Seemannsschicksale aus Emden und Ostfriesland – erlebte Geschichten rund um die Seefahrt. Jürgen Ruszkowski

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Seemannsschicksale aus Emden und Ostfriesland – erlebte Geschichten rund um die Seefahrt - Jürgen Ruszkowski

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Tage später ging die BROOKTOR auf der Hafenreede von Quinhuangdao vor Anker – nach 45tägigem Seetörn ohne Landgang.

      Eine Fülle fremdartiger Eindrücke erwartete die Seeleute im Reich der Mitte. Aber bevor die landhungrige Crew – 32 Mann an der Zahl – chinesischen Boden unter den Füßen verspürte, musste erst noch eine 14tägige Reede-Liegezeit in Kauf genommen werden. Dem aufkommenden Frust begegnete man damals mit dem heute noch im maritimen Sprachgebrauch verankerten Sinnspruch „Was brauchen wir an Land zu geh’n, man kann ja Land von Bord aus seh’n!“

      Aber selbst als das Schiff wohl vertäut am Kai lag, konnte von einem Landgang im herkömmlichen Sinn keine Rede sein. So war Einzelpersonen unter Androhung drakonischer Strafen das Anlandgehen untersagt. Stattdessen wurden die Landgänger mit Bussen zum Seemannsclub gekarrt und später an der Gangway wieder abgeliefert, wo ein bis an die Zähne bewaffneter Soldat die Landgangspässe kontrollierte. Dies war in jenen Jahren auch gängige Praxis in sowjetischen Häfen. Allerdings mit einem gravierenden Unterschied: Während in den sowjetischen „Interclubs“ ausgesuchte Politessen den in der Regel untauglichen Versuch unternahmen, den Seeleuten Marx und Engels näher zu bringen, war im Seamanhome von Quinhuangdao nicht ein einziges weibliches Wesen zu orten. Dieses aus Sicht der Fahrensleute schwerwiegende Manko ließ dann auch prompt die Besucherzahl merklich schrumpfen.

      „Blaue Ameisen

      An Bord der BROOKTOR wimmelte es derweil von so genannten „blauen Ameisen“, wie die geschäftigen chinesischen Hafenarbeiter beiderlei Geschlechts wegen ihrer blauen Arbeitskleidung genannt wurden. Zwar erfolgte das Be- und Entladen des Schiffes mit dem guten alten bordeigenen Geschirr. Alle anderen anfallenden Arbeiten jedoch wurden von ihnen mit Muskelkraft ausgeführt. Von Hafenkränen, Gabelstablern oder anderen technischen Hilfsmitteln war weit und breit nichts zu sehen.

       In der Ausbauphase

      Überhaupt befand sich der Hafen seinerzeit noch in der Ausbauphase. Unter anderem entstand vor der Hafeneinfahrt ein Wellenbrecher zum Schutz der im Hafen liegenden Schiffe. Auch hier leisteten die blauen Ameisen Schwerstarbeit. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang schleppte eine aus rund 500 Männern und Frauen bestehende Menschenkette schwere Felsbrocken zur Baustelle. Für Horst Brügma „ein immer wieder faszinierendes Schauspiel, das einmal mehr deutlich machte, über welch riesiges Menschenpotential die Volksrepublik China verfügt.“

      Nach sechswöchigem Aufenthalt war die BROOKTOR endlich klar zum Auslaufen. Während der Liegezeit im Hafen hatte die Maschinencrew eine lange, vom Leitenden Ingenieur Enno Gowers (Weener) aufgestellte Liste an Maschinenreparaturen ausgeführt. Der Heimreise stand somit nichts im Wege. Vorbei an dem in der Zwischenzeit kaum gewachsenen Wellenbrecher ging die Fahrt mit Kurs auf den Suez-Kanal.

      An Bord befand sich ein Sammelsurium an Waren und Gütern „Made in Peoples Republic of China“, darunter eine Partie Süßholz, größere Mengen billiger Taschenlampen und Thermoskannen sowie eine Teilladung Spezialerz. Erster Anlaufhafen war das ägyptische Alexandria, die Restladung wurde in Genua gelöscht. Mit der letzten Hiev ging das Schiff dort „off hire“, das heißt, der chinesische Charterer, der den Frachter für den Gütertransport von und nach China für eine bestimmte Summe am Tag – in der Regel auf US-Dollar-Basis – „gemietet“ hatte, gab das Schiff an den Eigner zurück.

