Versuchung. Nina Galtergo
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Er setzte sich auf den gemessen an der Größe des Büros vollkommen überdimensionierten Drehstuhl und das Warten begann. Durch die Tür konnte er hören, dass nun das Buffet eröffnet war, doch er hatte sowieso keinen Hunger. Die Minuten vergingen mit quälender Langsamkeit. Er legte seinen Kopf in seine aufgestützten Hände und merkte, dass diese unangenehm feucht und kalt vor lauter Aufregung waren. Lächerlich! Natürlich war das nicht die erste Frau, in die er sich verguckt hatte, denn verlieben konnte er sich immer sehr schnell. Vielleicht war das der einzige Bereich in seinem Leben, über den er nicht die Kontrolle hatte, aber das störte ihn nicht. Wenn der Funke übergesprungen war, mochte er es nicht, wenn zwei Menschen erst noch wochenlang umeinander herumstreiften wie hungrige Löwen um ein Hyänenrudel. Er legte die Karten lieber von Anfang an offen auf den Tisch und konfrontierte sich umgehend mit der Reaktion seiner Auserwählten. Wochenlanges Herumbaggern konnte zudem mitunter teuer werden und viel Geld hatte er noch nicht. Außerdem gab es kein beschisseneres Gefühl, als nach Wochen abgewiesen zu werden. Dann lieber kurz und schmerzlos, wenn noch nicht zu viel Verliebtsein im Spiel war.
Doch diese Frau war nicht irgendeine Frau, das war ihm von dem Moment an bewusst gewesen, als er sie in ihrem Haus das erste Mal gesehen hatte. Diese Frau hatte ihn eiskalt erwischt und schwirrte ihm seit einer Woche pausenlos durch den Kopf, morgens, mittags, abends und vor allem nachts. Das konnte sie tatsächlich sein, die große Liebe, und er war hoffnungslos in sie verliebt, das hatte er bei ihrem Wiedersehen heute sofort gewusst. Natürlich hatte er sich das nicht eingestehen wollen, dass er sich so einfach Knall auf Fall in eine Fremde verliebte, doch als er seinem besten Freund Markus voller Euphorie von der Begegnung mit Kirsten bei der Geburtstagsfeier berichtet hatte und ihm erläutert hatte, in welcher Verbindung sie zueinander standen, war dieser sehr überrascht gewesen und hatte schließlich lachend zu ihm gesagt:
„Alter, da kannst du jetzt noch so viele Haare in der Suppe suchen, du hast dich total verknallt in sie.“
Und Christoph hatte geahnt, dass Markus Recht behalten würde, als er sagte: „Wenn sie wirklich die eine für dich ist, musst du es zumindest versuchen, auch wenn deine Chancen schlecht stehen, Kumpel. Hättest es wirklich leichter haben können.“
Und weil es so war, würde er sie nicht kampflos aufgeben, weil sie mit einem ätzenden Aufschneider verheiratet war, der momentan sein Chef war. In acht Wochen würde er fertig sein, dann war er hier weg und der widerwärtige Florian Meiffert, der hinter seinem Rücken nur „Teigfresse“ genannt wurde, konnte ihn mal kreuzweise. Er würde seine Chance nutzen, wenn sie ihm denn eine einräumte. Wenn nicht, würde er auch ohne Kirsten Meiffert weiterleben, allerdings mit dem unguten Gefühl behaftet, etwas Außergewöhnliches verpasst zu haben.
Dass sie heute überhaupt noch mit ihm sprach, war eine ungeheure Erleichterung. Genauso gut hätte sie ihn nach seinem Kontrollverlust beim Abschied in ihrer Küche komplett ignorieren können, und das wäre ihr gutes Recht gewesen und er hatte das durchaus einkalkuliert. Denn was gab ihm die Erlaubnis, sich in ihre Ehe zu drängen? Dazu hatte er kein Recht, das war einfach falsch – wüsste seine Mutter davon, hätte sie ihm wohl unmissverständlich den Kopf gewaschen. „Junge, so etwas tut man nicht!“ Und das stimmte, so etwas machte Mann nicht. Und wenn sich wirklich mehr daraus entwickeln würde, wäre das Resultat eine zerstörte Ehe. Ihre Ehe. Und was, wenn es nicht langfristig funktionierte mit ihnen? Sie würde bestimmt nicht skrupellos lange zweigleisig fahren, so schätzte er sie nicht ein. Also würde sie seinetwegen ihren Mann verlassen, dabei war er selbst noch nie imstande gewesen, eine Beziehung zu führen, die länger anhielt, wobei sein bester Freund darauf beharrte, dass sich dieser Umstand ändern würde, wenn erst einmal die Richtige vor ihm stünde. Doch er verlor nichts und riskierte relativ wenig, im Gegensatz zu ihr. Sie verlöre ihr ganzes Leben, das sie nun führte, obwohl er sich eingestehen musste, dass er nicht genau wusste, was dieses Leben bis jetzt ausmachte. Sie wohnte in einem tollen Haus und hatte ihr Studium abgebrochen, arbeitete halbtags als Sekretärin und hatte relativ jung Florian Meiffert geheiratet. Mehr Informationen hatte er bisher nicht. Doch er vertraute auf ein Gefühl, das er bei der Geburtstagsfeier bekommen hatte: In der Ehe der Meifferts stand es nicht zum Besten. Und dieses Gefühl schien sich heute zu bestätigen, denn Kirsten Meiffert war auf dem Weg in sein Büro.
