Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Von Jerusalem nach Marrakesch - Ludwig Witzani страница 12
Das Leben der Beduinen vom Sinai war kein Zuckerschlecken. Tag und Nacht hockten sie mit ihrem Teegeschirr und ihren Kamelen vor den Klostermauern, um den Touristen zu Diensten zu sein. In der klirrenden Kälte trugen sie nichts anderes als verschlissene Jacketts mit zu kurzen Ärmeln, darunter einen fußknöchellangen Rock mit angegriffenem Schuhwerk. Trotzdem lachten sie, als sie uns für kleines Geld nach unserem Abstieg vom Mosesberg einen herrlichen Couscous servierten.
Trennung von Hans. Er fuhr weiter nach Kairo, ich musste nach Tel Aviv. Im Bus zur Grenze versuchte der Busfahrer von jedem Reisenden ganz ungeachtet der offiziellen Preise einen maximalen Geldbetrag abzuzapfen. Als sein Schwindel aufflog und die Passagiere mit dem Aufstand drohten, gab er ohne mit der Wimper zu zucken, jedem das überzählige Geld wieder heraus. Von Scham keine Spur. Einen Versuch war es ihm Wert gewesen.
Schon am Mittag erreichte ich wieder den Busbahnhof von Eilat. Um zwei Uhr aß ich meine letzte Falafel in Israel. Es war Sabbat, aber diesmal funktionierte der Transport zum Flughafen nach Tel Aviv. Im Abfertigungsraum des Ben Gurion Flughafens hatten die Traveller für die anstehende Nacht bereits die Schlafsäcke ausgepackt. Die Flüge nach Europa würden erst am nächsten Morgen starten. Gottseidank war es warm im Flughafen.
Schlafsack an Schlafsack kam ich mit Anke ins Gespräch, einer Essener Krankenschwester, die in Israel ihren Freund besucht hatte. Leider hatte sich Ariel, ihr israelischer Freund, ganz anders verhalten als vor einem halben Jahr in Deutschland, erzählte sie. Mäßig interessiert, abgelenkt und in seinen Umgangsformen nachlässig, hatte er Ankes Erwartungen bitter enttäuscht. „Warum hat er mir denn nicht einfach geschrieben, dass ich ihm nichts bedeute, dann wäre ich gar nicht erst gekommen“, sagte sie. „So kam ich mir vollkommen überflüssig vor, aufdringlich und lästig.“ Anke hatte ein ehrliches Gesicht, helle Haut und blonde kurzgeschnittene Haare. In ihren Augen lag etwas Verträumtes, ihr Körper war rundlich, der Mund vernascht. Eine Frau, die bereit gewesen wäre zur Liebe, musste unverrichteter Dinge wieder heimreisen. Die Ehrlichkeit, mit der sie ihre Zurückweisung eingestand, imponierte mir, und so begann auch ich, ohne recht zu wissen, warum, von mir zu erzählen. Anke hörte mir zu, nickte hier und da, fragte nach und schwieg genau an den richtigen Stellen.
Ehe wir unser Gespräch weiter vertiefen konnten, aber war es auch schon zu Ende. Übergangslos gingen im ganzen Flughafen die Sirenen an. Ohrenbetäubender Lärm dröhnte aus den Lautsprechern, Rauch und Nebel quollen aus den Nachbarräumen, Schüsse und Schreie waren zu hören, als eine Durchsage kam, die alle Passagiere aufforderte, sich wegen Terroralarms fort zu ihren Abflugschaltern zu begeben. Da Anke zum Counter der Maschine nach Frankfurt lief und ich den Abfertigungsschalter für die Maschine nach Düsseldorf suchte, habe ich sie nie mehr gesehen. Der Alarm war übrigens nur eine Übung gewesen.
Kapuzenmänner unterwegs
Kulturschock zwischen
Tanger und Essaouira
Schon der Name war eine Verheißung. Ein Land mit drei Vokalen und einer Konsonantenverdoppelung in seinem Namen, ein Land, das zudem noch in Afrika lag, konnte seine Besucher nicht enttäuschen. Großformatige Bilder von urtümlichen Kasbahs, der Anblick weiter Strände, von schneebedeckten Pässen und endlosen Sandfeldern auf Hochglanzfotografien hatte in mir schon in meiner Knabenzeit den Wunsch geweckt: Dieses Land muss ich sehen. Ich entsinne mich, wie ich in den allerfrühesten Zeiten meines Reiselebens, als ich gerade meine erste Anhaltertour durch Skandinavien plante, bereits überlegte, wie ich nach Marokko kommen könnte. Ich war noch keine sechzehn Jahre alt und saß regelmäßig an den Lesetischen der Volksbücherei Köln-Ehrenfeld, als mir der Niederlassungsleiter die schönsten Bildbände über Nordafrika zeigte: herrliche, großformatige Seiten, die sich wunderbar anfühlten und auf denen all das abgebildet war, was ich mit eigenen Augen sehen wollte: das goldene Licht des späten Tages auf der Stadtmauer von Marrakesch, das grün der Oasen am Rande der großen Wüste aber auch die harten männlichen Gesichter der Berber, die mir vorkamen wie Beispiele für ein zweites, ein härteres Menschsein in einem Kontinent, der so ganz anders war als alles, was in Europa existierte.
