Auf zum Nullarbor. Hermine Stampa-Rabe
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Nach einer Stunde wird es mir hier zu langweilig. So setze ich mich hin, sehe durch mein kleines Fensterchen und damit auf einige schmale, von der Sonne beschienene Grasflächen. Aber hierher hat sich noch kein Sonnenstrahl verirrt.
Endlich reiß ich mich zusammen und gehe in die sanitären Anlagen! Während ich nun hier am Bord, auf dem Babys gewickelt werden können, mit meinem gerade ausgepackten kleinen Notebook stehe, tritt wieder die nette Dame von gestern ein. Sie unterhält sich mit mir sehr ausführlich über meine Streckenführung. Sie und ihr Mann sind mit dem Caravan auch schon um Australien gefahren. Sie kennt sich von dieser Warte aus aus und gibt mir gute Hinweise. Ich hätte sie am liebsten gedrückt! Sie heißt Sue. Ich darf sie duzen. Sie bittet um meine Email-Adresse und ist mit ihrem Mann sehr an meiner Weiterfahrt interessiert. Und falls ich mal Probleme habe, soll ich ihnen per Email schreiben. Sie werden mir helfen. Wieder ein Engel auf meiner langen Fahrradreise. Vielen Dank!
Heute mal wieder hübsch angezogen, wandere ich zur Hauptstraße von Elmore, wo die vielen Geschäfte nebeneinander unter einem langen, breiten Sonnendach Wand an Wand stehen. Das ist hier normal. Zuerst kaufe ich Esswaren ein. In einem anderen Geschäft finde ich einen neuen Stoff-Hut mit Krempe für 50 Cent und eine dicke, warme Trainingshose, wie wir sie ganz früher trugen. Die soll nun nachts meine Beine und meinen Körper schön warm halten. Beim Bäcker erstehe ich vier dicke Brötchen. Pumpernickel gibt es in diesem Ort nicht.
Mit meinen Schätzen bei meinem Zelt wieder eingetroffen, esse ich. In der Zwischenzeit ist wieder Starkwind aufgekommen. Dicke, weiße Kumulus-Wolken jagen am wunderbar blauen Himmel dahin, während ich auf dem Rücken in meinem Zelt liege und durch das Fliegennetz nach draußen sehe. Ich wundere mich die ganze Zeit darüber, warum hier die Vögel nicht zwitschern und flöten. Denen war es über Nacht sicher auch viel zu kalt. Verständlich. Und bei diesem Sturm können sie sich wohl auch nur schwer auf den stark hin und her schwankenden Zweigen halten. Wie dann dabei noch aus vollster Kehle und Leidenschaft zwitschern? Das ist ihnen wohl vergangen. Hätte ich auch nicht gemacht.
Während überall bis Echuca die Gallahs die Bäume und die Luft mit ihrem Geschrei bevölkern, gibt es in Echuca fast nur die weißen Kakadus. Also, wer sich vorher über den Lärm der Gallahs beschwert hatte, der soll hier eines anderen belehrt werden. Diese machen einen noch viel größeren Lärm. Aber ein Lachender Hans ist nirgendwo zu Gast in den Bäumen. Ich bin müde und lege mich schlafen.
02.02.2013: Zweiter Ruhetag in Elmore: 0 km
Außer schlafen, essen, trinken, eine andere sehr gute warme Jacke für morgens und abends gekauft, ist nichts weiter passiert. Morgen möchte ich in mehreren Tagesetappen weiter an die Great Ocean Road nach Warnambool radeln. Ich hoffe, dass es nicht zu steil über die Berge geht.
Um 18.00 Uhr australischer Zeit bin ich mit meiner Tochter Gudrun und ihren beiden kleinen Töchtern Anna-Lena und Marie per Skype verabredet. Eine ganze Stunde unterhalten wir uns per Video zwischen Spanien und Australien. Was die Technik alles schaffen kann! Ich bin begeistert! Eine super Technik mit dem Skype! Vielen Dank, ihr Ingenieure, die ihr das geschaffen habt!
Und dieses Skype-Gespräch mache ich per Akku; denn meine Familie möchte mein Zelt und mein Umfeld sehen. So wandere ich damit auf dem Caravan Park hin und her. Sie sind begeistert! Nur wurde davon mein Akku ziemlich alle.
In den sanitären Anlagen, wo ich mich sehr oft mit meinem Computer aufhalte – immer an der elektrischen Leitung – stecke ich wieder den Stecker dafür und mein kleines WIFI in die Steckdosen. Nun muss ich warten, bis sich das kleine orange leuchtende Licht wieder in grün verfärbt. Mein Notebook möchte ich dort nicht unbewacht stehen lassen, bleibe dabei und beginne, von zu Hause zu träumen. Aber dort ist es zurzeit lausig kalt. Und Kälte mochte ich noch nie. Da gefällt es mir hier entschieden besser!
