Der Ruf aus Kanada. Rudolf Obrea
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Sven erinnerte sich bei dieser Erzählung an die Bemerkung von Jim, die dieser bei ihrer Heimfahrt von ihrem Bootsausflug über das von Max praktizierte, althergebrachte Geschäfts- gebaren des Aufbaus eines Beziehungsgeflechtes gemacht hatte. Dieses schien in Teheran tatsächlich gut funktioniert zu haben und dort, ähnlich wie in Europa, aber noch im verstärkten Maße, die Geheimwaffe gewesen zu sein, um möglichst im exklusiven Zirkel agierend, unter Mitnahme aller damit verbundenen Annehmlichkeiten ein sorgenfreies Leben zu genießen. Da weder Jim noch Sven im Einsatz dieser Geheimwaffe besonders geschult waren, setzten beide in erster Linie darauf, die Kunden im freien Wettbewerb durch ihre fachliche Kompetenz zu überzeugen. Offensichtlich erzielte Jim im amerikanischen Markt auf diese Weise gute Ergebnisse, was Sven seinerseits die Hoffnung gab, die amerikanische unvoreingenommene, eigenwillige Entscheidungsfreiheit ohne alteingesessene Beziehungsnetzwerke auch seinerseits für sein eigenes Fortkommen in Anspruch zu nehmen. Momentan wollte er jedoch diesen Unterschied zwischen beiden Geschäftspraktiken nicht weiter vertiefen, zumal er selbst noch keine eigenen Resultate vorweisen konnte. Er bestellte stattdessen noch eine Flasche Wein, um so noch mehr über die besonderen Fähigkeiten seines Gastes zu erfahren. Dazu bekundete er seine Anteilnahme mit der Bemerkung: „Eine tolle Geschichte! Schade, dass sie mit der plötzlichen Vertreibung aus dem Paradies endet. Andererseits bist du mit dem hiesigen Start noch einmal glimpflich davongekommen.“
„Hier ja, antwortete Max. Dafür musste ich zu Hause erst noch einmal büßen. Meine Frau konnte sich einfach nicht mehr an das Leben in Deutschland gewöhnen. Nachdem wir zunächst bei ihrer Mutter untergekommen waren, mietete ich bald danach ein Reihenhaus in Wedel, nicht weit vom Elbufer auf einer Anhöhe gelegen, um bei kleinen Spaziergängen wieder eine attraktive Aussicht zu bieten. Die Räumlichkeiten in dem Haus beschränkten sich allerdings auf drei kleinere Zimmer und eine Mansarde und boten damit nicht mehr den vorher gewohnten Komfort. Hinzu kam, dass ich hauptsächlich bei meiner Firma in Bonn arbeiten musste, die Töchter weiter im Internat bleiben wollten und das vorher für Abwechslung sorgende Dienstpersonal wegfiel. Die Nachbarn waren ebenfalls keine Freunde mehr, sondern hauptsächlich ortsansässige Kleinbürger, die meine Frau als fremdes Wesen mieden und vorerst nur heimlich und misstrauisch beobachteten. Während ich bei meinen Kollegen aus dem Rheinland weiterhin eine Ansprache hatte und hier und da sogar Aufmunterung fand, gelang dieses meiner Frau, die sich in ihrer alten Heimat eigentlich wieder gut einleben hätte sollen, immer weniger. Offensichtlich beachtete sie nicht genug die erforderliche Umstellung von der vorher gewohnten Freiheit und der damit verbundenen Großzügigkeit auf die bereits vergessene und jetzt als Abweisung verstandene, hier aber vollkommen normale, norddeutsche Zurückhaltung. Sie zeigte mir ihren Unmut mit ständig schlechter Laune, begleitet von häufigen Streitereien, die uns immer weiter entzweiten, bis ich schließlich die Scheidung einreichte, das Haus in Wedel wieder aufgab und ganz nach Bonn übersiedelte. Meine Frau blieb bei ihrer Mutter in Hamburg.“ Sven der bis dahin wieder schweigsam zugehört hatte, unterbrach an dieser Stelle erneut den Erzähler mit der Frage: „Sag mal, findest du nicht auch, dass wir bei unseren Auslandsaufenthalten ständig neuen Erfahrungen und Erlebnissen ausgesetzt sind, die uns mental so verändern, das wir an den von dir geschilderten Widrigkeiten nicht zerbrechen, sondern sie mit einer herausgebildeten, widerstandsfähigen Identität entsprechend ertragen und überwinden?“
Max drückte sich bei dieser Frage um eine klare Antwort, sondern sagte. „Neue Erfahrungen sind natürlich interessant, sollten uns aber nicht von den Erfolgsrezepten der Vergangenheit abbringen..“ Die von Sven angesprochene neue Identität, die im Wesentlichen aus einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit den aktuellen Herausforderungen und deren entsprechenden Verarbeitung bestand, blieb unerwähnt. Schade, dass sich Max selbst nach dieser außergewöhnlichen, extremen Belastung scheinbar kaum verändert hatte und damit seinen alten Rezepten treu blieb, obwohl er damit bereits schon einmal gescheitert war.
