Weißer Stein. Christian Friedrich Schultze
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J. erzählte mir, dass Sonnhild in unglaublicher Weise seiner ersten, an Krebs verstorbenen, Frau ähnele und er große Gefühle zu dieser Oberlausitzerin hege. Er wolle die innig Geliebte aus ihrer Eheknechtschaft und provinziellen Abgeschiedenheit und Verkümmertheit unbedingt herausholen. Ein großes Problem seien allerdings die Kinder, die sich vehement gegen eine Trennung ihrer Eltern stellen würden.
Meine Gefühle waren ebenfalls durcheinander. Rudi war siebzehn Jahre älter als Sonnhild. Was bedeutete das für sie? Ich mochte die Nachbarn, wusste, dass Peter ein typischer Oberlausitzer Granitschädel, ein „Workoholic“ und manchmal nicht einfach war. Ich fühlte mich irgendwie schuldig an dem sich anbahnenden Drama, in das wir vier Erwachsenen und die beiden Jungs unmittelbar verwickelt wurden. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass Sonnhild, die am 30. Dezember 33 Jahre alt werden sollte, Rudolf J. nicht über alle Maßen liebte oder gar mit dem Gedanken konform ging, zu ihm nach Hamburg zu ziehen. Aber in der Folgezeit konnte ich bei meinen gelegentlichen Besuchen in Jonsdorf feststellen, dass Sonnhild die Zuwendung J.s, ihre gemeinsamen Ausflüge nach Dresden oder nach Prag und einmal sogar nach Hamburg, durchaus gefielen. Hatte sie früher vielleicht gar nicht wahrgenommen, dass es noch etwas anderes als Arbeit, Häuslebauen, Kinder und Garten auf der „Hutchwiese“ gab, zeigte ihr der Hamburger nun die neue „weite Welt“ und füllte offenbar auch noch die sexuelle Lücke ihres ziemlich kühlen Ehelebens aus. Allerdings haben das die beiden mir gegenüber niemals zugegeben. Aber mit der Zeit begann Sonnhild wohl zu ahnen, was ihr zukünftig alles fehlen könnte.
Von all dem wusste der ferne, ein wenig desinteressierte aber vertrauensselige Ehemann zunächst nichts. Ihm war vor allem wichtig, dass er genügend Geld nach Hause brachte.
Im Oktober des Jahres 2012 fand ich beim Studium der mir vorliegenden Zweitakte, welche Peter I. nach seinem Freispruch übergeben wurde, einen Brief Rudolf J.s vom 1. Februar 1992:
„Liebe Sonnhild,
Da ich diesen PC bedienen und alle Dateien lesen kann, habe ich eben die Datei ´Peter´ gelesen. Es ist sicherlich ein Einbruch in Deine Intimsphäre und ich bereue es. Du bist innerlich gespalten, aufgrund Deiner Erziehung auch an Verhaltensweisen gebunden, die es in einer Wolfsgesellschaft nicht gibt. In dem Buch über menschliches Verhalten las ich, daß die Frau aus dem Besitz des Vaters in den Besitz des Mannes übergeht und ihre eigentliche Aufgabe mit dem Gebären von Söhnen erledigt sei. Sie bleibt im Besitz des Mannes und kommt selbst im Alten Testament ganz am Ende der Skala dieses Besitzes (nach Söhnen, Haus, Acker, und Ziegen).
Frauen sind Mangelware. Der Mann ist von Natur aus promisk aber im Gegensatz zu den Frauen nur beschränkt orgasmusfähig. Bei Frauen steigt mit der Menge der Orgasmen deren Intensität. Bei den Männern nicht. Daher neigen sie zu einem Wechsel der Partnerschaft (es geht ja auch mehrgleisig) und sind dann mit dem anderen Partner wieder zu intensiverem Erlebnis fähig. Schlicht gesagt, wenn die Beziehung länger dauert, ist sie eingefahren und ´Mann´ sucht sich was Neues. Wenn er nicht andere Partnerinnen sucht, sucht er sich Ersatzbefriedigung (Saufen, Spielen und als schlimmste Form Arbeitswut und Streben nach Besitz und Reichtum). Egal, in welcher Form diese Ersatzbefriedigung gesucht wird, ist es doch fast immer eine Flucht aus der realen Wirklichkeit und der Unlösbarkeit der klar daliegenden Probleme. Beieinanderbleiben bedeutet eigentlich nichts mehr. Auseinandergehen bedeutet für beide Teile Angst vor der eigenen Unfähigkeit, die Zukunft allein zu gestalten. (Allein mit den Kindern oder allein mit einem anderen Partner, also das Eingeständnis des nicht ´an sich selbst Glaubens´.)
