Moderne Alchemie und der Stein der Weisen. Wilfried B. Holzapfel
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Die vier Elemente der Alchemisten, die vier Essentia, sind hier mit den modernen Namen für die vier möglichen Zustände oder Phasen eines einfachen Stoffes beschriftet. Statt Erde steht hier "fest", statt Wasser gibt es hier den Bereich für "flüssig", statt Luft steht hier "gasförmig" und in dem Bereich des Feuers steht hier "Plasma". Dabei sind hier die Atome, Ionen und freien Elektronen schematisch als rote Kugeln, violette Sterne und eckige Ringe dargestellt, um anzudeuten, was in einem mikroskopischen Bild die wesentlichen Unterschiede zwischen diesen Bereichen sind. Flüssig, fest und gasförmig kennt ihr als die verschiedenen Erscheinungsformen von reinen Stoffen. Den Plasmazustand der Luft habt ihr in Blitzen schon gesehen! In Blitzen ist die Luft so stark erhitzt, dass viele Moleküle oder Atome so heftig aneinander stoßen, dass einzelne Elektronen aus der Hülle dieser Atome heraus geschlagen werden. Dann können sich diese Elektronen frei bewegen oder an andere Atome anlagern, so dass neben den freien Elektronen auch positiv und negativ geladene Ionen entstehen, die dann den elektrischen Strom im Blitz zwischen den Wolken und der Erde transportieren. Auch in unseren Energiesparlampen wird in ähnlicher Weise aus Quecksilberdampf ein Plasma gebildet, das dort den Strom leitet und dann durch Stöße der Ionen und Elektronen mit der besonders beschichteten Glaswand zu dem bekannten, energiesparenden Leuchten führt. Auch die heiße, leuchtende Sonnenoberfläche befindet sich in einem solchen Plasmazustand. Ihr seht, der Plasmazustand der Materie kann nicht nur im Feuer, sondern auch noch an vielen anderen Stellen beobachtet werden. Er ist wohl sogar der überwiegende Zustand der Materie im Weltall und gehört damit wie die drei anderen bekannteren Zustände zu jedem vollständigen Zustandsdiagramm eines beliebigen Stoffes. Bei Molekülen sind solche Phasendiagramme manchmal nicht ganz so einfach, weil in der flüssigen und gasförmigen Phase bei hohen Temperaturen die Moleküle chemisch reagieren und zerfallen können.
(Interessante Wikipedia-Stichworte sind in diesem Zusammenhang Plasma (Physik) und Plasmasphäre.)
Am linken Rand der Abbildung 14 seht ihr wie im Bild 13 einen Pfeil für zunehmende Temperatur und am unteren Rand wieder einen Pfeil für zunehmenden Druck. Wenn man vom Bild der alten Alchemisten zur neuen naturwissenschaftlichen Beschreibung übergeht, wird diese Landschaft durch besondere Grenzlinien aufgeteilt. Auf normalen Landkarten ist nach oben die Richtung nach Norden, nach rechts die Richtung nach Osten und am Kartenrand meist mit kleinen Stichen die Entfernung in Metern oder Kilometern eingetragen. In einem modernen Phasendiagramm entspricht die eine Richtung zunehmender Temperatur und die andere Richtung zunehmendem Druck. So kann man in der Welt der hohen Drücke für alle möglichen Materialien Phasendiagramme genau wie Landkarten erstellen. Da die Physiker und Chemiker heute immer alles genau vermessen, werden die Ränder dann auch ordentlich mit Zahlenwerten für Temperatur und Druck beschriftet. Die Grenzlinien zwischen den verschiedenen Phasen erhalten dabei eine ähnliche Bedeutung wie in einer Landkarte die Grenzen zwischen verschiedenen Ländern.
Ein Dreiländereck bezeichnet man hier als Tripelpunkt. Drei Grenzlinien und drei Phasenbereiche treffen sich in diesem Punkt. Die rechte Grenzlinie zwischen fester und flüssiger Phase kennt ihr als Schmelzkurve. Sie zeigt, dass die Schmelztemperatur vom Druck abhängt. Das flüssige Quecksilber wird zum Beispiel bei normaler Raumtemperatur fest, wenn man es stark zusammendrückt. Eis andererseits schmilzt zunächst unter Druck, aber dieses ungewöhnliche Verhalten ist eine Besonderheit von Wasser in der Welt der hohen Drücke!