Es dauerte allerdings noch geschlagene anderthalb Jahrzehnte, ehe ich diesen Wunsch in die Wirklichkeit umsetzen konnte. Die Vorgeschichte dieser Reise braucht hier nicht erzählt zu werden – wichtig war nur, dass ich endlich einen Reisepartner fand, mit dem ich in einem froschgrünen Ford Fiesta, mit einem Zelt und reichlich Konserven im Kofferraum in der Osterwoche nach Süden aufbrach, um das Land der großen Sultane und Marabuts zu besuchen. Mein Partner Wolfgang war vier Jahre älter als ich und in seinem ganzen Wesen dem meinen diametral entgegengesetzt. Er war verbindlich, wo ich schroff war, er war geschickt und geduldig, wo ich fahrig wurde, er war Familienvater, ich war Single, er war vorsichtig, wo ich draufgängerisch war, und er zögerte, wo ich mich schnell entschied - kurz: wir waren eine Mischung aus lauter Gegensätzlichkeiten, die sich gut ergänzten. Unsere Tour nach Marokko sollte die erste Etappe einer lebenslangen Reisepartnerschaft werden; wir waren anschließend zusammen in Algerien, Vietnam, in China, dem Iran, Alaska, Patagonien und an der Seidenstraße und haben Seite an Seite einen Großteil der Welt gesehen. Im Laufe dieses Reiselebens blieb die Welt sich nicht gleich, sie drehte und verwandelte sich nach ihrem eigenen Rhythmus und ist heute eine ganz andere als vor einer Generation. Auch Wolfgang veränderte sich, wurde grauer und gütiger und mir auf diese Weise von Reise zu Reise das unübersehbare Spiegelbild meines eigenen Alters.
Aber davon war damals noch nichts zu ahnen. Wie zwei wild gewordene Buben rasten wir dem Süden entgegen, passierten die Eifel, die Vogesen, das Rhonetal, die endlosen Küsten der iberischen Halbinsel, ehe wir schließlich nach zwei Tagen in der Nähe von Gibraltar die Fähre nach Marokko erreichten. Die Überfahrt von Tarifa nach Tanger vollzog sich wie in einem Rausch. So viele neue Farben und Düfte, fremdartige Gestalten und Geräusche erfüllten die Luft, die Berber sprachen französisch und tranken Bier, manche lachten, andere schimpften, und die meisten trugen merkwürdig bunte Gewänder.
Aber schon an den Kais von Tanger veränderten sich die Eindrücke. Marokko war erreicht, aber von Tausendundeiner Nacht war nichts zu spüren. Tanger war eine Millionenstadt mit überfüllten Straßen, hupenden Autos, sperrigen Obstständen, fahrenden Händlern und – wohin das Auge blickte – mit Kapuzenmännern. Als verfügten diese Kapuzenmänner über unendlich viel Zeit und Raum, bewegten sich mit ihrem eingeschränkten Gesichtsfeld wie im Zeitlupentempo über die Plätze, so dass man fast um ihr Leben fürchten musste. Damals wusste ich noch nichts von den Feinheiten der islamischen Männermode und konnte die Djellaba, das marokkanische Kapuzengewand, noch nicht von der ägyptischen Galabija, dem Kaftan ohne Kapuze, geschweige denn vom Shalwar Qamiz, dem knielangen Hemd aus Pakistan unterscheiden. Aber auch ohne die Kapuzenmänner war das Straßenbild beängstigend: Obst und Mensch, Vieh und Kind, Früchte und Salate, Karren, Tische und Bänke verbanden sich zu regelrechten Bandwurmmärkten, die kein Ende nehmen wollten. An Straßenecken und vor den Geschäften warteten Krüppel und Bettler, lauter erbärmliche Figuren, die ihre Prothesen und Stümpfe den Passanten entgegenhielten und um Almosen baten. Die Geräuschkulisse hatte etwas Heulendes, eine heruntergedimmte Kakophonie aus Klagen, Hupen und Kreischen lag wie eine Glocke über der Stadt.
Der Gran Socco von Tanger war ein palmengesäumter Platz mit Rundbänken, Brunnen und wenig grün. Jugendliche in westlicher Kleidung umkreisten den Platz mit ihren knatternden Motorrädern, als hätte man sie wie Spielzeugfiguren aufgezogen. Trotz des Lärms saßen alte Männer in ihren