DER AUFBRUCH. Michael Wächter

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DER AUFBRUCH - Michael Wächter Die Raumsiedler von Puntirjan

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hatte er im Datenzentrum des Feindes operiert, die Geheimdienst-Datei gesichert, auf dem Firmenserver gelöscht und die Kündigung seines Alibi-Jobs provoziert. Und jetzt stand er da, in der Höhle des Löwen.

      „Das liest doch kein Schwanz!“

      Vorstandschef Sark Sarkermann wütete. Sein Gesicht war puterrot angelaufen, seine Halsschlagader angeschwollen. Mit grenzenloser Verärgerung starrte er auf Tüngör, den Autor der Texte.

      „Das liest doch niemand! Das will absolut niemand lesen!“, tobte er. „Wir haben Sie als Sachbearbeiter in der PR doch nicht eingestellt, damit sie derart belanglosen Mist in unsere Konzernwerbung einarbeiten!“

      Sarkermann brüllte den jungen Tüngör an, als wolle er ihn zerfleischen. Tüngör aber war Dschersis Enkel: Er konnte stur sein, ebenso kühl und gelassen wie sein Großvater es war. Tüngör wich dem Blick des Löwen nicht aus. Er stand einfach da und schwieg.

      Sark Sarkermann fing sich wieder und holte Luft.

      „Es tut mir leid, Monsieur Auflingé! Wir werden ihren Text so niemals verwenden. In Anbetracht der vielen, vielen investierten Arbeitszeit, der Gehälter und Materialien sehen wir uns daher leider gezwungen, sie zu kündigen! Sie sind hiermit entlassen!“

      Sarkermann warf Tüngörs Speicherchip auf den Schreibtisch, direkt vor Tüngör.

      „Sie haben noch Urlaub. Nehmen sie ihn. Sie können direkt nach Hause fliegen. Sofort. Ihre Papiere schicken wir ihnen nach.“

      Sarkermann lehnte sich zurück. „Alles Gute!“, fügte er sarkastisch hinzu.

      Tüngör nahm den Chip wortlos auf, drehte sich um und verließ den Raum. Hätte Sarkermann sein Gesicht im Rausgehen sehen können, er hätte sich über das verschmitzte Lächeln Tüngörs gewundert. So aber sah er Tüngör Auflingé nur noch die Bürotür passieren. Sein Blick fiel noch auf das Portraitfoto des Kaisers an der Wand neben der Bürotür, doch dann wandte er sich wieder seiner Quantencomputerkonsole zu und rief die nächste Termindatei auf sein Interfunk-Display. Als Gruppenleiter des mächtigen Netzwerk-Konzerns Sarkodot hatte er schließlich Wichtigeres zu tun. Er ahnte nicht, dass er soeben seine letzte Chance vertat, einen der beiden Agenten aufzuhalten, die sein Leben auslöschen würden, eines Tages, und das seines Kaisers.

      Als Tüngör Auflingé das Sarkodot-Gebäude verließ, wurde es Abend. Er atmete auf. Die Security hatte den Sicherheitsalarm, vom Keller- und Erdgeschoss immer noch nicht auf die oberen Stockwerke ausgedehnt. Auch die Inszenierung seiner Kündigung war nach Plan verlaufen. Wie leicht es war, die Bahndaten-Datei „Joséfien“ zu finden, auf seinen Chip zu kopieren und auf dem Server der Sarkarier zu vernichten! Selbst die letzten, ungelöschten und für Wiederherstellungsprogramme eventuell noch verwendbaren Datei-Reste hatte er extrahiert – bis auf das letzte Mikrobit. Und das fingierte, für Sarkodot somit nutzlose Textdokument hatte er auch noch hochgeladen, um die Firma mit diesem Kündigungsgrund schnell und unauffällig verlassen zu können. Leider ohne Jean … Jetzt jedoch hielt ihn nichts mehr. Er war erleichtert. Sein Einsatz war vorbei. Die Sarkarier hatten keine Chance mehr, über die Bahndaten-Datei an die I.P.O.-Raumsonden zu kommen und das Großprojekt zu sabotieren.

      Zügig, aber nicht auffällig hastig begab sich Tüngör über die Plaza des Sarkodot-Towers hin zur zweiten Seitenstraße. Niemand beachtete ihn. Er landete auf dem Fußweg und zog seine Flügel ein. Er glättete sein Gefieder und ging dann zu Fuß weiter. Erleichtert erreichte er das Innenstadtviertel und tauchte im Gewimmel der City unter. Eigentlich mochte er solche Einsätze nicht. Er war noch jung, manchmal etwas naiv und suchte oft Nähe zu Anderen, die er als Kind nie gehabt hatte. Daher seine Sehnsucht nach Romantik, Natur und Wärme. Dennoch war er gelegentlich auch kühn und sehr pflichtbewusst – ein guter Agent und trotzdem ein insgesamt eigentlich liebenswerter Kerl. Jetzt, da die politischen Spannungen mit den Sarkariern zugenommen hatten, war er als Arbeit suchender Informationstechniker an den Geheimdienst geraten. Also hatte er sich im Auftrag der I.P.O. mit „korrigiertem“ Lebenslauf als Werbetexter bei Sarkodot beworben, um sich dort in das Intranet der Sarkarier zu hacken.

