Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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was wir mit euch machen. Vor allen Dingen werdet ihr Hunger

       haben. Setzt euch dort an den Tisch!«

       Die Frau warf ihm einen innigen Blick des Dankes zu und folgte seiner Aufforderung; die

       Wirtin aber stand unwillig brummend von ihrem Stuhle auf und verschwand in der Küche.

       Als sie hinaus war, raunte uns Franzl in vertraulichem Tone zu:

       »Jetzt ist sie wild; aber ich thu doch, was ich will. Mann ist Mann, und wenn er tausend

       Weiber hat; annus producit, non ager, und nach dem Stalle werde ich diese armen Teufel doch

       nicht weisen.«

       Auch wir zwei fühlten Mitleid mit den Leuten und thaten ungesäumt, was wir, die wir hier

       nichts zu sagen hatten, thun konnten: Ich trug mein volles Weinglas dem Alten hin, um ihn

       trinken zu lassen, und Carpius, dessen Teller noch voll war, gab ihn dem Knaben, der sich mit

       wahrem Heißhunger sofort über das Essen machte.

       Es verging eine ziemliche Weile, ohne daß die Wirtin wiederkam; da wurde nun auch Franzl

       wild; er stand vom Tische auf und ging in die Küche, aus welcher dann die durch die Thür

       unterdrückten Töne eines sehr unregelmäßig komponierten Duettes zu uns drangen. Im ersten

       Teile hatte der sehr erregte Diskant die Führung, während der Baß nur zuweilen in

       besänftigender Weise einfiel; dann aber änderte sich die Stimmführung allmählich, bis sich

       der Baß in sehr kräftigen Kadenzen produzierte und der Sopran seine Existenz in einem

       verschwindenden Triller aushauchte, dem wir es deutlich anhörten. daß die Wirtin der Küche

       durch eine zweite Thür Valet sagte. Dann kam Franzl strahlenden Gesichtes wieder.

       »Sie ist zur Nachbarin gegangen, wo nun weiter geblasen wird,« gestand er uns, die wir nicht

       wenig stolz auf dieses sein Vertrauen waren. »Inzwischen können wir hier machen, was wir

       wollen. Nun passen Sie einmal auf!«

       Er nahm die große, noch halbvolle Fisolenschüssel und trug sie den Leuten hin; er nahm die

       ebenso noch halbvolle Fleischschüssel und trug sie den Leuten hin; er nahm noch eine ganz

       volle Weinflasche und trug sie den Leuten hin; er nahm alles, was auf unserm Tische stand

       und lag, und trug es den Leuten hin, und als es nichts mehr zu nehmen und zu tragen gab,

       setzte er sich noch selber zu ihnen hin und forderte uns auf:

       »Kommen Sie auch her, meine Herren Studenten! Wir wollen uns mit diesen guten Leuten

       über Amerika unterhalten. Vielleicht können wir Neues von drüben erfahren, da der Mann

       dieser Frau geschrieben hat.«

       »Interessieren Sie sich für Amerika?« fragte Carpio.

       Er besaß nämlich eine große Vorliebe für das Land jenseits des atlantischen Oceanes, denn es

       wohnte ein Verwandter von ihm drüben, von dem seine Eltern zuweilen einen Brief bekamen.

       Welchen Grades die Verwandtschaft war, hatte ich nie von ihm erfahren können. Er liebte es,

       den amerikanischen Vetter so tief wie möglich zu verschleiern, und ließ aus diesem Dunkel

       nur zuweilen drei einzelne Blitze hervorschießen, die mir nach und nach so bekannt wurden,

       daß ich sie endlich selber auch hervorschießen lassen konnte: Erster Blitz – – El Dorado!

       Zweiter Blitz – – Millionär! Dritter und hellster Blitz – – Universalerbe! Ob er diese Blitze

       auch jetzt erscheinen lassen werde, darauf war ich sehr gespannt.

       Franzl gestand aufrichtig, daß ihm die Gegend von Eger bis nach Karlsbad viel bekannter sei

       als die vielen Staaten und Territorien der United-States of America, und so setzte sich mein

       alter respektive sein neuer Busenfreund in Positur und ließ denjenigen Abschnitt unsers

       »Lehrbuches für höhere Schülerklassen« los, welches von den Vereinigten Staaten handelte.

       Er hatte ihn nämlich wegen der oben erwähnten drei Blitze auswendig gelernt. Er fand für

       seinen Vortrag in Franzl einen sehr aufmerksamen, in mir einen sehr zerstreuten und in den

       drei Fremden gar keinen Zuhörer, denn diese waren zu sehr mit sich selbst und der Stillung

       ihres Hungers beschäftigt, als daß sie auf die trockenen Einwohnerzahlen der verschiedenen

       See-, Fluß- und andern Städte hätten achten können.

       Es war rührend, anzusehen, welche liebevolle Sorgfalt die Frau ihrem Vater widmete und wie

       auch der Knabe ihm das Beste von dem anbot, was er auf seinem Teller liegen hatte. Der

       Greis war so schwach, daß er sich kaum aufrecht halten konnte und wie ein Kind gespeist

       werden mußte. Der Wein that ihm gut, doch essen konnte er nur wenig; er schien vor allem

       der Ruhe, des Schlafes zu bedürfen, und wenn ich ihm so in das abgehagerte Gesicht blickte,

       war es mir so, als ob dieser Schlaf sein letzter sein werde.

       Die Frau hatte, ehe sie nach dem ersten Bissen langte, laut gebetet, und man sah es ihr dabei

       an, daß sie das nicht unsertwegen, sondern aus Gewohnheit und Überzeugung that; am

       Schlusse des Mahles betete sie wieder und bat dann den Wirt, ihren Vater zur Ruhe legen zu

       dürfen. Da aber schüttelte der Alte den Kopf und sagte mit seiner müden, hohl klingenden

       Stimme:

       »Nein, laß mich noch sitzen, meine Tochter! Wir sind durch Sturm und Schnee und Frost

       gewandert, als überall in den warmen Stuben die Weihnachtsbäume brannten. Wir mußten

       weiter, immer weiter, von Ort zu Ort, ohne uns auch mit freuen zu dürfen. Ich habe euch kein

       Licht anzünden und nichts schenken können; ihr mußtet frieren und hungern während der

       heiligen Tage, und da ich euch nicht auch noch mit Thränen betrüben wollte, weinte ich sie in

       mich hinein. Hier aber ist mir wohl; hier sind wir freundlich aufgenommen worden; hier ist es

       warm, und wir sind

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