Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani

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Von Jerusalem nach Marrakesch - Ludwig Witzani

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alte Stadtmauer hinaus in den hügeligen Norden ausgebreitet. Es war nicht nur eine heilige Stadt, die ich erblickte sondern auch eine Großstadt mit 800.000 Einwohnern, deren Lärm bis in die Höhen des Ölberges hinaufschallte.

      Als ich durch die Umgebung des Ölbergs spazierte, kamen mir drei moslemische Knaben entgegen. Einer der drei, ein schlaksiger Kerl mit einer Frisur wie ein iranisches Schaf, trat ohne Vorwarnung gegen meine Fototasche. Als ich mich ihm zuwendete, hauten die beiden anderen ab, doch der Angreifer nahm eine groteske Kampfstellung ein, etwa so, wie er sie in Kung Fu Filmen gesehen haben mochte. Er hatte eine lange Nase, große Henkeltopfohren und fast keine Stirn. Seine Augenwülste standen vor, ebenso sein Mund, mit dem er ausspuckte und rief: „Go home, go home“. Als ich mit dem Fuß aufstampfte, als wolle ich ihn angreifen, lief er davon.

Titel

      Hass am Grab des Patriarchen

      In Bethlehem und Hebron

      Neben der Verkündigungskirche in Nazareth, der Grabeskirche in Jerusalem und der Auferstehungskirche am See Genezareth war die Geburtskirche in Bethlehem die vierte große Pilgerkirche der Christenheit. Von außen unscheinbar, beeindruckte sie im Innern: eine dreischiffige byzantinische Basilika mit 44 Marmorsäulen und einem Mosaikfußboden, der durch eine Holzvorrichtung vor Abnutzung geschützt wurde. Eine einzige Verhunzung dagegen war das griechisch-orthodoxe Gemisch aus Lämpchen, angeschmuddelten Goldplättchen, dunkelrot lackierten Holzikonen und zweitklassigen Gemälden. In den diversen Vertiefungen der Geburtsgrotte unter der Geburtskirche hatten sich die verschiedenen christlichen Kirchen flächendeckend mit ihren Symbolen ausgebreitet: Überall Kerzen, Sterne, nachlässig ausgeführte Statuen - und als wäre alles nicht schon schlimm genug, lag auch noch ein Püppchen mit Goldlöckchen in einer Krippe. Eine Gruppe älterer Frauen kroch unter das Marienstandbild, um einen kopfgroßen silbernen Stern zu küssen, was so angestrengt aussah, dass ich fürchtete, die alten Damen würden unter der Marienstaue vor Erschöpfung zusammenbrechen.

      Auf dem Markt in Bethlehem gab es kaum ein Durchkommen. Ich passierte Stände voller Blumenkohl, Orangen und Melonen, an Fleischerhaken hingen die von Fliegen umschwärmten Rindfleischstücke, Verkäufer brüllten, Kinder kreischten, verschleierte Frauen bahnten sich robust mit den Ellbogen ihren Weg durchs Gedränge. Es sah aus wie Orient, es roch wie Orient, und es war Orient - nur die meisten Orientalen auf dem Markt in Bethlehem wie auch in der ganzen Stadt waren Christen. Arabische Christen haben für einen Besucher aus dem Westen etwas ebenso Kurioses wie israelische Moslems, obwohl es von den ersten viel mehr gibt als von den zweiten. Eingeklemmt als Minderheit zwischen Moslems und Juden hatten es die palästinensischen Christen nicht einfach: so viel Hass gegen Israel konnten sie öffentlich gar nicht zeigen, um den Missionsdruck auszugleichen, dem sie von moslemischer Seite ausgesetzt waren.

      Bekanntermaßen war die junge Rachel, Isaaks Frau, bei der Geburt Davids gestorben. Ihr vermeintliches Grab, wenn man es denn glauben wollte, befand sich am Ortseingang von Bethlehem, ein runder schmuckloser Bau, der aussah wie die Grabstätte eines maghrebinischen Marabuts.

      Besucht wurde dieses Grab von allen Jüdinnen, Muslima und Christinnen, die auf Nachwuchs hofften. Eine weibliche Brücke über die Grenzen der Religionen hinweg.

