Weißer Stein. Christian Friedrich Schultze
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Eines Tages, im Februar 1980, war es dann soweit: Während eines Faschingsballs in Großschönau lernte Peter I. Sonnhild S. aus Ditteldorf bei Hirschfelde kennen und verliebte sich in sie. Als er sie das erste Mal dort besuchen wollte, gab es einen kleinen Zwischenfall: Er suchte Sonnhild in der Dr.-Rudolf-Friedrichs-Straße in Hirschfelde, anstatt in Dittelsdorf, weil er bei der Adressenübermittlung unaufmerksam gewesen war. In dem kleinen Ort an der Neiße mit dem großen Kraftwerk kannte man die junge Frau jedoch nicht. Sein Pech war, dass es in beiden Ortschaften eine Straße gab, die nach dem Widerstandskämpfer und ersten Ministerpräsidenten Sachsens nach 1945 benannt ist, welcher wegen dauernder Zerwürfnisse mit den Sowjets und den sächsischen Kommunisten einen plötzlichen und bis heute ungeklärten Tod fand.
Sie kamen dennoch bald zusammen – und wie! Denn obwohl oder weil Sonnhild von ihren kirchlichen Eltern sehr streng und religiös erzogen worden war und auch am Gemeindeleben der Landeskirchlichen Gemeinschaft ihres Heimatdorfes regen Anteil nahm, wurde sie alsbald schwanger und es musste geheiratet werden. Alleinerziehende Mütter waren damals selbst in der sich „sozialistisch“ bezeichnenden DDR noch nicht in Mode...
Peter war nicht besonders religiös, beugte sich aber seiner Sonnhild und der Tradition der Familie zuliebe und begab sich nach der Hochzeit unverzüglich auf Wohnungssuche; damals ein schwieriges Unterfangen für junge Paare. Währenddessen wohnten sie getrennt, jeweils in ihren Elternhäusern
Von einem Arbeitskollegen erfuhr Peter, dass auf der „Hutchwiese“ in Niederjonsdorf ein Haus zum Verkauf stünde. Unverzüglich machte er sich auf, dieses Anwesen zu erwerben und hatte Erfolg. Wenig später zog das junge Paar in das Erdgeschoss des Umgebindehauses ein.
Am Anfang wohnten sie einigermaßen beengt in der unteren Etage des Hauses, weil sich die schon betagten Eigentümerinnen, die Schwestern S., ein Wohnrecht in den oberen Etagen ausbedungen hatten, bis ein Platz für sie im Olbersdorfer Altenheim frei würde.
Das dauerte noch mehr als zwei Jahre.
5. Umgebindehäuser
Die Oberlausitz ist bis hinein nach Niederschlesien und Nordböhmen ein so genanntes Flächendenkmal für „Umgebindehäuser.“
Ein solches Umgebindehaus ist eine Kombination aus slawischem Blockhaus und fränkischem Fachwerkhaus, wie sie in der wechselvollen Geschichte der Besiedelung der ostelbischen, ursprünglich slawisch bewohnten Gebiete durch die Ostexpansion des feudalen deutschen Staates zwischen dem dreizehnten und achtzehnten Jahrhundert entstanden sind. Auf der einen Seite des Erdgeschosses befindet sich die Blockstube und auf der anderen das Gewölbe aus Lausitzer Granit oder Zittauer Sandstein. Darauf wird ein Stockwerk in Balkenfachwerk-Bauweise aufgesetzt, dessen Zwischenräume mit spezieller Lehm-Strohhäcksel-Füllung, bewehrt durch ein lockeres Reisiggeflecht, ausgefüllt sind. Sowohl die Blockstube als auch die oberen Räume sind dadurch gegen Kälte und Hitze gut isoliert. Damit das untere Stockwerk durch die Last der oberen Etage und des Dachstuhles nicht zusammenbricht, erfand man das "Umgebinde", ein um die Blockstube herumgebautes Ständersystem, welches den fränkischen Überbau problemlos trägt.
Innen sind die Räume oftmals mit Holzpaneel hübsch verkleidet, was obendrein eine weitere Dämmschicht ergibt. Später ging man dazu über, auch die obere Fachwerketage außen mit Holzpaneel oder Schiefer zu beplanken. Wenn man will, kann man die Blockstube vollständig aus dem „Umgebinde“ herausnehmen, ohne das übrige Bauwerk in Mitleidenschaft zu ziehen. Die heutigen Sanierer nutzen diese Möglichkeit, wenn die Balkenlagen der Blockstube verrottet sind und ersetzt werden müssen. Viele „Oberlausitzer Granitschädel“, aber auch verständige nach der Wende Zugewanderte, haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Pflege dieses architektonischen Flächendenkmals verschrieben und mehrere hundert Umgebindehäuser sowie einige bäuerliche Drei- und Vierseithöfe liebevoll restauriert.
