Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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wurde heute

       Auch dein Heiland Jesus Christ!‹« – –

       Da legte der Alte die ausgebreiteten Hände wieder ineinander, sank auf den Stuhl zurück,

       schloß, indem ein seliges Lächeln über sein Gesicht ging, die Augen und wiederholte leise,

       doch so, daß wir sie hörten, die Worte:

       »Darum gilt auch dir die Freude, – – die uns widerfahren ist, – – denn geboren wurde heute –

       – auch dein Heiland Jesus Christ! Das gilt auch mir – – mir – – – mir! Ich habe ihn gesucht –

       gesucht – gesucht – – und heut ist er gekommen! Ich sehe ihn; ich sehe seinen Stern; ich sehe

       das Licht, welches da leuchtet auf den Feldern von Bethlehem! Und wie war das, wie? Ich

       meine das, was Simeon sagte, als er im Tempel den Heiland sah.«

       Ich nickte Carpio zu, und dieser antwortete:

       »Herr, nun lässest du in Frieden

       Deinen Diener zu dir sehn,

       Denn sein Auge hat hienieden

       Deinen Heiland noch gesehn!«

       »Ja, ja, so ist es; ich sehe ihn!« fuhr der Alte fort, noch immer geschlossenen Auges. Er

       bewegte die Lippen wieder wie früher, jetzt aber nicht betend; das sah man deutlich; er schien

       nach Worten zu suchen, nach Worten, welche er gehört hatte und in ihrem Zusammenhange

       nicht wiederfinden konnte. Dann fragte er: »Und wie, wie heißt es in dem Gedichte von dem

       Sünder? Wie sagte er, als er um Erbarmen flehte?«

       Diesesmal antwortete Carpio, ohne meinen Wink erst abzuwarten:

       »Betend faltet er die Hände,

       Hebt das Auge Himmel an:

       ›Vater, gieb ein selig Ende,

       Daß ich ruhig sterben kann!

       Blicke auf dein Kind hernieder,

       Das sich sehnt nach deinem Licht;

       Der Verlorne naht sich wieder;

       Geh mit ihm nicht ins Gericht!‹« – –

       »Blicke auf dein Kind hernieder,« wiederholte der Greis,- – »das sich sehnt nach deinem

       Licht; – – der Verlorne naht sich wieder; – – geh mit ihm nicht ins Gericht! – – – Nicht, nein,

       nein! – – nicht ins Gericht!« rief er laut aus, indem er die Augen weit aufriß und mit einem

       angstvollen Blicke rund um sich starrte. Dann schloß er sie wieder; der Ausdruck der Angst

       verschwand; ein leises, uns zu Herzen gehendes Lächeln breitete sich über sein Gesicht, und

       dann kam es flüsternd und immer leiser und langsamer werdend über seine Lippen: »Suchtest

       du noch im Verscheiden – – droben den Erlösungsstern – – wird er dich zur Wahrheit leiten –

       – und zur Herrlichkeit des Herrn – –! Wahrheit – – Herrlichkeit, oh Herrlichkeit – –! Ich bin

       müde; ich will schlafen, schlafen gehen – – schlafen gehen – – schlafen!«

       Er legte den Kopf hintenüber und ließ ihn dann zur Seite nach der Schulter fallen.

       »Mein Gott, er stirbt – er stirbt!« sagte der Wirt besorgt.

       »Nein, er stirbt nicht,« beruhigte ihn die Frau. »Er ist nur müde von dem weiten, schweren

       Wege und von der innern Erregung jetzt. Er hat oft solche doppelte Müdigkeit. Aber schlafen

       muß er jetzt. Bitte, sagen Sie mir, wohin ich ihn bringen soll!«

       »Bringen? Sie werden ihn tragen müssen?«

       »Halb geht er, und halb halte ich ihn.«

       »Ich werde Ihnen helfen. Wir haben oben eine Stube mit drei Betten. Ihr Sohn mag dort das

       Licht nehmen!«

       Sie griffen dem Alten unter die Arme und zogen ihn empor; er kam wieder zu sich und schritt,

       von ihnen unterstützt, doch ohne die Augen zu öffnen, zur Thür hinaus. Als ich nun mit

       Carpio allein war, sagte dieser:

       »Das war eine unerwartete Weihnachtsfeier, unerwartet und ergreifend, wie ich noch keine

       erlebt habe! Aber, Sappho, was sagst du dazu? Diese Leute sind keine gewöhnlichen Leute;

       ich glaube nicht, daß sie dem gewöhnlichen, dem Arbeiterstande angehören.«

       Der allerwegs zerstreute Freund pflegte dergleichen Beobachtungen sonst nicht zu machen;

       ich war ganz seiner Ansicht, erkundigte mich aber:

       »Warum denkst du das?«

       »Sie haben eine Weise, sich auszudrücken, welche auf einen bessern als den gewöhnlichen

       Arbeiterstand schließen läßt. Und sodann hat der Alte die Disposition, den Gedankengang

       deines Gedichtes so schnell begriffen und sich einzelne Strophen so leicht gemerkt, daß ich

       darauf schwören möchte, er habe es früher mehr mit geistiger als mit anderer Arbeit zu thun

       gehabt. Oder bist du anderer Meinung?«

       »Nein. Ich vermute sogar noch mehr.«

       »Was?«

       »Daß diese Familie unter einem sehr schweren Schicksale gelitten hat.«

       »Verdienter Weise?«

       »Ob verdient oder nicht verdient, das kann ich natürlich nicht wissen. Der angstvolle Blick,

       mit welchem der Greis so plötzlich aufgerissenen Auges um sich schaute, giebt auch keinen

       Anhalt. Diese Angst kann sich sowohl auf eigene wie auch auf erlittene Missethaten beziehen.

       Doch, das geht uns nichts an. Ich stimme dir aber darin bei, daß es wirklich eine ergreifende

       Weihnachtsfeier war, die ich nicht so leicht vergessen werde.«

       »Ich auch nicht. Du hast recht: Diese Leute gehen uns eigentlich nichts an; aber ich möchte

       doch gar zu gern wissen, wer oder was sie sind oder vielmehr früher gewesen sind.«

       Jetzt kam der Wirt, um die bescherten Gegenstände

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