Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani
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In der Umgebung von Timna hatte sich die Natur als Bildhauerin betätigt. Wind und Regen, Erosion und Zeit. hatten hochhaushohe Pilze, gewaltige Säulen („Salomos Pillars“), abgefräste Buckel und Zacken aller Art geformt, eine Freiluftausstellung der Natur, gerade so, als hätte der Schöpfer in der Wüste von Timna eine verspielte Stunde gehabt.
Ich hatte Glück und konnte mich einer italienischen Familie anschließen, die mit einem Jeep den etwa 60 qkm großen Timna-Park durchfuhr. Wolken wie weiße Wattebäuche zogen über den Himmel und verwandelten den Himmel in ein Panoramagemälde aus Weite und Licht.
Stopp an einer nachgemachten Goldgräbersiedlung an der Straße zwischen Taba und Eilat. Ein Bilderbuchfake, wie man es stilechter auch in Arizona oder Dakota nicht finden könnte. Viel Freude bei den Touristen, die jubelnd ihre Specknacken in die öffentliche Galgenschlinge legten. Am Ende der Straße warteten die Beduinen und hievten die Besucher für einen Ritt durch die Westernstadt auf eines ihrer Kamele. Zur Freude der Touristen wurde einem Kamel ein mit Gas gefüllter Ballon ins Maul gestopft. Das Tier verschlang den Ballon und musste erleben, wie der unverdauliche Gummiballon ihm immer wieder hochkam. Was für ein Spaß.
Unterwasserobservatorium in Eilat. Eine Treppe führte zu einem unterirdischen Raum, nur erleuchtet durch ein grandioses Korallenriff, das hinter Glas in allen Farben der Meere prangte. Haie und Rochen zogen ihre Kreise. Im aquanautischen Museum wurde in fünfzehn hell erleuchteten Bassins die Lebenswelt von Langusten, Krabben, Kraken und grellbunter Fische präsentiert. Ich kannte die Namen zahlreicher altmexikanischer Götter, aber nicht einen einzigen Namen jener Meereswesen, die ich an diesem Tag hinter betrachtete. Schande über mich. Einige Namen schrieb ich mir auf, vergaß sie aber bald wieder.
Ausflug zu den Koralleninseln im Golf von Aqaba. Ein rüstiges altes Segelschiff dümpelte mit zwei Dutzend Passagieren nach Süden, bis wir in der Nähe der ägyptisch-israelischen Grenze die Reste einer Kreuzfahrerfestung erreichten. Ursprünglich als Sprungbrett für eine Eroberung Ägyptens von den Christen befestigt, fiel die Burg schnell in muslimische Hand. In der langen Nacht der osmanischen Herrschaft war die Burg funktionslos geworden und verfiel - immerhin auf so malerische Weise, dass sie heute noch als Fotomotiv herhalten kann. Unterhalb der Kreuzfahrerfestung stoppte das Schiff und die Besatzung servierte das vorbestellte Barbecue: Lamm, Reis, und Hähnchen, dazu Bier und Wein nach Belieben. Die Schatten der Uferberge hatten die Burg fast erreicht, kein Wölkchen war am Himmel zu sehen.
Ich wollte mich nach dem Essen gerade auf einer der Matten ausstrecken, als ich Professor Scheuch aus Köln erkannte. Vor 25 Jahren war er mein Held gewesen, als er sich in den Hörsälen der Kölner Universität Kommunisten und Anarchisten entgegengestellt hatte. Nun saß er klein und unscheinbar mit gebeugtem Rücken seiner Frau gegenüber, einer Mitvierzigerin, von der ich noch wusste, dass sie sich in jenen 68er Kampfzeiten vom tapferen Scheuch hatte freien lassen. Um sie herum wuselte ein schlecht erzogener launiger Bengel, das unruhige Kind einer späten Liebe.
Ich hatte bei Professor Scheuch mein Rigorosum im Nebenfach abgelegt und überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Ich ließ es. So verschrumpelt wie er mir erschien, so befremdlich würde mein Backpackeroutfit auf ihn wirken.
Einmal mit den Gedanken in der Vergangenheit angekommen, überließ ich mich den Reminiszenzen eines goldenen Nachmittags. Alle hatten nun gegessen, und viele waren auf den Matten und Liegen eingeschlafen. Leise Jazzmusik tönte über Schiff und Meer. Ich dachte an zuhause, an meine jugendliche Geliebte, die mir bald von der Fahne springen würde, eine schöne junge Frau in der Blüte ihrer Jugend, die mit einem Vaganten wie mir auf Dauer nichts anfangen konnte.
Um die Wahrheit zu sagen: Das Baden in Eilat war alles andere als ein Vergnügen. Zwar schien die Sonne, doch der winterliche Wind, der aus Jordanien herüberwehte, war so eisig, dass sich niemand längere Zeit am Strand aufhalten mochte. So schloss ich mich Hans an, der auf seiner Weiterreise nach Kairo das Katharinenkloster auf dem Sinai besuchen wollte. Seit dem Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel war das ohne weiteres möglich.
