Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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Das Zimmer, in welchem wir schlafen sollten, war nicht gebrauchsunfähig und dennoch,

       zumal nach unserer persönlichen Ansicht, eine gute Stube im wahrsten Sinne des Wortes. Es

       standen da zwei breite Betten, so breit, daß jedes von ihnen drei Personen genügend Platz

       geboten hätte, der schon erwähnte Glasschrank, ein Tisch, ein Kanapee und zwei Stühle.

       Mehr als diese Möbel aber interessierte uns ein dreibeiniger hölzerner Schragen, welcher

       wohl ein Dutzend Äpfel-, Käse-, Quark- und andere Kuchen trug. Noch entzückender war der

       Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren

       zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle

       möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit

       einem kräftigen Dufte, dessen Wirkung sich nicht nur auf die Geruchs-, sondern auch auf alle

       übrigen Nerven zu erstrecken schien, denn Carpio, der eben noch so hinfällige, richtete sich

       zu seiner vollen Länge empor, sog den Geruch mit Wohlbehagen ein und sagte:

       »Freund Sappho, ein gütiges Geschick hat uns in das Elysium geführt; Franzl ist das

       Geschick, und wo sich das Elysium befindet, das brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Es weht

       ein Odem überirdischen Behagens hier, dem jede Krankheit weichen muß. Ich werde die

       letzten zwei Stunden in meinem ganzen Leben nicht vergessen; es war mir unbeschreiblich

       schauderhaft zu Mute. Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch, sondern ich kam mir wie ein

       großer, dicker Sack voll Jammer und Elend vor. Ich habe alle zehntausend

       Niederträchtigkeiten des Erdenlebens in diesen beiden Stunden durchgemacht und bin davon

       so vollständig befriedigt worden, daß ich satt genug für immer bin. Das Nikotin ist ein

       Drache, der mich niemals wieder in seine Krallen bekommen soll, und das Alkohol eine

       Schlange, die ich zähmen werde, weil man doch nicht für immer von ihr loskommen kann,

       denn sie taucht in hunderterlei Arten auf, die oft gefährlich, zuweilen aber auch nützlich sind.

       In meiner höchsten Qual und Not nahm ich mir vor, dir, meinem Freunde, an Eides statt ein

       heiliges Versprechen abzulegen, nur wußte ich noch nicht in welcher Form. Nun ich aber hier

       in dieser guten Stube die verloren gegangene Lebensfreude wieder finde und auch fast wieder

       logisch denken kann, verspreche ich dir bei diesen Schinken und Würsten, welche die

       erlaubten, die wahren Genüsse des Lebens repräsentieren, daß ich mich niemals wieder von

       einem heuchlerischen, hinterlistigen Genusse verlocken lassen werde, auf meine

       Menschenwürde, wenn auch nur für eine Stunde, zu verzichten. Es ist nicht Scherz, sondern

       mein vollster, wahrster Ernst. Nie wieder soll der Tabak meine Lippen berühren, und jedes

       Getränk, welches Alkohol enthält, sei mir fortan nur als Arznei erlaubt. Ich habe mein

       Versprechen bei diesen ehrlichen Schinken und hochachtbaren Würsten abgelegt; du bist

       dessen Zeuge und sollst mich vor jedermann für einen ehrlosen Menschen erklären, wenn du

       mich jemals rauchend oder gar berauscht zu sehen bekommst. Hier, meine rechte Hand

       darauf!«

       Der sonst so wortkarge Freund pflegte nur gegen mich, zumal während unsrer Wanderungen,

       aus seiner Schweigsamkeit herauszutreten; jetzt hatte er gar eine Rede gehalten, was mir als

       unumstößlicher Beweis dafür diente, daß es ihm völliger Ernst mit seinem Versprechen war.

       Ich will übrigens gleich jetzt und im voraus bemerken, daß, wie meine lieben Leser später

       auch selbst noch sehen werden, er dieses Versprechen stets gehalten hat.

       Ich nahm die mir dargereichte Hand, schüttelte sie ihm herzlich und sagte:

       »Es freut mich, daß du die Lehre, welche du erhalten hast, beherzigen willst. Die Virginias

       wachsen nicht für Knaben, sondern nur für erwachsene Männer auf den Tabaksbäumen

       Österreichs.«

       »Du nennst mich, deinen Busenfreund, einen Knaben?!«

       »Ja.«

       »Und denkst wohl aber, du selbst seist ein Mann?«

       »Ja.«

       »Wohl etwa nur darum, weil die Cigarren dich nicht elend gemacht haben wie mich?«

       »Ja, denn es war eine höchst männliche Selbstbeherrschung von mir, daß ich dieses Kraut des

       Teufels mäßig genossen habe, während du grad wie ein kölner Funke geräuchert und

       gestopfholzt hast.«

       »Dafür hast du aber mehr Wein getrunken als ich!«

       »Weil ich merkte, daß ich ihn vertragen konnte!«

       »Ja, leider bist du in dem glücklichen Besitze eines Magens, dem es ganz gleichgültig ist, ob

       er jetzt drei volle Tage hungern und gleich darauf einen ganzen Berg voll Kieselsteine,

       Beißzangen und Ofengabeln verdauen muß! Das ist aber gar kein Beweis der Männlichkeit,

       mit welcher du dich brüstest. Wer einen Knaben seinen Busenfreund nennt, ist selbst noch ein

       Knabe; das merke dir. Nicht du selbst bist mir über, sondern nur dein Magen ist besser als der

       meinige; das ist die ganze, bevorzugte Stellung, welche du in der heutigen Weltgeschichte

       einnimmst.«

       »Mein Sohn, ich habe dich vor den Folgen des Tabaks gewarnt, und wer einen andern

       Menschen warnt, der beweist damit, daß er ihm über ist. Ich habe sogar jetzt wieder eine

       Warnung, eine sehr ernste, eindringliche und berechtigte Warnung auf den Lippen.«

       »Welche?«

       »Bist du bereit, sie zu vernehmen?«

       »Ja.«

       »Und wird deine Moralität auch kräftig genug sein, sie zu beherzigen?«

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