So weit weg uns doch ganz nah. Eomée Wächter
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Liebe Marion, der Bundesverband ANUAS-Verein mit Sitz in Berlin, ebenfalls auf ein erschütterndes schweres Schicksal deinerseits gegründet, deine Tochter in Griechenland ermordet, hat mich immer wieder aus dem „Sumpf der Trauer“ herausgeholt. Ich lernte ANUAS und dann dich persönlich kennen, deine Projekte, deine immer wieder angehenden Versuche, dass dein gegründeter Verein anerkannt und unterstützt wird. Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft – Danke für deine Freundschaft. www.ANUAS.de
All diejenigen, die sich immer noch als meine Freunde bezeichnen, mögen sich hier nun angesprochen fühlen – ich danke euch und bitte euch um Verständnis, wenn ich dieses Kapitel nun beende. Die Freunde, die sich seit dem Tod von Timo irgendwohin „aufgelöst“ haben, mögen ihr Leben weiterleben. Ich habe keinen Groll gegen euch, ich habe nur lernen müssen, dass ihr damit nicht umgehen könnt und euch aus diesem Grund verdünnisiert habt. Alles ist Gut.
Zum Schluss danke ich dir, mein jüngster und nun einziger irdischer Sohn Robin. Wir haben eine schreckliche dunkle, hässliche, kalte Zeit hinter uns. Unsere Trauer gestaltete sich verschieden, das zu erkennen, war wichtig. Somit haben wir einen gemeinsamen Lebensweg gefunden, der auf Vertrauen, Verständnis und auch auf Liebe basiert – ich liebe dich, Robin – deine Mutti. Es mag für dich wichtig sein, so habe ich es zumindest gefühlt, dass du mich „Mutti“ nennst, denn „Mum“ hat immer Timo gesagt.
Abschiednehmen
Als ich am Todestag abends nach Hause kam, mich die fürsorglichen Sanitäter von Oberstdorf nach Erlangen mit meinem Kurgepäck transportierten und beim Ausladen halfen, ging ich ins Haus. Alle waren im Wohnzimmer versammelt, mein Ex-Mann, mein Sohn Robin, Halbbruder Fabian und meine Freundin Moni. Wer noch da war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich hatte sie alle während meiner nicht endenden langen Fahrt nach Hause noch angerufen. Ich konnte im Krankenwagen grübeln, nachdenken, weinen, schreien, ruhig sein … alles haben die Sanitäter hingenommen und akzeptiert. Immer wieder erzählte ich dem Peter, dem jungen Sanitäter, dass Timo gar nicht tot sein kann. Das ist unmöglich, das ging nicht in meinen Schädel rein, ich wollte es einfach nicht wahrhaben bzw. akzeptieren.
Wie konnte Timo durch einen Zug getötet worden sein, wie soll er auf die Gleise gekommen sein?
Als ich ins Haus kam, empfing mich eine besondere Energie, die kaum zu beschreiben war. Sie fühlte sich kalt und frostig an. Ich ging wie versteinert und ferngesteuert ins Wohnzimmer, sah Robin erschöpft auf dem Sofa liegend, nahm kaum was war, ging anschließend in die Küche und zerdepperte irgendwas, um meine Wut loszuwerden, die aufgestaute Energie, die schier unerträglich in meinem Körper wütete. Moni kam und hielt mich fest, ich schrie und weinte …
Dann ging ich in den Keller, in Timos Hobby- und Spieleraum, den er sich gemütlich eingerichtet hatte. Er hatte sich so gefreut, für sich ein Zimmer zu haben, Freunde einladen zu können, dort zu chillen und zu feiern. Auch eine eigene Tür führte vom Kellerraum in den Garten zur Straße, ich bekam manchmal gar nicht mit wer so alles da war.
Als ich unten ankam, öffnete ich leise die Tür in sein Zimmer, in der Hoffnung, er liegt auf seinem Sofa und ruht sich aus, sieht einen Film an oder telefoniert. Doch ich fand Timo nicht vor. Der PC noch an, die Essensreste in einer Schüssel und Teller, ein Zustand also in seinem Zimmer, als würde er nur mal kurz rausgegangen sein und gleich wieder kommen. Die kleine rote Lampe brannte, die chinesische Lampe, die ich ihm aus einem Urlaub mal mitbrachte. Ich fühlte Timos Lebensenergie noch in diesem Raum, hoffte, dass ich doch endlich aufwachen werde, dass ich geschüttelt werde, weil ich vielleicht verschlafen habe. Doch niemand schüttelte mich, zwickte mich, es muss also stimmen, dass Timo nie mehr wieder zur Tür reinkommt, seinen PC anmacht, sich Filme ansieht oder hier mit seinen Freunden feiern kann?