Wie schon vorher erkennbar, hatten sich zwei verschiedene Charaktere getroffen, die aber trotzdem als Landsleute und Geschäftspartner nach einer Verständigungsmöglichkeit suchten. Nachdem Sven am Ende ihrer Unterhaltung noch darüber berichtete, daß er für eine Weile nach Deutschland zurückkehre, bat ihn Max, einige Schriftstücke für seine Frau mitzunehmen und bei ihr in Hamburg abzugeben. Sven sagte zu und erhielt sich mit dieser kleinen Gefälligkeit das gewünschte, gute Einvernehmen.
2.2
Wieder zurück in Deutschland verbrachte Sven zunächst einige Tage damit, sich erneut auf die Sitten und Gebräuche seiner alten Heimat einzustellen. Er bewohnte ein Zimmer in einer kleinen Pension in Blochingen am Neckar, das ihm seine Firma angemietet hatte und erlebte seine Landsleute aus nächster Nähe und in großer Anzahl bei seiner täglichen S-Bahnfahrt nach Esslingen. Die meisten von ihnen unterhielten sich im schwäbischen Dialekt, dem er als Norddeutscher kaum folgen konnte. Trotzdem versuchte er intensiv zuzuhören, um die Verständigungsschwierigkeiten bei den Gesprächen mit den Kollegen in der Firma auf ein Minimum zu reduzieren.
Nachdem er diese Hürde einigermaßen überwunden hatte und als Baustellenleiter der Montageabteilung zugewiesen worden war, ergab sich sowohl mit dem zuständigen Chef als auch mit den dort arbeitenden Kollegen bald eine erträgliche Zusammenarbeit. Infolge ihres Aufenthaltes in verschiedenen Ländern, der Chef selbst ging jedes Jahr zur Bärenjagd nach Kanada, besaßen alle in dieser Abteilung Tätigen, einschließlich des Schreibpersonals mit den erforderlichen Fremdsprachenkenntnissen, eine umfangreiche Auslandserfahrung. Dementsprechend herrschte ein besonderes Betriebsklima, geprägt von eigenständigen Individuen, die zwar loyal zur Firma standen, gleichzeitig oft aber auch bei ihren Einsätzen im Ausland, auf sich allein gestellt, unabhängig handeln mussten, um am Ende ihrer jeweiligen Tätigkeiten den allseitig gewünschten Erfolg herbeizuführen.
Unter ihnen befand sich auch Peter Baumann, den sie den „Mexikaner“ nannten, weil er öfter für längere Perioden auf den Baustellen der Firma in Mexiko tätig war und schließlich sogar seine mexikanische Freundin geheiratet hatte. Momentan arbeitete er in Esslingen, da er für die Baustelle in Kanada zum Einsatz kommen sollte und als künftiger Kollege von Sven genau wie dieser von der dortigen Verzögerung betroffen wurde. Als ihr Chef sie miteinander bekannt machte, wäre Peter selbst ohne die offizielle Vorstellung bereits als „Don Pedro“, der Mexikaner aufgefallen. Sein Gesicht prägte ein großer, schwarzer Schnurrbart, der sogar die Oberlippe teilweise verdeckte und mit den dunklen, stark ausgeprägten Augenbrauen, allerdings ohne Berücksichtigung der unauffälligen, graublauen in die Breite gezogenen Augen, kaum einen Schwaben erkennen ließen. Den etwas völligen, kleinen Südländer verkörperte er ebenfalls nicht, sondern mehr einen schlanken Asketen, dessen Bewegungen fast etwas nervös und ungeduldig wirkten. Trotz der freundlichen Begrüßung registrierte Sven, dass er als nordischer Neuling zunächst mit misstrauischer Zurückhaltung betrachtet wurde, was ihn seinerseits zur verhaltenen Vorsicht veranlasste. Der mexikanische Aufzug seines Kollegen entsprach offensichtlich nicht dessen Mentalität, sondern bildete eine Art von Verkleidung, die er beachten musste, um nicht durch leichtsinnige Anspielungen, besonders durch die hier unbekannten „Hamburger Schnacks“, verletzend zu wirken.
Ihre Unterhaltung bezog sich nicht zuletzt deshalb erst einmal auf die rein geschäftlichen Angelegenheiten, bei denen Sven über seinen Besuch auf der Baustelle berichtete und dadurch seine berufliche Fachkenntnis zum Ausdruck brachte, die ihm die volle Unterstützung seiner Gesprächspartner zusicherte. Das positive Ergebnis drückte sich auch dadurch aus, dass sie ihn nach Dienstschluss zu einem Glas Wein, einem Viertele, wie sie es nannten, einluden, um sich beim Erzählen von persönlichen Erlebnissen besser kennen zu lernen.