Weihnacht von Karl May. Karl May

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Weihnacht von Karl May - Karl May

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geistiges oder, was wahrscheinlicher war, in sein körperliches Innere hinunter stieg, stockte

       die Unterhaltung, und der Fleiß, mit welchem wir in diesen Richtungen thätig waren, legte die

       Vermutung, daß wir so bald nicht wieder genießbar sein würden, in einer Weise nahe, daß

       sich einer nach dem andern entfernte, um zu Hause dasselbe zu thun, was wir hier thaten,

       nämlich essen.

       So kam es, daß wir noch vor Beendigung des Abendmahles mit den Wirtsleuten allein waren,

       doch nicht lange, denn es stellten sich neue Gäste ein, welche mein Interesse sofort in

       vollstem Maße in Anspruch nahmen.

       Es war ein alter Mann mit einer jüngeren Frau und einem vielleicht dreizehn Jahre alten

       Knaben. Sie mußten arm, sehr arm sein, wie ihre Kleidung bewies, welche keinen Schutz

       gegen die Kälte des Winters bieten konnte. Der weißhaarige, tief gebückte Alte kam mit

       wankenden Schritten herein und ließ sich vor Ermüdung gleich auf den nächsten Stuhl

       niederfallen. Da schloß er, ohne uns zu beachten, die tiefliegenden Augen und holte in einer

       Weise laut und rasselnd Atem, daß ich glaubte, er müsse vollends zusammenbrechen. Der

       Knabe legte liebevoll und besorgt den Arm um seine Schulter und streichelte ihm mit der

       andern Hand die zum Erschrecken hagere Wange. Beide hatten, der eine vor Ermüdung und

       der andere aus kindlicher Unkenntnis, keinen Gruß gesagt. Die Frau aber grüßte, legte das

       Bündel, welches sie trug, neben dem Alten nieder, faltete die Hände und fragte in flehendem

       Tone:

       »Haben Sie vielleicht einen Platz für uns im Stalle?«

       »Bettelvolk, das sich verstellt und nichts thun als vielleicht nur stehlen will,« flüsterte die

       Wirtin ihrem Manne zu.

       Sie war nicht so gutmütig wie er, der gar nicht auf diese Worte hörte, sondern die drei

       Personen mit mitleidigen Augen betrachtete und sich dann erkundigte:

       »Warum im Stalle und nicht im Bett?«

       »Weil wir nicht bezahlen können,« antwortete die Fremde mit einem schweren Seufzer.

       »Warum kommt ihr da zu uns? Hier ist keine Herberge für Handwerksburschen und Leute,

       wie ihr seid!« fiel die Wirtin schnell ein.

       »Wir haben nach der Herberge gefragt, aber wir konnten nicht weiter; mein Vater fiel vor

       Müdigkeit um.«

       Die Wirtin wollte noch etwas sagen, aber Franzl winkte ihr mit der Hand, zu schweigen, und

       forderte die Fremde auf, ihm die Legitimation zu zeigen. Sie zog einen sorgfältig in ein Tuch

       gewickelten Paß hervor, den sie dem Wirte gab. Er las ihn, schüttelte den Kopf, musterte die

       drei Personen noch einmal und sagte dann im Tone des Erstaunens:

       »So weit kommt ihr her – in diesem Schnee und dieser Kälte! Und nach Amerika wollt ihr –

       nach Amerika, in diesen Kleidern und ohne Geld! Entweder ist das eine Lüge, oder seid ihr

       nicht bei Troste!«

       »Es ist keine Lüge,« versicherte sie; »der Paß beweist es ja.«

       »Aber wer nach Amerika will, muß Geld haben! Die Fahrt auf dem Schiffe hat kein Mensch

       umsonst!«

       »Mein Mann hat uns die Schiffskarten geschickt.«

       »Ihr Mann? Ist der schon drüben?«

       »Ja. Er ist vor drei Jahren hinüber und hat gearbeitet und gespart, bis er uns die Schiffskarten

       schicken konnte.«

       »Nur die Karten? Man braucht doch auch Geld, um bis nach der Hafenstadt zu kommen!«

       »Das hatten wir, denn wir haben alles, was wir besaßen, verkauft. Viel war es freilich nicht,

       denn wir sind arme Leute, und die Käufer waren ebenso arm wie wir; aber bis nach Bremen

       hätte es gereicht, wenn mein Vater nicht krank geworden wäre. Er bekam einen Blutsturz, und

       es dauerte fast zwei Monate, ehe wir weiterkonnten; da ist das bißchen Reisegeld alle

       geworden.«

       »Aber, mein Gott, da hättet ihr doch nicht weiter-, sondern wieder heimgehen sollen!«

       »Heim? Was wollten wir dort, wo wir nichts mehr hatten und wo es uns schon vorher schlecht

       gegangen war? Wir haben doch die Schiffskarten, und drüben wartet mein Mann auf mich.«

       »Ja, richtig! Aber es ist doch ein Kreuz und ein Elend, sich so ohne Geld und in einer solchen

       Kälte bis nach Bremen durchzubetteln! Ich weiß gar nicht, wie lange man da zu laufen hat,

       um hinzukommen. Wißt denn ihr den Weg?«

       »Wir haben gefragt und werden uns auch weiter so durchfragen.«

       »Na, sehr weit werdet ihr wohl nicht kommen, wenn der alte Mann so bleibt, wie er jetzt da

       auf dem Stuhle sitzt!«

       »Wir werden uns ausruhen, wenn er es nur noch einen oder zwei Tage aushalten kann. Wir

       haben droben in Graslitz einen Verwandten, einen Blasinstrumentenmacher, der uns bei sich

       behalten wird, bis sich der Vater erholt hat.«

       »Nach Graslitz wollt ihr? So hoch hinauf, bei diesem Schnee? Leute, ihr seid verrückt!«

       »Oder auch sie sind nicht verrückt,« sagte seine Frau. »Man soll nur Mitleid haben. Der Paß

       wird wohl richtig sein; aber ob sie auch wirklich nach Amerika oder nur so herumzigeunern

       wollen, das ist eine andere Frage.«

       Da begann die Fremde zu weinen, wickelte noch ein Couvert aus dem Tuche, gab es dem

       Wirte und schluchzte:

       »Wir sind nur unglückliche Leute, aber keine Vagabunden. Wenn Sie sich überzeugen wollen,

       so machen Sie dieses Couvert auf; die Schiffskarten liegen drin!«

       »Nein, behalten Sie es nur; ich brauch' es nicht zu sehen,« sagte Franzl, den die

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