Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani

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Von Jerusalem nach Marrakesch - Ludwig Witzani

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Halle von gut dreißig mal dreißig Meter Durchmesser. Fünf stämmige Säulen, in deren Mitte sich das Licht der oberen Öffnung im Wasser spiegelte. Zuflucht der Frauen und Kinder, wenn Eroberer draußen vor den Toren standen.

      In Azemour lief eine dicke Frau ihrem Mann hinterher und warf mit Steinen nach ihm. Er war gekleidet wie ein Franzose und ging mit durchgedrücktem Kreuz unbeeindruckt vorneweg. Sie, in einen unförmigen weißen Kaftan bis zum Boden eingehüllt, humpelte ihm kreischend hinterher. Der Protest der Tradition gegen die Moderne.

      Die Vegetation zwischen El Jadida und Essaouira erblüht im Frühjahr zu kurzem Leben. Neben den Wadis sprossen die Feldblumen. Ausgedörrte Felsen bedeckten sich mit Flechten, die Kronen der Palmen erhoben sich wie Fächer über dem erwachenden Land. Wie steinerne Wellen senkten sich die Hügel zum Meer hinab, immer neue Buchten säumten die endlose Straße nach Süden. Nun war kein Mensch mehr zu sehen. War Afrika endlich erreicht?

      Die Altstadt von Essaouira lag auf einer Halbinsel, die völlig vom Meer umschlossen war. Eine ganze Galerie stattlicher Kanonen zielte von der Uferpromenade auf feindliche Flotten, die hier nicht mehr landeten. Die Portugiesen, die in ihren Glanzzeiten Essaouira beherrscht hatten, waren längst verschwunden. Winzige Gassen führten durch die Altstadt. Oft waren die Gebäude in der Höhe der ersten Etage über die Straßen hinweg miteinander verbunden, so dass wir durch schattige Tunnel liefen. Völlig verhangene Frauen huschten vorüber. Kleine Mädchen liefen uns hinterher und sangen ein Lied. Bald würde man ihnen einen Schleier über ihre schönen Haare stülpen.

      Vor der Küste Essaouiras lag die Insel Mogador, die schon den Phöniziern bekannt gewesen war. Hier hatten sie die Purpurschnecken gesammelt, aus denen sie den Farbstoff für die in der Antike so begehrten roten Gewänder gewannen. Zweitausend Jahre später hatte es einen schottischen Seemann auf die Insel verschlagen. Sein Name war MacDonald gewesen, er war zum Islam übergetreten und hatte es immerhin bis zum Marabut Sidi Mogdul und zum Namensgeber der Insel gebracht.

      Unter einem Marabut (oder Marabout) versteht man eine Person, die durch ihren gottgefälligen Lebenswandel Bewunderung und Aufsehen erregt. Nach ihrem Tod pilgerte man zum Grab des Marabut, meist einem kleinen Mausoleum mit einer weißen Kuppel, um ihm seine Verehrung zu erweisen. Waren die Marabut auch „Sherifen“, das heißt, mit dem Propheten Mohammed verwandt, gehörten sie zur allerobersten Schicht der marokkanischen Bevölkerung. Die Vorfahren der gegenwärtigen Herrscherdynastie der Alawiten hatten ihren politischen Aufstieg als Marabuts im Tafilalet im Südosten Marokkos begonnen. Selbstverständlich waren sie auch mit dem Propheten Mohammed verwandt.

      Hinter Essaouira zogen sich die Dünen die Küste entlang. Nur wenige Individualisten fanden den Weg hierher – und wurden durch Weite und Raum belohnt. Solche unendlich langen und sacht abfallenden Weißsandstrände hatte ich in ganz Afrika noch nicht gesehen. Die Temperaturen waren moderat, vom Ozean her wehte eine frische Brise über das Land. So stoppten wir an einem Campingplatz in unmittelbarer Nachbarschaft des Strandes. Der Campingplatz war komplett von Stacheldraht umgeben. Hinter dem Stacheldraht standen Männer mit Gewehren und beobachteten die Umgebung. Nur vier Wohnwagen standen in großen Abständen auf dem schattenlosen Gelände. Es gab ein flaches Haus mit sanitären Anlagen, und einem viereckiges Büro, in dem sich die Verwaltung befand. Dort erfuhren wir, dass niemand ohne Passkontrolle den Platz betreten durfte. Jedem Tourist, der den Platz für einen Ausflug verließ, wurde dringend angeraten, sich abzumelden und anzugeben, wann er voraussichtlich wieder zurückkäme.

      „Sollen wir hier wirklich bleiben?“ fragte Wolfgang.

      „Ich blickte zum Strand. Glutrot versank die Sonne im Ozean. Ein kitschig schönes Bild ohne einen einzigen Menschen am Strand.

      „Wird schon nicht so schlimm werden“, meinte ich. „Ein Strandtag wird uns guttun.“

      Der Strandtag tat uns aber alles andere als gut. Der Sand war so weich und fein wie er aussah, das Wasser erfrischend, der Wind kühlend, doch wir fanden keine Ruhe. Immer neue Gestalten tauchten aus der Ferne auf, trotteten langsam heran, als hätten sie alle Zeit der Welt, um sich endlich vor uns aufzubauen und ein Verkaufsgespräch zu beginnen. Was sie anboten, waren Gummibälle, Tücher, ausgefranste Strandmatten und Obst, lauter Produkte, die uns nicht interessierten. Doch sie schienen der Meinung zu sein, dass wir mindestens eines ihrer Angebote kaufen mussten, wenn wir uns schon die Freiheit herausnahmen, an einem marokkanischen Strand herumzuliegen. Mit höflichen, freundlich-bestimmten oder energischen Ablehnungen konnten sie genauso wenig umgehen wie mit Missachtung. Sie blieben einfach am Ort, standen uns in der Sonne, setzten sich oft eine Stunde neben uns, brabbelten in einem fort, mal schleimig mal drohend, aber immer so fordernd, dass ihre bloße Anwesenheit die reinste Nötigung war. Im Lauf des Tages ertrugen wir auf diese Weise drei Besuche, ehe sie endlich verschwanden. Aber es sollte weitergehen. Am späten Nachmittag bauten sich drei junge Männer nach unserer Ablehnung so frontal vor uns auf, dass ich jeden Augenblick mit einem Angriff rechnete. Einer der drei sagte in gebrochenem Englisch „Wenn ihr nicht kaufen wollt, dann gebt uns den Ball“. Unseren Lederball, ein schmuckes Stück, das ich vor der Reise als Geschenk erhalten hatte, wollte ich aber nicht hergeben. Wir rafften unsere Sachen zusammen und standen auf, zwei gegen drei, wir waren größer, aber älter, unsere Aussichten waren nicht gut. Langsam hob ich die Hand, als gäbe ich ein Zeichen zum Camp und fordere Hilfe. Die Jugendlichen drehten sich um und zögerten. Dann wandten sie sich schnell ab und verschwanden in den Dünen. Nach diesem Erlebnis waren alle Pläne, bei Bedarf auch einmal wild im Land zu zelten, gestorben.

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