Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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Seine Worte waren oft durch einen trockenen, quälenden Husten unterbrochen worden. Jetzt,

       als er schwieg, faltete er die Hände und bewegte leise betend die Lippen. Die Frau legte ihre

       Hände auch zusammen und weinte leise vor sich nieder. Der Knabe biß die Zähne zusammen

       und sah uns an, im Zweifel darüber, wie wir uns verhalten würden, wenn er sein gewaltsam

       unterdrücktes Schluchzen nicht mehr niederhalten könne. Er war ein wackerer, kleiner Kerl!

       Der betende Greis kam mir jetzt nicht mehr wie ein Bettler vor. Wenn die Berge hoch zum

       Himmel steigen, bedecken sie ihre Häupter mit Schnee, und wenn der Schnee des Alters den

       Menschen krönt, ist er dem Himmel nahe; Himmelsnähe aber erweckt Ehrfurcht in jeder

       fühlenden Menschenbrust. Der mit zitternden Lippen um Einlaß in den Himmel bittende Alte,

       die still weinende Frau und der mit seinen Thränen kämpfende Knabe, sie waren für mich

       ihrer Bettlerschaft entkleidet und zwangen mich, an die Schriftworte zu denken: »Wo zwei

       oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.« Welchen

       Eindruck machte die jetzige Situation gegen die kindische Heiterkeit, welche vorher hier

       geherrscht hatte! Während draußen in der Abendkälte das Elend sich mühsam durch die

       verschneiten Wege geschlichen hatte, waren wir beschäftigt gewesen, die Zeit mit

       schülerhaften Witzen totzuschlagen. Ich schämte mich!

       Der Wirt schien etwas ähnliches wie ich zu fühlen; er räusperte sich einigemal, wie um aus

       einer inneren Verlegenheit herauszukommen, und sagte dann:

       »Ja, ihr sollt hier Weihnachten feiern; ich thue es; ich hole ihn herein!«

       Er ging in den Flur hinaus, und dann hörten wir ihn jenseits desselben eine Thür öffnen,

       welche, wie wir später erfuhren, in das Wohnzimmer führte. Wer der »ihn« war, den er holen

       wollte, sahen wir, als er einen buntbehangenen Christbaum getragen brachte, dessen Lichter

       noch nicht ganz abgebrannt waren. Er stellte ihn auf den Tisch, bat uns, die Lichter

       anzuzünden, und entfernte sich dann wieder. Der fremde Knabe sprang auf und bat uns mit

       strahlenden Augen, uns helfen zu dürfen, ein Wunsch, den wir ihm natürlich mit Freuden

       erfüllten.

       Dann kam Franzl wieder. Er brachte einige Kleidungsstücke von sich und seiner Frau, auch

       einen Kuchen und eine Wurst, welche er unter den Baum legte; dazu fügte er fünf blanke

       Gulden, indem er sagte:

       »Hier, das beschert euch das heilige Christkind, welches eure Thränen gesehen und euer

       Gebet gehört hat. Bedankt euch bei ihm und nicht bei mir!«

       Welch eine Freude gab es jetzt! Die Augen des Greises öffneten sich weit, um das Licht der

       Weihnachtskerzen in sich aufzunehmen; die Frau weinte jetzt nicht mehr Schmerzens-,

       sondern Freudenthränen, und der Knabe schlang seine Arme um ihren Hals, um das

       Schluchzen, welches ihn jetzt von neuem übermannen wollte, an ihrer Brust zu verbergen. Ich

       konnte nicht anders, ich mußte in die Tasche greifen und einen Gulden herausnehmen, den ich

       zu den fünf des Wirtes legte. Als Carpio dies sah, sagte er leise zu mir:

       »Ja, ihr könnt geben, ihr! Der Franzl hat reich geheiratet, und du hattest fünf Thaler, ich aber

       nur drei; ich bin der Ärmste und kann nichts – – und doch, doch, ich kann auch etwas geben,

       wenn auch kein Geld wie du; paß nur auf!«

       Er bat um Schweigen, stellte sich neben den Baum und begann zu deklamieren:

       »Ich verkünde große Freude,

       Die Euch widerfahren ist,

       Denn geboren wurde heute

       Euer Heiland Jesus Christ – –«

       Wie kam es nur, daß mein eigenes Gedicht mir so fremd vorkam, so, als ob es nicht von mir,

       sondern von einer ganz andern Person, einem ganz andern Wesen stamme? Je weiter er

       sprach, desto fremder kam es mir vor und desto tiefer griff es mir in die Seele hinein. Auch

       die andern hörten voller Andacht zu. Der Greis verwendete keinen Blick von dem Redner;

       seine Augen bekamen Glanz; es tauchte ein seltsames Licht in ihnen auf. War das der Reflex

       des brennenden Weihnachtsbaumes? Oder war es der Schein einer höhern Klarheit, welche

       jetzt sein Herz erleuchtete? Er breitete die auf dem Tische liegenden Hände auseinander und

       öffnete sie, als ob er, sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung aufrichtend und den

       vorher so müden Kopf hoch hebend, eine unsichtbare, von oben kommende Gabe ergreifen

       und festhalten wolle. Er hörte fast ohne Atem zu, richtete sich, als Carpio geendet hatte,

       langsam auf, so daß er kräftig und kerzengerade am Tische stand, und bat:

       »Noch einmal das letzte, noch einmal! Oh bitte, wiederholen Sie es von da an, wo der Priester

       spricht!«

       Carpio kam diesem Wunsche nach, und es war mir auch jetzt wieder, als ob es nicht meine,

       sondern die Worte eines andern seien:

       »Und der Priester legt die Hände

       Segnend auf des Toten Haupt:

       ›Selig, wer bis an das Ende

       An die ewge Liebe glaubt!

       Selig, wer aus Herzensgrunde

       Nach der Lebensquelle strebt

       Und noch in der letzten Stunde

       Seinen Blick zum Himmel hebt!

       Suchtest du noch im Verscheiden

       Droben den Erlösungsstern,

       Wird er dich zur Wahrheit leiten

       Und zur Herrlichkeit des Herrn.

       Darum

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