Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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er das Heft, obwohl ich es ihm mit leicht zitternden Händen schon entgegenhielt. Dabei zuckten seine blassen Lippen und entblößten gelbe Zähne. „Du kommst an meinen Tisch“, krächzte er und hechtete zu seinem Pult zurück, als wäre ein tollwütiger Hund hinter ihm her und wolle ihn in seinen knochigen Hintern beißen. „Ihr anderen könnt gehen.“

      Alle sprangen überrascht auf und packten in Windeseile zusammen, als hätten sie Angst, der Alte könne es sich noch einmal überlegen. Die Stunde beendete der Professor zehn Minuten zu früh, und das hieß vor allen anderen beim nahen Einkaufsladen zu sein und sich ein Brötchen oder Süßigkeiten holen zu können.

      Ich war beunruhigt. Es gab in dieser Klasse niemanden, der auf mich warten wollte. Also hieß das, ich würde in Kürze mit der Mumie allein in diesem Raum sein. So beschloss ich einfach auch zu gehen. Schließlich war der Alte nur eine Vertretung und konnte einem nichts. Oder zumindest wollte ich so tun, als hätte ich ihn eben gar nicht richtig verstanden.

      Doch als hätte er das geahnt, rief er mich noch einmal zu sich und starrte mich mit seinen großen Augen an, bis ich vor seinem Lehrerpult stand.

      Die Letzten verließen eilig den Raum. Einige warfen mir noch einen Blick zu, den ich als Schadenfreude deutete.

      Ich fragte mich ernsthaft, was ich verbrochen hatte.

      „Setz dich auf den Stuhl da“, krächzte der Alte und stand selbst auf.

      Mit aufsteigender Übelkeit sah ich, wie er zur Tür schlurfte und sie zuzog. Ich war mit ihm eingesperrt und fühlte brennende Hitze in mir aufsteigen.

      Das ist doch nur ein alternder Vertretungslehrer, versuchte ich mich zu beruhigen, als der Alte sich vor mir auf seinen Stuhl fallen ließ.

      Er nahm das Klassenbuch zur Hand und ging die Reihen mit Namen durch. Als kaue er einen riesigen Klumpen Kaugummi, raunte er plötzlich meinen Namen und meine Adresse.

      Ich überlegte, ob ich ihm einfach erzählen sollte, dass er mich verwechselt. „Ach die, die ist gerade raus …“

      Aber als der Blick des Alten mich traf, war ich dazu nicht mehr in der Lage.

      „So, ihr wohnt jetzt also in dem Haus. Habt es einfach gewagt, dort hinzuziehen. Tja, seid ja auch dem Kurt Gräbler verwandt, dem alten Hexer.“

      Ich dachte im ersten Moment, der Alte fantasiert. So antwortete ich nur: „Wir haben das Haus von Mamas … Vater geerbt.“ Ich war mir erst nicht schlüssig, ob ich Vater oder Onkel sagen sollte und der Name Kurt elektrisierte mich auf seltsame Weise, konnte aber mit dem geerbten Haus nichts zu tun haben. Und der alte Mann vor mir konnte nichts von meinen Träumen wissen, in denen ich schon öfters auf diesen Namen gestoßen war.

      Der Professor fauchte: „Ja, die Geschichte von deiner Oma, die den einen Bruder heiratet und von dem anderen ein Kind kriegt. Einer dieser Geschichten, die sich in eurer Ahnentafel beständig wiederholen. Sie meinte, dass verheimlichen zu können. Aber ich habe es schon immer gewusst. Mir konnte keiner etwas vormachen. Noch nie! Immer hatte ich ein wachsames Auge auf eure Sippe. Blut zu Blut. Über Generationen hinweg. Das ist es, was der Alchemist braucht, um sein Werk zu vollenden.“

      Ich starrte den Alten verschüchtert an. In seinen Worten lag so viel Hass. Es schien fast so, als wäre er unerbittlich mit dem Schicksal meiner Familie verbunden. Aber mir wollte nicht einleuchten, was ich damit zu tun habe.

      „Und der Tag wird kommen, an dem er zurückzukehren versucht“, keifte er aufgebracht. „Zu sehr befasste er sich mit der Lehre der Alchemie und suchte nach einem Weg zur Unsterblichkeit. Zu sehr verschrieb er sich dem Satan. Er wird versuchen zurückzukehren“, rief er mit immer undeutlich werdender, sabbernder Stimme.

