Weihnacht von Karl May. Karl May
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»Ich wollte, ich wäre reich, wenigstens wohlhabend genug, ihr helfen zu können. Sie wird
früh, wenn wir aufstehen, mit ihrem Vater und mit ihrem Kinde verschwunden sein.«
»Verschwunden? Fällt ihr nicht ein!«
»O doch!«
»Nein. Sie wird ausschlafen und dann Kaffee trinken; hernach werden wir sehen, ob der Alte
fortkann oder nicht.«
»Haben Sie nicht gehört, daß sie Lebewohl und nicht Gutenacht gesagt hat?«
»Das ist nicht so wörtlich zu nehmen, wie Sie denken.
Aber, Herr Capp – Carp – Carpio, was ist denn mit Ihnen? Was machen Sie für ein Gesicht?«
Mein Busenfreund hatte die Ellbogen auf den Tisch gestemmt und das Gesicht in die Hände
vergraben. Als er auf die Frage des Wirtes die Hände entfernte, sahen wir, daß seine Wangen
bleifarben und seine Augen matt geworden waren. Die Unterlippe hing ihm weit herab.
»Ihre – – Ihre – – Frau – – Frau!« seufzte er.
»Was ist mit meiner Frau?«
»Die ist schuld!«
»Woran?«
»Mir ist, als – – als – – als ob ich – – sterben müßte!«
»Unsinn! Da ist die Cigarre schuld; die Virginias sind für Sie zu schwer gewesen.«
»Nein – nein – – nein! Über Ihre Frau bin ich – – – so sehr erschrocken – – – aber nicht über
die Virginias.«
»Erschrocken? Warum denn eigentlich?«
»Sie kam – – herein wie eine – – eine Furie!«
»Ach was Furie! Meine Frau ist eine Seele von einer Frau und keine Furie. Da, nehmen Sie
ein volles Glas, und trinken Sie es aus! Das ist das beste Mittel, wenn einen der Cigarrenteufel
in den Magen beißt.«
»Nein, nicht beißt, sondern hebt – hebt – – hebt und sogar um – – um – – umwenden will!«
»Trinken Sie nur! Es hilft; ich weiß es genau.«
Ich wußte nicht, ob das empfohlene Mittel wirklich anzuraten sei, denn meine Bekanntschaft
mit dem Weine und seinen Wirkungen war damals genau so tief und umfassend, wie die
Kenntnisse eines Eskimo über Datteln und Bananen; aber weil Franzl mit solcher
Überzeugung zuredete, unterstützte ich seinen Rat, worauf mein Busenfreund das Glas leerte
und dann wie ein Seekranker nach dem Kanapee wankte, um sich auf demselben
auszustrecken. Ich bat den Wirt, uns schlafen gehen zu lassen; er aber erklärte lachend:
»Fällt mir gar nicht ein! Wir bleiben noch recht hübsch beisammen. Ich muß die Gelegenheit
ausnützen, denn an Ihr Wiederkommen darf ich doch nicht glauben, denn das mit dem
Paschen war doch bloß Phantasie?«
»Ja; es versteht sich doch ganz von selbst, daß wir keine Schmuggler sind. Wir haben pro
Person zwei Cigarren in die Stiefel gesteckt, obwohl ich wußte, daß man mehr mitnehmen
darf. Ich wollte Carpio nicht um das Vergnügen bringen, sich für einen staatsgefährlichen
Menschen zu halten.«
Da richtete sich der Genannte kerzengerade vom Kanapee auf und sprach mich mit hohler,
drohender Grabesstimme an:
»Ich staatsgefährlich? Ja! Wenn es mir so bleibt, wie es mir jetzt ist, so – – so – – kann es
schrecklich werden, denn da – da – da falle ich gleich wieder um!«
Er that, was er gesagt hatte. Franzl lachte lustig auf; ich aber hatte Sorge um den Freund und
drang so lange in den unermüdlichen Wirt, bis er, allerdings gegen das Versprechen, morgen
noch bei ihm zu bleiben, darauf einging, uns unser Zimmer zu zeigen. Ich zog Carpio vom
Sofa auf und umfaßte ihn, um ihn zu führen; er aber riß sich los und sagte:
»Ich brauche keine Stütze. Ich bin nur drehend von den starken Cigarren, die – – die – – ich
habe ja nichts, gar nichts gegessen!«
»Ich glaube, der Wein ist auch mit schuld.«
»Möglich! Doch darüber später, wenn wir allein sind. Komm!«
Er nahm mich bei der Hand und wankte, während Franzl uns leuchtete, an derselben hinaus
und die Treppe hinauf, wo unsere »gute Stube« lag. Als uns der Wirt in diese geführt hatte,
sagte er uns Gutenacht und ging, indem er das Licht zurückließ. Wir sahen uns um.
»Gute Stube!« Jawohl, das war sie allerdings, und zwar eine sehr gute, eine außerordentlich
gute Stube! Man weiß, was für einen Raum der Bürgersmann mit diesem Ausdrucke zu
bezeichnen pflegt, nämlich eine Stube, in welcher alle möglichen und unmöglichen
sogenannten »besseren« Möbeln und sonstige Herrlichkeiten vom Urgroßvater her aufgestellt
und zusammengeschachtelt werden, wobei natürlich auch der obligate Glasschrank nicht
fehlen darf. Dieses Raritätenkabinett wird selten betreten, noch seltener gelüftet, gilt als
Familienheiligtum und darf nur alle Jahrhunderte einmal einem Gaste, den man besonders
ehren will, als Schlafzimmer dienen.
Auch die besser situierten Stände haben gute Stuben, allerdings »Salons« genannt. An ihre
Einrichtung ist mehr Geld verschwendet worden, als die Mittel eigentlich erlauben; diese
teuren Sachen müssen geschont werden; darum sind sie nicht zum Gebrauche sondern zum
Prunk, zum Anstaunen da, und selbst wenn der Hausherr es einmal wagen wollte, sich auf
einen solchen Stuhl zu setzen oder den Teppich mit seinen Stiefeln zu berühren, würde er von
der Dame des Hauses einfach und ohne Anwendung übermäßiger Höflichkeit zur Thür