Auf seinem kleinen Tisch standen noch Gläser und eine Hugo-Flasche. Ich erfuhr später, dass Timo abends, also am 2.11.13 noch Besuch bekam von zwei Schulfreundinnen. Die Julia wollte in ihren Geburtstag hinein feiern und sie überredeten Timo, doch mit in die Stadt zu kommen, obwohl er gar keine Lust mehr hatte, so die Aussage von Robin, als sie abends noch gemeinsam einkaufen waren. Timo wollte seinen Bruder nicht alleine lassen, schließlich hatte er ja nun die Aufsichtspflicht übernommen. Doch scheinbar waren die Überredungskünste doch stärker, denn Timo ging in Robins Zimmer und fragte ihn, ob er nochmal kurz in die Stadt kann. Robin macht sich noch heute Vorwürfe, wenn er doch nur nein gesagt hätte, dann …
All diese Energie lebte noch in diesem Raum, ich spürte sie sehr intensiv. Ich verließ Timos Zimmer, ohne irgend etwas anzurühren, ich ließ es so, wie er es verlassen hat, bis zu unserem Auszug am 1.2.14. Er ist nicht mehr nach Hause gekommen.
Die ersten Tage liefen automatisch wie ferngesteuert ab, ich konnte und wollte nichts denken, war auch unmöglich. Unser langjähriger Hausarzt kam auch sofort zu uns und gab mir und Robin eine homöopathische Notfallmedizin. Seine Worte werde ich nie vergessen. Er setzte sich zu uns aufs Sofa und sagte: „gehen Sie durch diesen Schmerz, erfühlen und durchleben sie ihn, ich gebe Ihnen nur diese homöopathischen Tropfen. Wenn ich Sie „zudröhne“, werden Sie Ihre Trauer nie richtig verarbeiten können. Ich weiß, wovon ich spreche“.
Mein Hausarzt verlor seine Frau an Krebs und musste mit zwei kleinen Jungen sein neuen lebbaren Weg finden. Ich vertraute ihm und immer noch. Er ist der beste Hausarzt, den man sich wünschen kann.
Herzlichen Dank, Dr. Günther, Sie sind uns ein guter Freund geworden. Sie haben sich mit mir gefreut, als Sie erfuhren, dass ich schwanger war mit Timo. Wir bekamen fast zeitgleich unsere Söhne und wenn ich in Ihrer Praxis war, redeten wir viel darüber. Ihre homöopathische Begleitung all die Jahre, die fürsorglichen Untersuchungen, die daraus entstandene freundschaftliche Arzt-Patient-Beziehung ist bis heute geblieben. Auch wenn ich jetzt noch in Ihre Gemeinschaftspraxis komme, werde ich begrüßt und von Ihrer lieben Arzthelferin, Frau Brettin, umarmt, willkommen geheißen. Das tut so gut zu wissen, dass man eine Anlaufstelle hat, wenn gar nichts mehr geht. Mein herzlichster Dank an Sie und Ihr Praxisteam.
Es wurde Nacht, es wurde sehr still im Wohnzimmer, alle gingen nach Hause nur Fabian, Halbbruder von Timo und Robin, blieb bei uns und das wochenlang. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen, verloren in der Welt der Trauer, verloren in der Welt des Alltags. Ich war zu nichts fähig. Ich wollte auch in kein Zimmer mehr gehen auch nicht in meinem Schlafzimmer schlafen, ich fühlte mich allein. So beschlossen wir drei, uns es im Wohnzimmer mit Matratzenlager gemütlich zu machen. Dort lebten und schliefen wir eine ganze Weile, organisierten das Abschiednehmen von Timo, seine Abschiedsfeier im Sarg, seine Beerdigung in der Urne.
An dieser Stelle bedanke ich mich bei dir Fabian, auch wenn sich unsere Wege wieder getrennt haben, ich danke dir aus tiefstem Herzen, dass du für uns dagewesen bist, uns eine große Stütze und Berater warst, obgleich du selbst den großen Verlustschmerz deines Bruders verarbeiten musst. Ihr habt euch noch zuletzt in München beim Oktoberfest getroffen, Timo hat bei dir gewohnt, ihr hattet wundervolle super Tage in München verlebt, das verbindet.
Aber wie beerdige ich nun mein Kind? Diese Frage sollte sich NIEMALS eine Mutter stellen müssen. Ich habe die