      Hebron ist die älteste der vier heiligen jüdischen Städte Hier erwarb Urvater Abraham am Ende seiner langen Wanderung aus Mesopotamien von einem hethitischen Kaufmann die Höhle Machpela als Wohn- und Grabstätte. Abraham, Sarah, Isaak, Rebecca und Jakob sollen in Hebron und Umgebung begraben sein, weswegen die Stadt auch für Christen und Araber heilig war. Sie alle pilgerten zur Haram el Khalil, der Grabmoschee des Patriarchen Abraham, der als großer festungsähnlicher Bau Jedermann offenstand. Obwohl man annehmen könnte, dass die gemeinsame Verehrung des gleichen Patriarchen an einem gemeinsamen Ort, der religiösen Verständigung dienen sollte, war in Hebron leider genau das Gegenteil der Fall. Die Juden hatten nicht vergessen, dass die arabischen Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung vor der Gründung des Staates Israel gerade in Hebron besonders blutig gewesen waren. Und die Moslems werden nicht vergessen, dass der radikale jüdischer Siedler Baruch Goldstein aus der jüdischen Siedlung Kirjat Arba während des Ramadans in der Haram el-Khalil trotz der israelischen Militärpräsenz 29 moslemische Pilger erschossen hatte. Während meines Besuches in Hebron war die Haram el Khalil nicht geöffnet. Irgendwo zwischen Hebron und der jüdischen Siedlung Kirjat Arba war es zu einem Zwischenfall gekommen, so dass sich die Armee entschlossen hatte, den Zugang zum Patriarchengrab zu sperren. „Versuchen Sie die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen“, sagte der Offizier, als er mir meinen Pass zurückgab.

      Als ich von der Hamid el Khalil zum Busbahnhof lief, waren die meisten Türen und Fenster verschlossen. Manchmal erblickte ich von einem der Dächer der Häuser eine Person, die mich zu beobachten schien. An einer Kreuzung hatte eine Kohorte israelischer Soldaten mit zwei Gefechtsfahrzeugen alle Durchgänge gesperrt, um jeden Passanten einer Leibesvisitation zu unterziehen. Ich hatte den Kontrollpunkt noch nicht erreicht, als moslemische Jugendliche begannen, aus den Eingängen der Häuser heraus Steine auf die Soldaten und Fahrzeuge zu werfen. Ein ganzer Steinhagel prasselte auf die Gruppe der Soldaten nieder, die sofort in Deckung ging. Ich beobachtete einen kleinen Araber, nicht älter als acht oder neun Jahre, der sich von hinten an einen israelischen Soldaten heranschlich und ihm aus nächster Nähe einen stattlichen Wackerstein ins Kreuz warf. Er traf nur ungenau, doch der Israeli sprang herum, entsicherte sein Gewehr und einen Augenblick glaubte ich, er würde das Kind auf der Stelle erschießen. Es handelte sich um einen jungen Wehrpflichtigen, vielleicht um die zwanzig Jahre alt, mit Erschrecken und Wut im Gesicht. Mit zwei, drei Sätzen hatte er den davonlaufenden kleinen Araber eingeholt und trat ihm derart in den Hintern, dass der Junge einen Meter durch die Gegend flog. Doch das Kind landete wie eine Katze auf dem Boden, rollte sich ab und verschwand im Zickzacklauf in einer Seitengasse. Nun wurde es noch turbulenter, die Wehrpflichtigen schossen in die Luft, doch der Steinhagel hörte nicht auf. Allerdings waren es nur Kinder und Jugendliche, die die Steine warfen. Ohne die Gefahr zu realisieren, in der sie sich begaben, sprangen sie aus ihren Deckungen und warfen alles, was sie in ihre kleinen Hände bekamen, gegen den israelischen Soldaten. Als ich in einem Hauseingang in Deckung ging, sah ich zwei Erwachsene, die den Angriff der Kinder koordinierten. Als einer der beiden, ein Gemüsehändler, mich bemerkte, rief er mir zu, ich solle Fotografien machen, damit die Welt sähe, wie die Juden die Moslems in Hebron knechten würden. Er war ein hagerer, mittelalter Mann mit so tiefen Furchen im Gesicht, als hätte der Hass seine Züge versehrt. Kurz darauf stellten die Kinder ihren Steinangriff auf ein Zeichen der Erwachsenen hin ein und verschwanden. Als die Soldaten anschließend mit entsicherten Waffen durch die Straßen liefen um nach den Angreifern zu suchen, saß der gleiche Gemüsehändler unbeteiligt auf einem Holzstuhl vor seinem Laden.

Titel

      Die Reise zum Mosesberg

      Durch den Süden Israels zum Sinai

      Am nächsten Tag fuhr ich mit einem arabischen Bus zum Toten Meer. Kaum hatten wir Jerusalem auf der Schnellstraße 90 verlassen, wurden wir von einer israelischen Militäreskorte angehalten. Fünf Soldaten umstellten den Bus mit gezogenen Waffen, ein Soldat kontrollierte im Bus die Ausweise. Der Soldat trug eine schusssichere Weste, einen Helm mit Sprechvorrichtung, einen Patronengurt und ein Funkgerät am Gürtel. Seine Gesten waren wachsam und misstrauisch, sein Ton herrisch, als wisse er, dass Freundlichkeit in diesem Bus verlorene Liebesmühe war. Als er meinen Ausweis kontrollierte, fragte er mich auf Englisch, warum ich einen arabischen Bus nähme. Weil er gerade da war und losfuhr, antwortete ich. „Seien sie vorsichtig“, sagte er, als er mir meinen Pass zurückgab.

      Nach einer weiteren Kontrolle kurz vor hinter Nabi

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