      Ich glaubte in den trüben Augen des Alten so etwas wie Wahnsinn erkennen zu können und schaute mich unbehaglich nach einem Ausweg um.

      Aber dann rührte ich mich doch nicht, denn der Alte fuhr mit erschreckend klarer Stimme plötzlich fort: „In eurer Familie fließt das Blut des Satans in seiner schlimmsten Form. Ja Kind, glaub`s mir ruhig. In dir lauert ein schreckliches Unheil. In dir und allen Kindern, die zur Erhaltung seines Blutes und zur Zusammenführung seines Geistes und seiner Seele gezeugt wurden.“

      Ich starrte den alten Professor verblüfft an und glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Da wollte mir dieser alte Lehrer etwas von Satansblut in meinem Adern erzählen, wo er mich heute zum ersten Mal sah, und dass wir angeblich gezeugt worden waren, um bestimmte Blutlinien, und wer weiß was noch, zusammenzuführen. So ein irrer Quatsch. Außerdem fand ich, dass es weitaus schlimmere Vergehen in Familien gab als die, die meine Oma begangen hatte. Und andere seltsame Blutsvermischungen gab es doch gar nicht, oder?

      Doch dass es darum allein nicht ging, erfuhr ich einige Augenblicke später, als der Alte seltsam in seinem Stuhl zusammensank und ganz selbstvergessen vor sich hinsinnierte: „Mein Bruder und mein Vater waren damals dabei. Sie halfen, den Hexer zu verbrennen. Die einzige Möglichkeit, den Satan in ihm zu töten, den er aus einem fernen Land zu uns brachte. Er war ein Mörder! Unheilbringend und der Alchemie verschrieben.“

      Ich weiß nicht genau, was für eine Tür sich in mir auftat. Aber mein Herz schlug noch heftiger und eine gewaltige Wut schlich durch meine Adern. Was wollte dieser Alte von mir? Und warum kam er mir mit so seltsamen Geschichten? Was hatte er nur mit diesem Hexer, der angeblich mal in unserem Haus gewohnt haben soll? Und wenn schon. Es gab bestimmt viele alte Häuser, in deren Vergangenheit weniger nette Ereignisse stattgefunden hatten.

      In mir kochte zu der Wut Betroffenheit über etwas hoch, dass ich nicht mal richtig benennen konnte. Und die Begegnung mit diesem alten Mann und dem, was er von sich gab, löste das in mir aus.

      Ich sprang vom Stuhl auf und rief aufgebracht: „Ich muss gehen! Ich verpasse sonst meinen Bus.“

      In mir baute sich etwas auf, das einerseits nach Flucht schrie und andererseits dem Alten am liebsten an die faltige Kehle springen wollte.

      Doch zeitgleich mit mir erhob sich auch der Professor, als hätte er meine Flucht geahnt, und packte mich am Arm.

      „Sieh mich an!“, keifte er und Spucke spritzte in mein Gesicht. Seine runzligen Finger umspannten meinen Oberarm wie ein Schraubstock. „Ich weiß nicht, ob du wiedergekehrt bist. Aber glaube mir, ich werde es bald wissen und dann werde ich dich bekämpfen, wie mein Vater und mein Bruder dich damals bekämpften.“ Die Stimme des Alten wurde hoch und kreischend. „Dann werden erneut Flammen über dir zusammenschlagen und dein Körper wird brennen. Ich werde niemals zulassen, dass du leben wirst!“

      Ein Geräusch ließ den Alten zusammenfahren und er gab erschrocken meinen Arm frei.

      „Professor, ist hier alles in Ordnung?“ Frau Grätsch, meine Sportlehrerin, stand in der Tür und musterte mich und den Alten bekümmert.

      Ich nutzte den Augenblick. Meine Tasche greifen und Abstand zwischen mich und den alten Professor bringen war eins.

      An der Tür griff Frau Grätsch nach meiner Hand und hielt mich zurück. Mit besorgter Miene fragte sie: „Ist alles in Ordnung, Carolin?“

      Ich riss mich los und rannte in den Korridor hinaus. Ich wollte nur noch weg. Dieser Alte war doch verrückt! Mord … Verbrennung … Ich wollte das alles nicht hören und nichts davon wissen.

      Erst draußen wurde ich langsamer und bemühte mich, ohne weiteres Aufsehen zu erregen, den Schulhof zu meistern. Ich schwor mir, wenn der Bus schon abgefahren war, würde

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