Die linke Grenzlinie trennt fest und gasförmig. Das direkte Verdampfen eines festen Stoffes wird Sublimation genannt. Vielleicht erinnert ihr euch daran, dass wir bei kaltem Wetter manchmal gemerkt haben, dass der Schnee verschwindet, obwohl es viel zu kalt zum Schmelzen war. Der Schnee ist direkt verdampft, oder besser gesagt sublimiert. Druck spielt hier keine große Rolle! Die dritte Grenzlinie trennt die Bereiche von gasförmig und flüssig. Sie verläuft hier schräg nach oben bis zu einem für jeden Stoff charakteristischen Endpunkt, der üblicherweise als kritischer Punkt bezeichnet wird. Dieser kritische Punkt ist durch die Zahlenwerte für die kritische Temperatur und den kritischen Druck festgelegt.
Was hier passiert, könnt ihr auch mit den Überlegungen von Demokrit ganz gut verstehen. Er stellte sich schon vor, dass die Atome in allen Stoffen in unterschiedlicher Bewegung sind. Das entspricht recht gut auch dem heutigen Bild!
In festen Stoffen sind die Atome oder Moleküle meist auf festen Plätzen angeordnet und führen um diese Plätze nur Zitterbewegungen aus. In Flüssigkeiten sind die Bewegungen viel weiträumiger und schneller, so dass die regelmäßige Anordnung der Atome in einem festen Kristallgitter zusammenbricht. In einem Gas sind die Bewegungen noch großräumiger und noch schneller als in einer normalen Flüssigkeit. Meist legen die Atome weite Strecken im freien Flug zurück, bevor sie wieder mit einem anderen Atom zusammenstoßen. In diesem Bild besteht der Unterschied zwischen einem Gas und einer Flüssigkeit nur in der Häufigkeit der Stöße und der Weite der freien Flugstrecken. Wenn man ein Gas zusammenpresst, werden diese freien Flugstrecken immer kleiner, so dass man bei gleicher Temperatur von der Gasphase in die flüssige Phase gelangen kann, aber nur unterhalb der kritischen Temperatur! Nur dann erreicht man bei dieser Kompression bei einem bestimmten Druck die Siedekurve. Dort fallen aus dem Gas solange Flüssigkeitströpfchen aus, bis das ganze Gas in den flüssigen Zustand umgewandelt ist. Diese Phasenumwandlung habt ihr beim Wasserkochen und beim Niederschlag von Dampf am kalten Topfdeckel schon beobachtet! Beim normalen Wasserkochen wird dabei die Temperatur bei konstantem äußeren Luftdruck erhöht. Bei konstantem Druck kreuzt man dabei die Siedekurve in diesem Phasendiagramm von unten nach oben beim Kochen und umgekehrt von oben nach unten beim Kondensieren. Beim Komprimieren wird dagegen die Siedekurve von links aus der Gasphase nach rechts in die flüssige Phase gekreuzt.
Ist die Temperatur größer als die kritische Temperatur, dann wird die Bewegung der Teilchen so heftig, dass die Anziehung zwischen den Teilchen keine große Rolle mehr spielt. Dann gibt es auch keine Kondensation von Tröpfchen mehr. Man befindet sich in dem Phasendiagramm oberhalb des kritischen Punktes, der das obere Ende der Siedekurve markiert. In diesem überkritischen Bereich oberhalb der kritischen Temperatur kann man flüssig und gasförmig nicht unterscheiden. Diesen Zustand kannten die alten Griechen und die Alchemisten noch nicht. Dieser überkritische Bereich aus der Welt der hohen Drücke ist inzwischen bei vielen reinen Stoffen genau untersucht. Bei vielen Stoffen, insbesondere bei Metallen und vielen Salzen sind dabei aber die Temperaturen schon so hoch, dass man bereits ein Plasma erzeugt. Da auch der Übergang in den Plasmazustand in diesem Phasendiagramm durch keine scharfe Grenze gekennzeichnet ist, sondern ganz allmählich durch die Zunahme an ionisierten Teilchen erfolgt, können wir hier auch keine extra Grenzlinie einzeichnen. Fällt euch hier auf, dass ein solches modernes Phasendiagramm doch noch viel Ähnlichkeit mit den Bildern der alten Alchemisten für die vier Elemente, für die vier Essentia, aufweist, nur dass man heute hier bei den vier Phasen meist vom Aggregatzustand der Materie spricht?
Helen: O.K., und wo bleibt hier die Quintessenz?
Der Alchemist: Anders als bei den alten Griechen, die nur die Vorstellung von unteilbaren Atomen entwickelten, tauchen in dem modernen Bild auch Moleküle, Atome, Ionen und Elektronen auf. Habt ihr denn in der Schule schon was von Radioaktivität gehört?
Helen: Na klar! Bei der Katastrophe in Fukushima wurde doch die ganze Umgebung radioaktiv verstrahlt!
Der