragte mich was wirklicher ist. Die Umgebung hier oder bei Max zu sein. Im zurückgehen stieß ich mir den Kopf am Fels. Schmerzlich wurde mir bewusst, daß der Augenblick die Wirklichkeit ist.
An diesen Tag wanderte ich viel. Als die Sonne unterging kehrte ich zur Höhle zurück. Ich fragte mich, ob ich wohl immer träumen würde und ob es an der Höhle hier liegt. Vielleicht spielt mir mein Geist einen Streich, weil ich alleine hier draußen bin? Jedenfalls beschloss ich in der Höhle zu schlafen. Der Traum war einfach zu real, zu interessant, denn ich wusste, daß ich daraus lernen würde.
Innerlich fühlte ich mich viel lebendiger. Mir war bewusst, daß sich mein graues Dasein im Laufe der Zeit wandelt. Es war ein Gefühl von Voraussicht.
„Guten morgen Kleiner Bär! Willst du nicht aufstehen? Das Frühstück ist fertig!“, ertönte Max´ Stimme heiter.
„Ja, ich bin gleich soweit!“
Ich ging die Treppen herunter und setzte mich zu Tisch. Max frühstückte stets ausgiebig. Natürlich wollte ich ihm nicht nachstehen.
„Gut geschlafen?“, fragte er.
„Oh ja, sehr gut!“
„Du hast etwas gelernt.“
„Was denn?“
„Deine Wirklichkeit ist immer im Hier und Jetzt.“
„Wie kommst du darauf, daß ich das gelernt habe?“
„Weil du