Die Reise von Eilat zum Weg zum Katharinenkloster auf der Halbinsel Sinai war einfacher als erwartet. Frieden zwischen Arabern und Israeli war also doch möglich, jedenfalls wenn man die Lockerheit zum Maßstab nahm, mit der die Touristen aus Israel die ägyptische Grenze passierten. „Schalom“ und „Salam“ und Stempel in den Pass – und schon waren wir in Ägypten.
Die Wüste Sinai, das geografische Verbindungsstück zwischen Asien und Afrika bestand im Norden aus Sanddünen und im Zentrum aus einem Hochland voller Geröll und respektabler Berge. Aus der Entfernung erinnerten mich die goldgelben Dünen vor dem Hintergrund der Berge an die Sahara zwischen In Salah und Tammarasset. Alles war eindeutig in dieser Landschaft, großflächig unmissverständlich, das ideale Bühnenbild für eine der entscheidendsten Stunden der Menschheitsgeschichte: die Übergabe der Zehn Gebote von Jahwe direkt an Moses, den Führer der Israeliten, die nach ihrer Flucht aus Ägypten auf der Suche nach dem gelobten Land durch den Sinai gezogen waren.
Der Legende nach soll Kaiserin Helena, die Mutter Konstantins des Großen, bereits im vierten Jahrhundert zu Füßen des Mosesberges den Bau der „Kapelle des flammenden Dornbuschs“ veranlasst haben. Gesichert war, dass Kaiser Justinian zweihundert Jahre später die kleine Anlage durch einen stabilen Festungswall von achtzig mal achtzig Metern umgürten ließ. Dieser Wall prägte das Erscheinungsbild des Klosters bis heute, eine wuchtige, burgartige Anlage, die stark an die Koptenklöster Ägyptens erinnerte. Katharinenkloster hieß die Anlage zu Ehren der heiligen Katharina von Alexandrien, von der behauptet wurde, ihre Gebeine seien durch einen Engel von einem Engel Kairo zum Sinai gebracht worden. Unglaublich, wie viele Reliquien in der Antike durch die Gegend geflogen waren. Wieder ein Ort, an dem Juden, Christen und Moslems dem gleichen Mythos huldigten, diesmal aber ausnahmsweise ein Ort, der in seiner Geschichte von Mord und Zerstörung weitgehend verschont geblieben war. Immer wenn arabische Räuberbanden, Mamluken oder Türken das Kloster hatten plündern wollen, wurde ihnen der Schutzbrief des Propheten Mohammed unter die Nase gehalten. So jedenfalls die Klosterlegende, die wie selbstverständlich von der Alphabetisierung orientalischer Wegelagerer auszugehen schien.
In der Hauptkirche des Klosters erschlug mich die übliche orthodoxe Überladung mit Lüstern, Leuchten, Lampen, Pfeilern und Baldachinen. Die Ikonen, die es in der Kirche zu besichtigen gab, waren so düster, als läge über ihnen schon der Schatten der Endzeit.
Kein Mensch hat eine Idee davon, wie gnadenlos kalt es auf der Halbinsel Sinai im Winter werden konnte. Vor allem auf einer Höhe von fünfzehnhundert bis zweitausend Metern. Nur wenige Minuten Aufenthalt im Schatten genügten, um die Knochen vor Kälte knacken zu lassen. Frierend kroch ich am Abend in meinen Schlafsaal in einem ungeheizten Raum, der durch nichts weiter erwärmt wurde, als durch die Körpertemperaturen von zehn schlafenden Individualreisenden.
Mitten in der Nacht, zwischen drei und vier Uhr, standen alle auf und rüsteten sich für die Besteigung des Mt. Sinai. Der asketische Teil der eiskalten Nacht ohne Wasser und sanitäre Anlagen lag hinter uns, nun wartete noch die Ekstase auf uns, vorausgesetzt, es würde gelingen im Dunkel der Nacht den Gipfel knapp 2.300 Meter hohen Mosesbergs zu ersteigen. Wie oft ich während der folgenden zwei bis drei Stunden gestolpert und auf die Steine gefallen bin, weiß ich nicht mehr. Immerhin geriet ich auf diese Weise nicht nur gehörig ins Schwitzen sondern erreichte genau zur Stunde des Sonnenaufgangs den Gipfel. Wie sich die Sonne im Osten über den Weiten der arabischen Wüste erhob, sah großartig aus, doch die Eiseskälte des Höhenwindes zwang mich sofort hinter Gesteinsvorsprüngen in Deckung zu gehen. Welcher gnädige Geist hinter einem dieser Felsen einen Beduinen mit heißem Tee positioniert hatte, wusste ich nicht, doch ich kaufte dem Araber sofort zwei Becher Tee ab, trank den ersten sofort und hielt meine zitternden Hände so lange an den zweiten Becher, bis sie