Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Ich bemühte mich, es als gegeben hinzunehmen und nicht zu viel Aufhebens darum zu machen, was in mir tobt. Denn aus irgendeinem Grund habe ich Angst, dass jemand aus meiner Familie davon erfahren könnte. Warum das so ist, kann ich allerdings nicht sagen. Etwas in mir warnt mich einfach davor.
So bemühe ich mich mit jedem neuen Tag meines Lebens, die alltäglichen Probleme zu meistern, die Sorgen und Nöte meiner Freundinnen zu teilen und niemanden merken zu lassen, dass ich eigentlich innerlich einer Zeitbombe gleiche.
Ich gebe vor, ein normales Mädchenleben zu führen und passe mich den Problemen meiner Mitschülerinnen an. Und da herrscht mittlerweile vornehmlich ein Thema vor, bei dem ich mit Weisheiten eher passen muss.
Ich bin zwar mit meinen siebzehn Jahren älter als meine Freundinnen, aber alle können mehr Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht vorweisen als ich, was ich nicht unbedingt als schlimm empfinde, warte ich doch auf den Richtigen.
Das erwähne ich auch jedes Mal, wenn dumme Sprüche aufkommen, weil mir einfach das Interesse an den hiesigen Jungen fehlt.
Und es gibt etwas in mir, das mir sagt, dass es ihn gibt. Irgendwo. Und ich muss auf ihn warten.
Noch so ein verrückter Punkt, der tief in mir verankert zu sein scheint. Es gibt nur den einen für mich und ich werde ihm irgendwann begegnen.
Also, wir zogen vor fünf Jahren in dieses Haus, nachdem wir es erst einmal bewohnbar machen mussten. Schließlich hatte es über zwanzig Jahre leer gestanden.
Eine lange Zeit, fand ich damals und glaubte kaum, dass man je in diesem Anwesen leben könne.
Aber meine Eltern waren fest dazu entschlossen und ich muss ihnen zugestehen, dass sie mich überraschten. Das Haus wurde wirklich schön und es lässt sich wunderbar darin leben, wenn man nicht an das abergläubische Geschwätz der Einheimischen glaubt. Die hatten das Haus Jahrzehnte gemieden, weil sie sich vor etwas fürchteten, dass es nicht gibt. Zumindest lebt hier kein Geist, wie man das im herkömmlichen Sinne vermuten würde. So einer mit herumspukender Gestalt, Schritten in der Nacht auf unbewohnten Dachböden oder so.
Als ich mit der Angst der Einheimischen konfrontiert wurde, fragte ich meine Mutter danach. Aber auch sie tat das Ganze als Unfug ab. Schließlich hatte unsere Familie, und meine Mutter im Besonderen, zu der Zeit noch ganz andere Tragödien zu verdauen, die uns überhaupt erst den Besitz dieses Hauses beschert hatten. Und das waren völlig irdische Probleme, die bestimmt irgendwann einmal in jeder Familie vorkommen.
Nach dem Tod von Mamas Onkel Otto, der ein Bruder ihres Vaters Willy war, wurde sie testamentarisch von diesem Onkel mit diesem Haus bedacht.
Warum sie? - fragten wir uns alle. Warum bedachte Onkel Otto, statt seinen Bruder, dessen Tochter mit dem Erbe?
Bei der Testamentseröffnung, der meine Eltern, einige mir fremder Leute, ich und mein Bruder Julian sowie Oma Martha und Opa Willy beiwohnten, verlas ein Notar dann das Testament dieses besagten Onkel Ottos, den ich persönlich nur sehr selten zu Gesicht bekommen hatte. Darin ernannte er meine Mutter Sophie als „seine Tochter“ zur Alleinerbin.
Oma Martha und Opa Willy saßen regungslos und wie versteinert eine Reihe vor mir.
Ich weiß noch genau wie ich meinen Bruder verblüfft angesehen hatte. Meine Mutter sollte die Tochter von Opa Willys Bruder sein? Somit also unser Opa gar nicht unser Opa!
Opa Willy war damals aufgesprungen und hatte mit seiner tiefen Stimme losgetobt, dass alles erstunken und erlogen sei.
Oma Martha, schon erschreckend wackelig auf den Beinen, stand ebenfalls auf und klärte die gesamte Gesellschaft mit ruhiger Stimme auf, dass der tote Otto recht hat. Sophie war seine Tochter und nicht die von Willy, unserem bisherigen Opa.
