Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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Gebot, mein lieber Sohn?«

       »Du sollst nicht stehlen,« antwortete er ernsthaft, als ob er ein Examen zu bestehen hätte.

       »Hältst du mich etwa für fähig, ein Dieb zu sein?«

       »Ja.«

       »Mensch, ich fordere dich!«

       »Das ändert nichts an der Sache. Wer moralisch so heruntergekommen ist, daß er bayrische

       Cigarren nach Böhmen schmuggelt, der ist jeder Schandthat fähig.«

       »Also du auch, mein ehrwürdiger Vater! Kannst du mir beweisen, daß ich schon einmal

       gestohlen habe?«

       »Ob ich das kann, ist hier gleichgültig; die Hauptsache ist, daß du höchst wahrscheinlich heut

       in der Nacht gestohlen haben wirst, ehe der Hahn zum drittenmal kräht.«

       »So sage mir doch endlich, was mich reizen soll, eine solche Sünde gegen dein bescheidenes

       Eigentum zu begehen!«

       »Ich spreche nicht von meinem, sondern von dem Eigentume unsers hochherzigen Gastgebers

       Franzl. Schau um dich, und schau über dich! Wende ganz besonders deinen Blick nach

       oben!«

       »Ach, jetzt verstehe ich!« lachte er.

       »Lache nicht, oh du mein armes Schmerzenskind! Wer bei dem Gedanken an die Sünde so

       leichten und fröhlichen Herzens sein kann, wie du bist, der ist ihr bereits verfallen. Du hast

       weder am Mittag noch am Abend etwas gegessen; es wird die Pein des Hungers über dich

       kommen und dich aus dem Schlafe wecken. Wenn du dann den erquickenden Duft der

       Fleischer-, Schlächter-, Selcher- und Wurstler-Gilde verspürst und dein geistiger Blick sogar

       zu gleicher Zeit nach jenen lieblichen Kuchenschragen gerichtet wird, so steht dir die

       schwerste Versuchung nahe, da in jeder Wurst ein Satan wohnt und der oberste der Teufel die

       Gewohnheit hat, grad die frömmsten Herzen mit geräuchertem Schinken zu bombardieren. Es

       ist meine Pflicht, dich zu warnen; nun sorge du dafür, daß meine wohlgemeinten Worte nicht

       auf den Felsen oder unter die Dornen fallen, wo sie nicht aufgehen und Früchte tragen

       können! Halte fest an deiner Pflicht, und bleibe ein ehrlicher Mensch! Und nun Gutenacht,

       mein teurer Sohn!«

       »Gute Nacht, lieber Urgroßvater! Willst du dich wirklich schon schlafen legen?«

       »Ja, denn es ist für die Gesundheit stets besser, der Nachtwächter zu sein, der die Nachtwacht

       in der Vormitternacht gewacht gehabt hat, als der Nachtwächter, der die Nachtwache in der

       Nachmitternacht gewacht gehabt hat. Auch das kannst du dir merken!«

       »Ich wollte dich nur fragen, ob ich unsers Geldes wegen die Thür verriegeln soll?«

       »Thue es, oder thue es nicht; das ist ganz egal, da wir nicht wissen, ob sich hier im Zimmer

       oder außerhalb desselben die gefürchteten diebischen Gelüste regen werden.«

       »Hast du Zündhölzer bei dir?«

       »Ja, ein ganzes Päckchen und das Fläschchen dazu.«

       »So lege sie dir zu Hand! Ich werde zwar zuschließen, aber man weiß nicht, ob es fest genug

       ist. Schläfst du rechts oder links?«

       »Auf beiden Seiten, denn ich pflege mich öfters umzudrehen.«

       »Ich meine, in welchem Bette du schlafen willst!«

       »Jedenfalls nicht in dem, in welches du dich legen wirst.«

       »Schrecklicher Mensch! Ich nehme das hier rechts.«

       »Wo grad die schönsten Würste darüber hängen? Nein, mein Sohn, das nehme ich. Leg du

       dich in das andere; da ist der Himmel leer!«

       »Höre, Sappho, ich glaube, daß du mich vor dem Diebstahle gewarnt hast, nur um ihn selbst

       zu begehen!«

       »Das beweist, daß du mit Muhammed, der auch einen falschen Glauben gepredigt hat, auf der

       gleichen Stufe stehst. Nun aber laß mich ruhen! Nochmals Gutenacht!«

       »Gute Nacht, edler Meergreis; Schlaf wohl!«

       Ich löschte das Licht aus, setzte es auf meinen Stuhl und legte mich nieder. Als ich grad am

       Einschlafen war, hörte ich Carpios Stimme:

       »Höre, ob sie es wohl abgeben wird?«

       »Was?«

       »Nun, mein Empfehlungsschreiben.«

       »Ach so! Ja, wo lebt denn dein Verwandter?«

       »Das weiß ich nicht.«

       »Was ist er?«

       »Das weiß ich nicht.«

       »Wie heißt er?«

       »Das weiß ich nicht.«

       »Höre, lieber Freund, wenn dein Verwandter etwa nur in deiner Phantasie zu suchen ist, so

       war es eine Schlechtigkeit von dir, dieser armen Frau weiszumachen, daß – –«

       »Schweig!« unterbrach er mich. »So ein Halunke bin ich natürlich nicht. Mein Verwandter

       existirt wirklich, aber nur für solche Leute, für welche ich ihn existiren lassen will.«

       »Also für mich nicht?«

       »Nein.«

       »Für andere Mitschüler, wie ich erfahren habe, auch nicht?« »Nein.«

       »Danke!«

       »Bitte! Fühlst du dich etwa beleidigt?«

       »Natürlich! Das nennt sich Busenfreund!«

       »Hm! Sappho, ich will dir etwas sagen: Ich habe einen guten Grund, gewisse Menschen nicht

       über diesen meinen Verwandten aufzuklären.«

       »Wer sind diese gewissen Leute?«

       »Alle Personen männlichen Geschlechtes, welche ungefähr in meinem Alter stehen.«

       »Warum grad dieses?«

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