´ Und setzt Ihr nicht das Leben ein, nie soll Euch das Leben gewonnen sein!´Schiller
Liebste Sonnhild, es ehrt Dich, daß Du kämpfst.
Diesen Kampf gewinnst Du nicht allein!
Eine Beziehung besteht aus zwei Menschen.
Es ist nicht wichtig, daß man einander ansieht, sondern nebeneinander steht und in die gleiche Richtung schaut. Wenn Du aber um die Beziehung mit Peter kämpfst, mußt Du selbst daran glauben, daß es eine gemeinsame Zukunft gibt. Nicht nur das Familienleben mit den Kindern ist wichtig, sondern wie Deine ganz persönliche Beziehung zu ihm ist.
Liebst Du ihn? Begehrst Du ihn? Bist Du gern mit ihm zusammen? Tut er etwas für Dich auch ohne vorherige Ansage von Dir?
Hast Du ihm die Narben auf Deiner Seele verziehen, die von Wunden stammen, die er Dir zufügte?
Gibt es ein vertrautes Gespräch, die liebevolle Hinwendung zu den Problemen, die Dich beschäftigen? Gibt es geistige Auseinandersetzung, Streben nach Kultur und Bildung?
Erhältst Du durch Deine Beziehung Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl? Auch gemeinsamen Glauben?
Sind das überhaupt Fragen, die Du Dir gestellt hast?
Solltest Du sie Dir nicht stellen? Z.B.: Wer bin ich? Woher komme ich, Wohin will ich? Was will ich?
Nachdenken über Vergangenes ist oft hart, die richtigen Entschlüsse zu fassen für eine Zukunft noch schwerer. Aber es sollte damit beginnen, daß Du die Phantasie aufbringst, mögliche Entwicklungen zu Ende zu denken. Du bist viel klüger, als Du selber weißt: Du hast von Deinem Elternhaus sehr viel Herzensbildung und Zusammengehörigkeitsgefühl mitbekommen. Nur ist die Welt anders und andere Menschen haben dafür eventuell kein Gefühl. Also ist Erkenntnis dessen, was ist, die erste Stufe einer Analyse des künftig Möglichen (Realität). Bedenke dies und komme vom Nachdenken zum Denken und von da zum Handeln. Peter wird es nie tun (meine ich nicht böse).
Grüße Rudi “
Keine lieben Grüße und keine guten Wünsche! Einfach nur Grüße! Und ein eklatanter Vertrauensbruch nach einem reichlichen Jahr der Beziehung zwischen den beiden. Dabei wird deutlich, dass die „Geliebte“ darüber nachdachte, Rudolf J. den Laufpass zu geben und zu ihrem Mann zurückzukehren.
Anfang März 1992 rückte Sonnhild in das Spezialkrankenhaus Rothenburg zur Operation ihres linken Schultergelenkes ein. Wie der Gemütszustand der Patientin und ihres besorgten Liebhabers Rudolf J. in jener Zeit war, mag ein weiterer Brief des Hamburgers verdeutlichen, der sich ebenfalls bei der ersten Ermittlungsakte befindet:
„Ebersbach, den 7. März 1992
Liebe Sonnhild,
nun liegst Du in Deinem Krankenbett und bist ganz groggy und ich laufe mit schweren Gedanken herum.
Einerseits möchte ich nichts tun, was Dich in dieser Zeit belasten könnte. Es soll alles so sein, daß Du Dich auf Deine Gesundung und ein Leben mit zwei benutzbaren Armen konzentrieren kannst.
Alle meinen guten Wünsche begleiten Dich dabei. Ich werde, wenn Du magst, Dich auch jeden Tag in Rothenburg besuchen.
Aber eine Voraussetzung für eine ganzheitliche Gesundheit ist nicht nur die Gesundheit des Körpers, sondern auch die Heilung des Geistes und der Seele. Da sehe ich für den Moment ein Problem.
Gedankenschwer hast Du mir mitgeteilt, daß Du mit mir reden wolltest. Das hast Du getan und mir gesagt, daß Du so nicht leben kannst und es daher gut