Der wurde direkt vor uns blass, stieß ein Krächzen aus, griff sich an die Brust und sank in sich zusammen.
Bei seiner Beerdigung, die keine zwei Wochen nach der von Otto stattfand, folgte ihm meine Oma. Sie brach bei der ergreifenden Ansprache des Pfarrers zusammen.
Wir waren alle wie vom Schlag getroffen und spürten so etwas wie den Fluch Gottes, der über unserer Familie zu schweben schien. Zumindest kam es mir da so vor, obwohl ich mich gerade im zarten Alter von zwölf Jahren befand. Damals wurde ich aber schon von eigenartigen Wahrnehmungen und Träumen heimgesucht, die sich aber immer nur wie ein Wurm in meinem tiefsten Inneren zu rühren schienen.
Natürlich hielt ich das vor allen möglichst geheim.
Mein Vater wollte das geerbte Haus verkaufen, aber meine Mutter nicht. Sie schien sich über die Bruchbude wirklich zu freuen und hing all ihre Liebe und Arbeitskraft in das verfallene Anwesen dessen Mannes, den sie zeitlebens als Onkel statt Vater kannte.
„Das Haus ist alt und im Moment noch unbewohnbar. Aber wir werden es etwas umbauen und schön einrichten und ihr werdet sehen, dass für uns damit ein wundervolles Leben im Eigenheim bevorsteht. Jeder bekommt sein eigenes Zimmer oder sogar zwei und wir haben eine riesige Werkstatt für Papa und für Julian einen Partyraum und viel Platz für Spielsachen und Tiere.“
Mit der riesigen Werkstatt und dem Partyraum zog sie Papa und Julian im Handumdrehen auf ihre Seite und mit den Tieren mich. Allerdings wurde nur aus der Werkstatt und dem Partyraum wirklich etwas. Ich bekam weder einen Hund noch ein Pony.
Als auch noch Oma bei Opas Beerdigung das Zeitliche gesegnet hatte, war es dann ganz vorbei mit meiner Mutter. Sie wurde vollends zu einer konfusen Schlafwandlerin, die nur der angehende Hausumbau weckte.
Also, im Sommer 2004, am Anfang der Sommerferien, zogen wir dort ein.
Das Haus ist gigantisch groß und wirklich nett hergerichtet. Wir hatten neu Wasser und Strom verlegt, neue Fenster einbauen lassen, die Fußböden neu gefliest, Wände neu verputzt, Decken neu eingezogen und ein neues Badezimmer eingebaut.
Aus der kleinen Wohnung in das große Haus zu ziehen war unglaublich und es machte mir den Schulwechsel erträglich. Unsere wenigen Habseligkeiten verschwanden in der endlosen Weite des Hauses und wir brauchten lange, bis wir uns daran gewöhnten. Einige Habseligkeiten verschwanden nach dem Umzug auch auf Nimmerwiedersehen.
Aber was machte das schon, wenn man plötzlich die Annehmlichkeiten von einem großen Haus auf dem Lande nutzen konnte.
Julian hörte laute Musik, bis die Wände wackelten und mein Vater begann sogar Kilos zu verlieren, nur weil er vom Wohnzimmer zur Küche aufbrach, um sich aus dem Kühlschrank ein Bier zu holen.
Ich bekam zwei Kätzchen und war eigentlich glücklich.
Doch bald erfuhr ich, was alle in dieser Gegend über das Haus dachten. Man sprach mich in der dritten oder vierten Woche nach unserem Einzug in dieses Haus darauf an.
Als ich auf den Bus wartete, rief mir aus einem Pulk von Jugendlichen ein Junge zu: „Hey du! Man muss schon verrückt sein, in dieses Haus zu ziehen. Aber da wohnten ja schon immer Verrückte.“ Er lachte etwas zu laut und fand sich dabei ganz witzig.
Scheinbar fanden die anderen seinen Spruch auch ganz gut.
Eines der Mädels aus unserer Nachbarschaft, die einige Schritte neben mir auch auf den Bus wartete, schaute mich herausfordernd an und erhoffte sich wohl eine Erwiderung meinerseits.
Da der Bus kam und ich schnell einstieg, blieb