Die Tür ging nach einer halben Ewigkeit, durchsortierten Ablagefächern, einem aufgeräumten Rollcontainer und natürlich nach unzähligen Weihnachtsliedern einen Spaltbreit auf und sie schlüpfte herein. Durch seine Gedankengänge war er wieder relativ ruhig gewesen, doch nun machte sich die blanke Panik in ihm breit.
„Da bist du ja endlich“, sagte er erleichtert.
„Das war gar nicht so einfach, da wegzukommen“, beteuerte sie.
„Wo ist dein Mann?“, fragte er.
„In seinem Büro mit einer Sekretärin. Er hat mir gesagt, er müsste noch arbeiten.“
Das passte zu diesem furchtbaren Egomanen, dass er seine wunderschöne Frau alleine auf der Weihnachtsfeier stehen ließ, um zu arbeiten.
Für einige Sekunden herrschte ein beklommenes Schweigen zwischen ihnen, weil keiner es wagte, den Anfang zu machen aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Hier standen sie nun. Er, der ganz genau wusste, was er wollte, und sie, die nicht verstand, wieso sie genau das unbedingt wissen wollte. Weshalb sie sich dem Reiz ihrer Begegnung nicht entziehen konnte.
„Weißt du“, begann er schließlich vorsichtig, „ich wollte dich eben nicht erschrecken, ich wollte dich generell nicht erschrecken“, korrigierte er sich hastig, „aber ich bin lieber ehrlich und sage dir von Anfang an, woran du bei mir bist“. „Jetzt bloß keinen Fehler machen", fügte er in Gedanken hinzu.
„Du hast mich vollkommen überrumpelt damit, mit allem, was du tust. Ich bin verheiratet, und du solltest nicht solche Sachen zu mir sagen oder mir Küsschen geben und mich umarmen“.
Womit sie zweifelsohne Recht hatte.
„Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich sehr interessant finde. Sehr, sehr interessant“, fügte er ernsthaft hinzu.
„Interessant auf welche Art?“, fragte sie unsicher zurück.
Oh Gott, sie zwang ihn wirklich dazu, es ihr in aller Deutlichkeit zu sagen, dabei fürchtete er nichts mehr als das. Wenn er die Karten offen auf den Tisch legte, gab es wirklich kein Zurück mehr. Dennoch, er würde es sich niemals verzeihen, diese eine Chance verstreichen zu lassen. NIEMALS.
„Interessant auf eine Art, auf die du nicht interessant für mich sein solltest, weil du ja vom Markt bist. Aber natürlich gibt es mir Hoffnung, wenn du mich nach unserem Treffen beim Geburtstag noch grüßt und mit mir sprichst.“
Du machst ihm Hoffnung, sagt er. Au weia.
„Ich kann das nicht richtig nachvollziehen. Wie definierst du interessant?“ Natürlich konnte sie es nachvollziehen, doch sie wollte es hören. Sie musste es hören. Bei dem Risiko durften keine Fragen offen bleiben, da mussten alle Zweifel vom Tisch sein. Und Gründe für Zweifel gab es zur Genüge.
„Ist das wirklich so schwer zu erraten? Du scheinst dir keinen Begriff davon zu machen, wie attraktiv du bist.“
Sie schwieg, ratlos, fassungslos, ein bisschen aber auch geschmeichelt, erfreut, ermutigt, das Spiel weiterzuspielen, nur um zu sehen, nur um auszutesten. Das war genau genommen nicht allzu schlimm, wenn sie es nicht auf die Spitze trieb. Ein bisschen unfair ist es vielleicht schon, aber nur ein bisschen.
Ihr eisiges Schweigen zwang ihn dazu, weiter auszuholen, als er es eigentlich vorgehabt hatte. Er hatte