       Gerüchteküche brodelte

      Sicherlich hätte die Reederei am liebsten das Schiff an Ort und Stelle aufs Neue verchartert. Aber daraus wurde nichts. So ging die anschließende Ballastreise nach Nordeuropa zu Lasten des Reeders. Brügma erinnert sich noch gut daran, dass in jenen Tagen die Gerüchteküche an Bord brodelte. Alles drehte sich um die Frage: Wohin führt die nächste Reise? Indes, man passierte Gibraltar, Kap Finisterre – und immer noch keine Order. Als das Schiff Ushant auf dem Weg in den Ärmelkanal passierte, konnte Funkoffizier Karl Lorenz (Emden) endlich dem Kapitän den mit Spannung erwarteten Funkspruch auf den Tisch legen: „Anschlussreise Stückgut Amsterdam für Barbados und Trinidad.“ Von der Crew wurde diese Nachricht einhellig begrüßt, hatten doch einige Pessimisten bereits eine weitere China-Reise, oder, wie sie es nannten, „Tote-Hose-Reise“ prophezeit.

       Jetzt seefest

      Fast ein Jahr war seit seiner Anmusterung ins Land gegangen, als der nunmehr seefeste Assi Brügma im Anschluss an die Karibik-Rundreise – auf der Heimreise brachte das Schiff gesackten Zucker von Matanza (Kuba) nach Odessa – in Rotterdam seinen wohlverdienten Heimaturlaub antrat. Anschließend erwarb er auf der „ILSE FRITZEN“ und „REIMAR EDZARD FRITZEN“ die noch fehlende Fahrzeit zum Besuch der Ingenieurschule. Nach dem Erwerb des C-4-Patents wechselte Brügma zu P. W. Wessels, auf deren Hochseeschlepper er unter anderem Häfen in Alaska, im Persischen Golf und Westafrika anlief.

      Derzeit ist der 59jährige als Chief, oder, wie es neuerdings im offiziellen Sprachgebrauch heißt, als „Leiter der Maschinenanlage“ auf Hafenbugsierschleppern der Emder Schleppbetrieb GmbH, wie die nach der im August 1994 erfolgten Fusion der Schleppbugsierfirma Wessels und Ems-Schlepper AG heißt, tätig.

      Albert Buabeng

      EZ-Mitarbeiter Gerd Redenius berichtete am 29.07.1989 in der Emder Zeitung:

      Emden / Ein ghanaischer Seemann fährt unter deutscher Flagge

       Auch nach zehn Jahren hat er noch Heimweh:

      Albert Buabeng an Bord der „SAIMAASEE"

      EZ-Bild: Leding

      Theoretisch habe er die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, meinte der ghanaische Seemann Albert Buabeng, der zur Zeit mit dem deutschen Küstenmotorschiff „SAIMAASEE" bei den Thyssen Nordseewerken im Schwimmdock liegt. Buabeng, der seit 1980 mit Ehefrau und seinen beiden Kindern in Meckenheim bei Bonn seinen festen Wohnsitz hat, steht seit annähernd zehn Jahren in Diensten der Schoenigh-Reederei in Haren / Ems.

      Aufgrund seiner langjährigen Seefahrtszeit auf Schiffen unter deutscher Flagge ist ihm von dem zuständigen Ausländeramt eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik erteilt worden. Erst nach reiflicher Überlegung hat er sich entschlossen, keinen Einbürgerungsantrag zu stellen. Seinen Verzicht begründete der 43jährige Seemann mit starken familiären Bindungen in die Heimat, oder schlicht mit Heimweh. Die Kosten für eine Einbürgerung würden sich nach seinen Angaben auf rund 10.000 Mark belaufen.

      Als möglichen Termin für die Rückkehr in das heimatliche Ghana nannte Albert Buabeng Mitte der 1990er Jahre nach dem Hauptschulabschluss der Kinder.

      Bis dahin hofft er, möglichst unter deutscher Flagge weiterhin in seiner Doppelfunktion als Decksmann und Koch tätig zu sein, wobei diese Doppelrolle nicht mit doppelter Heuer gleichzusetzen sei, wie er schmunzelnd versicherte.

      Die hohe Kunst, im Kombüsenbereich den „Politikus“ sachgemäß zu handhaben, wurde ihm bereits vor fünf Jahren von einem deutschen Kapitän beige­bracht. Dabei hat dieses Kombüsen-Utensil nicht mehr den Stellenwert früherer Seefahrtstage, als der Koch mit diesem etwas zu groß geratenen Kochlöf­fel nicht nur die Suppe umrührte. In Bedrängnis geraten soll es nicht selten vorgekommen sein, dass der Smutje die Qualität oder sogar die Quantität seiner

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