PICKNICK IN PLUNDERLAND. Erhard Schümmelfeder

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PICKNICK IN PLUNDERLAND - Erhard Schümmelfeder

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es so schlimm mit ihm?“

      „Am Stacheldraht hat er sich aufgeschlitzt!“

      „Am Stacheldraht?“

      „Ja. B-b-is aufn Knochen!“

      Frl. Lampe ging eilig ins Schulgebäude und kam mit Ver­bandszeug und einer blauen Flasche zurück. Drau­ßen, auf der Bank vor unserem Klassenzimmer, saß mein Vater inmitten ei­ner Traube von Kindern, die ge­spannt verfolgten, was ich hier angestellt hatte.

      „Tut es sehr weh?“, erkundigte Frl. Lampe sich mit­fühlend bei meinem schüchternen Vater.

      „Sehr“, sagte mein Vater und biss die Lippen auf­ein­ander.

      Nach und nach kamen alle Kinder der Schule näher und um­ringten unsere beiden jungen Lehrer.

      „Dann muss ich Ihnen leider noch einmal weh tun“, sagte Frl. Lampe und schraubte den Deckel der blauen Flasche ab.

      „Was ist das?“, fragte Keule interessiert.

      „Das ist Jod“, erklärte Frl. Lampe. „Es wird über die offene Wunde gegossen, damit sie sich nicht ent­zün­det.“

      „Jod kenne ich“, sagte Minni kühl. „Es brennt wie Feuer!“

      Mein Vater lächelte gequält. „Besser Jod als tot“, sagte er halblaut.

      „Sie werden es überleben“, versprach Frl. Lampe und goss ein paar Tropfen in die Wunde.

      Ich bemerkte zufrieden, dass mein Vater keine Miene verzog, als Frl. Lampe die Wunde abtupfte und ein kleines Pflaster über den Finger klebte.

      „Gut so?“, fragte sie lächelnd, wobei man ihre schö­nen weißen Zähne sehen konnte.

      „Perfekt“, erkannte mein Vater ihre Hilfe an. „Ich bedanke mich herzlich. Sie haben mir das Leben ge­ret­tet.“

      „Finden Sie?“, fragte Frl. Lampe und legte ihre Stirn in viele kleine Falten.

      Mein Vater räusperte sich und blickte in die Runde der Kin­der, die, während sie gespannt zuhör­ten, eifrig ihr Pausenbrot aßen.

      „Nun“, sagte mein Vater bedeutsam, „der Mensch lebt nicht vom Jod allein.“

      Frl. Lampe wurde ein ganz klein wenig rot, und mein Vater fragte:

      „Haben Sie eigentlich schon gefrühstückt?“

      „Nein“, sagte sie. „Ich fürchte, ich habe heute Mor­gen in der Eile vergessen, mein Brot in die Tasche zu stecken.“

      „Picknick hat ihr Brot aufgefressen!“, petzte Ange­ber.

      „Das stimmt nicht!“, verteidigte ich mich.

      Ein Murren durchlief die aufgeregte Kinderschar.

      „Wie auch immer“, sagte mein Vater freundlich. „In diesem Fall lade ich Sie ein, mit mir zusammen zu frühstücken.“

      „Aber das geht doch nicht“, sagte Frl. Lampe ver­un­sichert.

      „Doch, das geht!“, rief Beule überschwänglich.

      „Ja, das geht!“, stimmten gleich mehrere Kinder ein.

      „Sie müssen was essen“, sagte Babette mit tiefem Ernst.

      „Ja“, ließ Keule sich über die Köpfe der anderen Kinder hin­weg vernehmen. „Sonst wird Ihnen gleich ganz schlecht.“

      „Da hören Sie es“, sagte mein Vater. „Ich glaube, die Kinder haben Recht.“

      „Unter dieser Voraussetzung bin ich selbstver­ständ­lich bereit, Ihr großzügiges Angebot anzunehmen“, willigte Frl. Lampe ein.

      Vater wickelte das Pergamentpapier seines Früh­stücksbrotes auseinander, nahm eine mit Salami be­leg­te Schnitte heraus und reichte sie seiner Kollegin.

      „Hm“, machte sie, als sie mit Genuss in das frische Landbrot biss.

      „Schmeckt es?“, fragte ich mit echtem Interesse.

      „Köstlich“, sagte Frl. Lampe. „Ist das Brot von un­se­rem Bäcker aus Plunderland?“

      „Ja“, antwortete mein Vater. „Aus der Bäckerei Lehmann. Das beste Brot weit und breit!“

      Alle Zuschauer kauten in Gedanken jeden Bissen mit. Ein paar winzige Krümel fielen herunter auf die Erde.

      „Die holen sich gleich die Spatzen“, sagte mein Va­ter und wies mit dem Kopf auf den ausladenden Lin­denbaum, in dessen Geäst einige Spatzen hin und her hüpften. „Hier habe ich noch etwas Feines.“ Er öffnete seine Brotdose, zerriss vorsichtig ein run­des Stück Ku­chen in zwei Hälften und reichte Frl. Lampe eine da­von. „Plunderländer Bienenstich“, er­klärte er. „Etwas für Genießer.“

      „Hmmm“, ließ Frl. Lampe sich vernehmen und biss von dem duftenden weichen süßen Kuchen ein kleines Häppchen ab. ”Da kann man einfach nicht nein sagen.“

      „Kann es Schöneres geben?“, fragte mein Vater kühn. Dies­mal, so schien es, wurde er ein wenig rot, und Frl. Lampe ver­drehte belustigt ihre hübschen grü­nen Augen.

      „Schmeckt der Kuchen auch gut?“, fragte Beule sachlich, wo­bei er sich eilig an den anderen Kindern vorbeidrängelte.

      „Hier“, sagte Frl. Lampe und zupfte ihm ein Stück­chen ab.

      „Darf ich auch mal probieren?“, fragte ich, obwohl ich eben erst mein eigenes Frühstück gegessen hatte.

      „Natürlich“, sagte mein Vater und zerpflückte sei­nen Kuchen in viele kleine Häppchen. Frl. Lampe tat es ihm nach.

      „Bedient euch, Kinder!“

      Alle kosteten von dem süßen Kuchen, von dem Frl. Lampe meinte, er sei ein Gedicht, und alle waren sich einig, es gebe nichts Schöneres.

      Mein Vater holte aus seiner Jackentasche einen rot­gelben Apfel heraus, zerschnitt ihn mit seinem silber­nen Taschenmes­ser in der Mitte und reichte seiner Kollegin eine Hälfte.

      „Auch diesen reifen Apfel wollen wir gerecht teilen“, sagte er ritterlich. „Ich gebe Ihnen selbstver­ständlich gern die rote Hälfte.“

      Frl. Lampe aber zögerte, das Apfelstück anzuneh­men. Sie lä­chelte meinen Vater vieldeutig und ver­schwörerisch an und sagte:

      „Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die gelbe Hälfte zu überlassen?“

      „Warum?“, fragte mein Vater ahnungslos.

      „Darum“, antwortete Frl. Lampe leise und vergnügt, und alle in der weiten bunten Runde lach­ten.

      Das Klingelzeichen über der Eingangstür unserer Schule er­tönte. Die Pause war zuende.

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