Und während ich da so stehe, betritt eine Frau den Raum, die mit ihrem Mann gerade ihr Zelt neben ihrem Wagen aufgestellt hat. Sie stammt aus der Nähe von Rotterdam in Holland und war oft um das Isle-Meer geradelt. Das war eine Strecke für einen knappen Tag, aber mit einer wunderbaren Sicht immer auf das Wasser mit seinen Wassersportlern. Sie selbst radelt aber nicht gern. Sie ist Malerin. Auch hier übt sie ihr Hobby aus. Ihr Mann fährt dann zum Beispiel nur hier in der Gegend von Melbourne dahin, wo es wunderschön ist. Dort wird gehalten und gemalt.
Ich erzähle ihr: „Nach dem Krieg wurde mein Bruder Helmut aufgrund der Unterernährung nach Holland in eine Familie mit zwölf Kindern verschickt. Er hat es dort sehr gut gehabt. Normalerweise sollte er nach sechs Wochen wieder zu uns zurückkehren, aber die Eltern schrieben uns, dass sie Helmut noch über Weihnachten und bis zum 6. Januar bei sich behalten wollten. Sie liebten ihn alle. Am liebsten hätten sie ihn adoptiert. Er kam am 7. Januar gut ernährt und ganz glücklich bei eisiger Kälte wieder zu uns nach Hause, war sehr gut eingekleidet worden, konnte aber nur noch Holländisch sprechen. Dort war er auch während der ganzen Zeit zur Schule gegangen.“
Aber warum erzähle ich das dieser netten Frau heute? Ja, wir lebten seit 1952 auf der Nordseeinsel Amrum. Und im Februar 1953 ging von Holland bei einer riesigen Sturmflut ein sehr großer Teil seines Landes unter. Mein Vater forschte hinterher nach, ob diese lieben Leute am Leben geblieben waren. Leider waren alle ertrunken.
Ich wollte ihr nur erzählen, wie liebenswürdig die Holländer sind. Sie war von dieser wahren Geschichte sichtlich tief berührt. Aus ihrem Duschen wurde nichts. Die Zeit ging vorbei und ihr Mann wartet auf Abendessen. So geht sie erst einmal unverrichteter Dinge zurück zum Zelt. Am kommenden Morgen möchte sie mich verabschieden.
Ein Blick zu meinem Computer – das orangefarbene Lämpchen hat sich in grün verfärbt. Der Akku ist aufgeladen. So gehe ich zum Zelt, ziehe alle meine warmen Sachen übereinander und schiebe mich wie eine dicke Tonne in meinen – zum Glück – weiten Schlafsack.
Über die Wasserscheide gen Südwesten
03.02.2013: Elmore – Castlemaine: 88 km
In der Nacht träumte ich, dass ich hier in Australien mit Gerd Hausotto an einem Kanal stehe, der beidseitig hoch mit Schilf bewachsen ist. Und während wir uns unterhalten, fährt ein großes Containerschiff an uns vorbei. Wir drehen uns um und schauen ihm hinterher. Aber was steht da in ganz großen Lettern quer am Hinterschiff?
HERMINE VON STAMPA
IN AUSTRALIEN
Ich schaue Gerd Hausotto ganz perplex an. Er schmunzelt. Das große Schiff fährt auf dem Kanal weiter und verschwindet hinter dem Schilf.
Als ich um 4.00 Uhr morgens aus meinem Zelt krabble, mir die Flip-Flops an die Füße stecke und meinen Blick zum Himmel richte, steht ganz klar und deutlich das Kreuz des Südens über mir. Und der Vollmond ist jetzt zum Halbmond geschrumpft. Gestern stand er noch senkrecht am Himmel, heute in der Nacht liegt er wie eine Schale quer am Firmament.
Ich schlief wunderbar. Kein kalter Wind sauste durch mein Zelt. Ich war auch sehr warm angezogen. Um 6.15 Uhr schiebe ich bei Morgengrauen – nein, Morgenröte – mein bepacktes Fahrrad vom Caravan Park. Die beiden netten Frauen, die mich eigentlich verabschieden wollten, schlafen noch. Habe es ihnen nicht angetan, sie zu so früher Stunde aus dem Schlaf zu reißen.
Windstille. Der Himmel färbt sich langsam aber sicher immer intensiver orange. Es radelt sich sehr gut. Kann ordentlich viel Geschwindigkeit machen. Hin und wieder fährt ein Auto an mir vorbei. Als die Sonne den Horizont erklimmt, fotografiere