Weißer Stein. Christian Friedrich Schultze

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Weißer Stein - Christian Friedrich Schultze

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Garten einen Bungalow mit einer regelrechten Ferienwohnung und schloss überall fließendes Wasser und separate Toiletten an. Das gehörte damals noch keineswegs zum allgemeinen Standard. Bei allen diesen Arbeiten ging ihm seine Ehefrau Sonnhild tatkräftig zur Hand und wir wunderten uns nicht selten darüber, dass sie dabei oftmals regelrechte Männerarbeit verrichtete.

      Dass Peter ein exzellenter Handwerker für allerlei Gewerke war, hatten wir schnell herausgefunden. Denn auf unserem Grundstück und an der Laube gab es ebenfalls öfters Reparaturbedarf. Doch Peter reparierte auch Motorgefährte, wie unseren Trabi, Rasenmäher der Nachbarn, Motorräder, sogar die beliebten „Multikars“ und so weiter. Für derlei Dienste engagierten wir den gelernten Schlosser gerne. Denn er war geschickt, zuverlässig und erfindungsreich. Und vor allem war er einfallsreich, wenn es um die Besorgung schwierig zu beschaffenden Materials, diverser Ersatzteile und allgemeiner Mangelware ging. Wir wollten nicht unbedingt wissen, wo er es herbekam. Im Gegensatz zu manch anderem Handwerker druckste er auch nie um den Preis herum, sondern nannte diesen stets sofort und direkt, hielt sich auch zuverlässig daran und lieferte pünktlich. Freilich umrankte ihn das Gerücht, dass er den Begriff des Volkseigentums auf recht individuelle Art auslegte. Aber eigentlich störte es niemanden wirklich.

      1985 fing Peter an, auf der Wiese hinter seinem Haus einen formidablen Swimmingpool zu bauen. Es war schwierig, die dafür erforderliche Grube im granitenen Boden ausreichend tief auszuheben. Er benötigte Wochen dazu. Natürlich floss auch durch seinen Garten eines der beiden Bächlein des Kalten Borns. Der überdachte Tump, welcher zum Grundstück gehörte, war annähernd mannstief. Von da konnte er den Zufluss für das geplante Planschbecken abzweigen. Das kräftige Rinnsal eignete sich allerbestens dazu, das dreieinhalb mal sechseinhalb Meter große, an seiner tiefsten Stelle knapp zwei Meter tiefe Becken innerhalb kurzer Zeit zu füllen. Dieses Wasser war volkseigen, gehörte also allen und niemanden. Gemeineigentum war es schon jahrhundertelang gewesen.

      Die Nachbarn staunten und beneideten die Aktivitäten und den Erfolg des Zugezogenen. Am Wochenende der Einweihung des Pools weilte unsere Familie gerade in Jonsdorf und wir wurden eingeladen. Meine Frau hatte Beziehungen zu Radeberger Bier, welches damals eine Rarität darstellte. Peters Frau Sonnhild hatte Verbindungen zur hiesigen Fleischerei. So wurde gefeiert, gegrillt, Bier getrunken und mit den Kindern zusammen gebadet. Ich glaube, es war der erste Swimmingpool des Ortes, welchen wir damals seiner Bestimmung übergaben. In den heißen Sommern danach durfte unsere Familie, wenn wir unser Grundstück besuchten, das große Planschbecken regelmäßig mit benutzen; gegen reichlich Radeberger Pilsener, versteht sich.

      Bis kurze Zeit nach der Wende, da war das Ferienwesen des Zittauer Gebirges erneut zum Erliegen gekommen. Bereits vorher waren mit dem Kurstatus der beliebten Erholungsorte des Zittauer Gebirges Schwierigkeiten entstanden, weil die Luft längst nicht mehr so rein war, wie zu Vorkriegszeiten. Das hing damit zusammen, dass zwischen Olbersdorf und Zittau, ebenso wie südlich von Görlitz bei Berzdorf und am östlichen Neißeufer bei Bogatynia, dem früheren Reichenau, riesige Braunkohlentagebaue entstanden und in Hirschfelde und Bogatynia große Kohleverstromungsanlagen gebaut worden waren, deren Abgase die umgebende Atmosphäre nachhaltig verpesteten. Herrschte jedoch Südwestwind, wehten die schädlichen, zumeist ungefilterten Abgase, besonders die gefährlichen Schwefeldioxide, von den tschechischen Kraftwerken zu uns herüber. Die Folge davon war, dass an den Südhängen der Lausitzer Berge bis hinüber zum Riesengebirge ein großes Waldsterben um sich griff.

      Nach der Herbstrevolution 1989 setzte innerhalb eines einzigen Jahres, wie es der SPD-Politiker Oskar Lafontaine im Fernsehen vorausgesagt hatte, in der gesamten ehemaligen DDR, so auch in der Nieder- und der Oberlausitz, eine durchgreifende Massenarbeitslosigkeit ein. Die Strukturwandlungen der Globalisierung, die die Westdeutschen in vierzig Jahren durchmachen mussten, waren nun von den Mitteldeutschen der „DDR“ in zwei bis drei Jahren zu absolvieren. Durch die Einführung der DeMark stiegen die Betriebskosten der Ostbetriebe in einer Nacht um das Vier- bis Fünffache. Die Beschäftigten der Braukohleindustrie und des Maschinenbaus, die Frauen der Spinnereien, Webereien und Nähereien und mit ihnen die Händler und Kleingewerbetreibenden, die von dieser Industrie gelebt hatten, wurden zu Hunderttausenden arbeitslos. Zudem mochte niemand mehr zur „Sommerfrische“ in das Dreiländereck Polen, Tschechoslowakei und Deutschland reisen. Wir auch nicht! Alle wollten wir die schönen, uns bislang unbekannten, verheißungsvollen Regionen Westdeutschlands kennenlernen.