      Kurze Zeit später saß Tüngör im Minishuttle von der City zu Flughafen Vier. Er strahlte vor Zufriedenheit wie die Plutoniumbatterie einer Raumsonde.

      Die IPO-Software hatte ganze Arbeit geleistet. Gute Geheimdienst-Arbeit! Sarkermanns Computerspezialisten würden keine Chance mehr haben, die Raumsonden der I.P.O. zu kapern. Nicht einmal mehr den Hauch einer Chance. Und Tüngör würde außer Landes sein. Unerreichbar, wenn die Sarkarier den Drang verspüren sollten, ihn wegen seines Diebstahls von Staatsgeheimnissen hinzurichten.

      „Sarkermann, dein Kaiser wird dich dafür köpfen lassen!“, dachte Tüngör.

      Die Interplanetarische Puntirjanische Organisation I.P.O. hatte ihren Sitz in Monastair, der Mega-Metropole im Nordosten. Tüngör hatte ab Flughafen Vier den Shuttleflieger nach Clénairville genommen, um möglichst schnell von der Sarkodot wegzukommen. Flug CR341 über die Grenze, von Sarkar über Cisnair.

      Jetzt saß er gelassen auf dem Sitzkissen des Passagierraums. Die Grenzkontrollen waren überstanden, der Flieger gewechselt. Der Weiterflug ging über die Meeresbucht von Translair nach Süden, über Tschingaira und dann ostwärts bis nach Monastair. Cisnair – Monastair, eine verflucht umständliche Flugroute. Sie umging das feindliche Sarkarierreich und war zwei Mal länger als der direkte Weg über die Regenwaldregion am Sar-Fluss. Tüngör war sauer.

      Es war warm und er spürte seinen großen Durst. Seit dem frühen Morgen hatte er nichts mehr getrunken. Er orderte ein großes Mineralwasser, fasste sich mit der Hand an die Halskette mit dem Speicherchip im Medaillon und dachte daran, wie sie ihn wohl bei der I.P.O. empfangen würden – ihn, der die Raumsonden vor dem Zugriff der Sarkarier gerettet hatte. Ob sie ihn befördern oder ihm einen Orden verleihen würden?

      Die Stewardess schwebte mit einer Karaffe Mineralwasser herbei.

      „Etwas Wasser, Monsieur?“

      Tüngör sah ihre beneidenswerte Figur, schnalzte mit der Zunge und hielt ihr sein Glas hin. Sie schenkte ihm, ein paar freundliche Laute zwitschernd, ein, und er kostete. Es war frisch, kühl und angenehm prickelnd. Tüngör genoss es in vollen Zügen. Ihm war, als hätte allein dieser Schluck Mineralwasser all die Mühen lohnenswert gemacht.

      Entspannt lehnte er sich zurück in das Sitzkissen, schloss die Augen und döste, während der Flieger seinen Flug von Cisnair nach Monastair absolvierte. Er schaltete den Interfunk ab und malte sich aus, wie er als Held in Monastair empfangen werden könnte. Was würde ihn erwarten? Er jedenfalls erwartete eine astreine Belohnung. Doch er wollte nicht unverschämt erscheinen und zu viel fordern. Den Ast, auf dem man sitzt, sollte man auch nicht gleich absägen.

      Als Tüngör den Monastair-Tower betrat, schien ihn jedoch niemand zu bemerken. In der RAGA herrschte geschäftiges Treiben. Die RAGA, oberste I.P.O.-Abteilung für Raumfahrt, Astronomie und Geheimdienst-Affären, lag im 27. Stock des Monastair-Towers im Nachbarbezirk der Dom-Union. Von der Aula des Towers aus konnte man den Dom von Monastair sehen, den Sitz des hohepriesterlichen Prepstus, der auch die RAGA eingeweiht hatte. Das Foyer wimmelte von geschäftig umherflatternden Mitarbeitern, und niemand grüßte. Doch schon als Tüngör den Raumgleiter in Monastair verlassen hatte, um den Shuttle zum Monastair-Tower zu betreten, hatte er eine Nachricht von Klettmann persönlich bekommen. Klettmann erwartete ihn. Dringend. Tüngör begab sich direkt zum RAGA-Chefbüro.

      „Moment! Sie müssen sich erst anmelden!“ Ella Belkis Krächzen erreichte sein Gehör. Als Chefsekretärin wollte sie nicht übergangen werden, wenn jemand zum RAGA-Chef wollte. Tüngör jedoch hatte die Tür schon geöffnet.

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