Als Ausgang des Mittelalters die germanische Unterwanderung der slawischen Gebiete östlich der Elbe begann, wurden derartige Häuser oft in die Nähe eines kleinen Wasserloches, welche die Oberlausitzer, wie bereits erwähnt, "Tump" nennen, manchmal sogar direkt über einer solchen Quellgrube, errichtet. In dem Fall erhielt das Bauwerk unter dem gegenüber der Blockstube gemauerten Kreuzgewölbe des Erdgeschosses ein zusätzliches Kellergewölbe. Auch das neue Heim Peter I.s besaß solch einen unterirdischen Raum. Im Jahr 2000 erregte dieser das ganz besondere Interesse der Ermittlungsbeamten um Staatsanwalt Sebastian Matthieu aus Zittau.
6. Sommergäste
Vor dem Zweiten Weltkrieg bildete der Fluss Queis, die heutige polnische Kwisa, die Grenze der seit 1815 in eine preußische und eine sächsische geteilten Oberlausitz zu Schlesien. Somit gehörten auch die nördlichen Züge des Isergebirges mit den Ortschaften zwischen der Oberlausitzer Neiße und diesem kleinen Grenzfluss zur Oberlausitz. Ebenso die Dörfer und Städtchen entlang dieses Flüsschens, welcher, wie die Neiße, in mehreren Quellbächen am Hohen Iserkamm entspringt.
Nicht nur in den Tälern und an den Hängen des Zittauer Gebirges, sondern auch an den Wasserläufen des Sudetengebirges, hatten sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts einige Kurorte entwickelt, die von den Bewohnern der größeren westlich und nördlich gelegenen Städte Sachsen und Preußens gerne zur „Sommerfrische“ aufgesucht wurden. Sowohl die gute Luft als auch die bergige, wunderschön bewaldete Landschaft hatten es den Erholungssuchenden angetan. An den Ufern des Queis, in Bad Flinsberg und Bad Schwarzbach, hatte man sogar heilende Quellen gefunden. Und im Zittauer Gebirge, mit seinen bizzaren Felsformationen und markanten Bergen, wie Lausche, Hochwald, Oybin und Jonsberg, durften sich die Ortschaften Lückendorf, Oybin, Waltersdorf und Jonsdorf fortan als Luftkurorte bezeichnen. Besonders in den Sommermonaten machten die Liebhaber dieser abwechslungsreichen Mittelgebirgslandschaft und der bizarren Formationen des maritimen Kalksandsteins hier in Scharen Urlaub. Deshalb wurden sie „Sommergäste“ genannt.
1945, nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur, änderte sich alles. Die Oberlausitzer Region östlich von Neiße und Oder, Schlesien und das Sudetenland, wurden polnisch. Das Riesengebirge, dort, wo in fast tausendvierhundert Metern Höhe zwischen Kesselkoppe und Reifträger die Elbe entspringt, wurde entlang seines Kammes geteilt und mit seinem südlichen Teil der Tschechoslowakei, mit dem nördlichen der Volksrepublik Polen zugeschlagen.
In den Jahren nach den Krieg war es für Deutsche schwierig, in diese ehemals deutschen Ostgebiete zu gelangen. Die nach Kriegsende überwiegend aus dem Osten Polens und der Slowakei angesiedelten Menschen waren äußerst misstrauisch allen Deutschen gegenüber und glaubten noch bis zur Wiedervereinigung und dem zwischen den vier Siegermächten USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien im Rahmen der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen abgeschlossenen Friedensvertrag an eine Rückkehr der Vertriebenen. Das Erholungs- und Kurwesen war in allen drei Ländern dieses neu entstandenen Dreiländerecks vollständig zusammengebrochen. Erst Anfang der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts begann sich im Zittauer Gebirge, organisiert vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, der Einheitsgewerkschaft der Deutschen Demokratischen Republik, erneut ein Ferienwesen zu entwickeln.
Viele Häusler des Kurortes Jonsdorf richteten daraufhin so genannte Fremdenzimmer ein. Auch auf der „Hutchwiese“ besaß fast jedes Haus ein oder zwei Ferienzimmer, nicht vergleichbar mit den heutigen Ferienwohnungen, aber, garantiert von der Vermittlung des DDR-FDGB, allzeit gut belegt.
Auch im Umgebindehaus Peter I.s gab es seit jeher zwei derartige Zimmerchen für Sommergäste. Aber der junge Mann dachte von Anfang an weiter. Bald nachdem die beiden alten Damen ausgezogen