      Undsere Familie vor allem die Alpen. Uns zog es aber auch an den Rhein, auf die Ostfriesischen Inseln, in die deutschen Weltstädte München, Köln und Hamburg. Und danach wollten wir nach Italien, nach Mallorca und in all die anderen attraktiven Orte rund um das Mittelmeer oder gar nach Übersee, in all die Länder, die uns in den schönen bunten Werbekatalogen der westdeutschen Tourismusindustrie nunmehr schmackhaft gemacht wurden.

      Die Industrie der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wurde mittels der Treuhandanstalt und ihrer Filialen in den früheren Bezirken an so genannte Investoren verkauft, zum größten Teil jedoch abgewickelt. Dazu reisten Bataillone von Beratern und Helfern in das Beitrittsgebiet ein, welche von den Einheimischen zunächst und zum größten Teil mit offenen Armen empfangen wurden. Bis auf ganz wenige Skeptiker waren auch alle Oberlausitzer von der Hoffnung beseelt, dass nun in den neu entstehenden Bundesländern der gemeinsame Aufbau einer florierenden Überflusswirtschaft angepackt und Westdeutsche und Ostdeutsche gemeinsam in kürzester Zeit blühende Landschaften in den durch den industriellen Raubbau großenteils verwüsteten Regionen errichten würden.

      Und tatsächlich, durch diese Deindustrialisierung wurde die Luft im Dreiländereck zusehends wieder besser, die marode Infrastruktur erlebte eine kolossale Aufbauphase und der Verfall der Ortschaften, der besonders in den fünf ostsächsischen Städten des früheren Sechsstädtebundes, Kamenz, Bautzen, Löbau, Görlitz und Zittau, verheerende Ausmaße angenommen hatte, wurde gestoppt. Unverzüglich wurde der Ausbau der Autobahn Dresden-Görlitz in Angriff genommen, die am Ende nicht einmal mehr mit einem Trabbi befahrbar gewesen war. Die Restauration öffentlicher Gebäude, der private Häuslebau und der Wohnungsbau boomten, wie es schien, ohne Ende. Binnen weniger Jahre hatte sich die für die ehemalige DDR-Führung schier unlösbare Wohnungsfrage erledigt. Ein Teil davon allerdings auch bedingt durch die Tatsache, dass hunderttausende, vor allem junge und gut qualifizierte, Frauen und Männer in die „alten“ Bundesländer abwanderten. Etwas später begann man mit der Sanierung der Braunkohletagebaue und allmählich entstand die heutige Lausitzer Seenlandschaft. Besonders aber die Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs hatte sich über Nacht grundlegend gewandelt. Mit einem Mal gab es alles im Überfluss. Auch Radeberger Bier.

      Zunächst war es allerdings erforderlich, dass alle noch arbeitenden Betriebe neue Eröffnungsbilanzen nach den Übergangsgesetzen des Vertrages über die Herstellung der Deutschen Einheit bekamen und sich an die Regeln des „freien“ Marktes und des bundesdeutschen Handelsgesetzbuches gewöhnten. Gleichzeitig lief die Welle der Restitutionsverfahren für diejenigen mitteldeutschen Betriebe an, die über den Weg der staatlichen Beteiligungen in den siebziger Jahren enteignet und zu volkseigenen Betrieben gewandelt worden waren. Viele der inzwischen gealterten ehemaligen Besitzer oder deren Erben hofften, mit ihren Kleinunternehmen als freie Unternehmer wieder erfolgreich am weltweiten Wirtschaftsgeschehen teilnehmen zu können.

      In dieser wahrhaft revolutionären Umbruchzeit wurden in Mitteldeutschland, dem nunmehrigen Osten Deutschlands, die neuen Landes- und Landkreisverwaltungen, der gesamte Finanz- und Justizapparat und das Schulwesen nach den altbundesdeutschen Regeln gestaltet oder umgebaut. Tausende Helfer, vielfach wohlmeinende Ruheständler, aber auch in ihrem Aufstieg bislang verhinderte Karrieristen aus Westdeutschland, im neuen „Freistaat“ Sachsen vor allem aus Baden-Württemberg und Bayern, begannen unter teilweise schwierigen Bedingungen, jedoch abgefedert mit der so genannten Buschprämie, ihren steilen beruflichen Aufstieg und die einheimische Bevölkerung war anfangs dankbar für ihren Beistand.

      In den Landkreis- und Finanzverwaltungen und bei den Justizorganen fanden aber auch viele bekannte Kader ehemaliger Staatsbediensteter der untergegangenen DDR wieder Arbeit und Einfluss. Zugleich mit dem

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