Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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zu ignorieren.

      „Opa erzählte das damals so komisch. So als wäre das etwas ganz Schlimmes“, fügt Julian hinzu und schüttelt verständnislos den Kopf. „Und dann gab es hier wohl einige Leute, die konnten ihn nicht gut leiden. Ich weiß nicht genau, was Opa alles so meinte. Ich glaube, es fing mit dem Verschwinden eines jungen Mädchens an. Dieser Kurt wurde wohl damit in Zusammenhang gebracht. Und dann waren da auch noch andere Zwischenfälle gewesen. Ich weiß das halt nicht so genau“, entschuldigt Julian sich, als wäre es ihm peinlich, mal etwas nicht zu wissen.

      Ich bin wie elektrisiert. Mein Magen scheint sich in seiner jetzigen Position nicht wohlzufühlen und eine andere einnehmen zu wollen. Aber warum? Das ist doch eine uralte Geschichte, die noch nicht einmal bewiesen ist und uns doch gar nicht mehr betrifft. Warum fühle ich mich so entsetzlich angesprochen?

      Julian ist mit seiner Geschichte noch nicht am Ende. „Aber das Härteste kommt noch. Ich habe diese Geschichte deswegen niemals vergessen. Man kennt so etwas von Spielfilmen und aus Geschichtsbüchern. Dass so etwas aber auch in der eigenen Familie passiert sein könnte, glaube ich bis heute nicht richtig. Ich denke, dieser Kurt ist wieder nach Ägypten abgehauen, als ihm hier das Pflaster zu heiß wurde.“

      Ich sehe meinen Bruder fassungslos an. Er blubbert vor sich hin und bringt nichts Verständliches zutage, wie mir scheint und ich brenne darauf zu erfahren, wie die Geschichte angeblich weitergegangen sein soll.

      „Was glaubst du nicht?“, frage ich ungeduldig nach, als er mich wieder nur anstarrt.

      Julian greift nach meinem Arm und zieht mich näher zu sich heran. Er lauscht einen Augenblick, ob sich irgendwo im Haus schon etwas rührt. Doch unsere Eltern werden erst in einer Stunde nach Hause kommen. Auf gar keinen Fall eher. Doch er scheint sich dessen erst ganz sicher sein zu wollen. Endlich sagt er sehr leise: „Opa sagte, so in etwa auf jeden Fall: Diese Hunde haben ihn damals für einen Hexenmeister gehalten und verbrannt, irgendwo bei seinem Haus.“

      Ich weiche vor meinem Bruder zurück. „Was, das hat Opa gesagt?“ Alles zieht sich in mir zusammen. Was Julian für unglaubwürdig hält, bekommt durch den alten Professor einen gewissen Wahrheitsgehalt.

      Julian setzt eine feierliche Miene auf. „Ich schwöre es. Ich habe das damals noch nicht so ganz verstanden. Aber als wir dann in der Schule über Hexenverbrennungen sprachen, fiel es mir wieder ein und die Geschichte von Opa bekam langsam einen Sinn für mich. Mama fragte damals, ob denn keiner nach ihrem Urgroßvater gesucht hätte und warum Opa sich so sicher sei. Und weißt du, was er ihr geantwortet hat? Er hätte die vielen Menschen auf dem Marktplatz gesehen und die Rufe gehört, die danach schrien, dass man den Hexer endlich verbrennen müsse.

      Du hättest Mama sehen sollen. Die hat angefangen zu weinen…

      Oma sagte dann, dass sie sich auch noch dran erinnern würde, wie sie sich mit ihren Eltern vor Angst im Keller versteckt hätten. Sie war damals noch ganz klein, sagte sie, und die Leute im Dorf waren schrecklich wütend. Ihr Vater hatte mehrmals von dem Alchemisten Heilsalbe geholt, weil er schreckliche Hauptprobleme hatte und an diesem Tag hatten ihre Eltern Angst, dass die Leute in ihrer Blutgier nicht nur dem Alchemisten an den Kragen wollten. Erst am nächsten Morgen wagten sie sich wieder hinaus. Omas Vater schlich sich noch am selben Tag hier her. Doch dieser Kurt war nicht mehr da. Stell dir das vor! Keiner hat seit dieser Nacht irgendwo etwas von ihm gesehen. Ist das nicht seltsam?“

      Ich sehe meinen Bruder verdattert an und er fügt hinzu, weil ich nicht antworte: „Aber ich glaube nicht, dass man ihn verbrannte. Ich bin mir fast ganz sicher, dass dieser Kurt nach Ägyp…“

      „Aber wenn es doch jemanden gibt, der angeblich genau weiß, dass er als Hexer verbrannt wurde?“, raune ich aufgebracht.

      Julian sieht mich entgeistert an.

      Mir wird noch unwohler und ich könnte mich für meinen Ausspruch ohrfeigen. In mir baut sich der Wunsch auf, dass Julian endlich aus meinem Zimmer verschwindet und er die ganze Geschichte schnell wieder vergisst. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nicht gut ist, wenn er etwas von meinem Zusammenstoß mit diesem verrückten Professor erfährt und was er mir gesagt hatte. Aber das ist nur ein unbestimmtes Gefühl in meinem Inneren.

      So springe ich auf und knuffe meinen Bruder lachend. „Ach, Hexenverbrennung. So ein Blödsinn! Das hätte doch die Polizei herausgefunden. Viel mehr Menschen hätten darüber gesprochen und Zeitungen hätten darüber berichtet. Mal ganz davon abgesehen, dass die Geschwister, Verwandten und Bekannten von diesem Kurt die Geschichte doch damals ganz anders hinterfragt hätten.“

      Julian sieht mich skeptisch an. „Aber was meintest du mit jemandem, der darüber genau Bescheid weiß?“, fragt er, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob ich ihm nicht nur etwas vormache. Er kennt mich einfach zu gut.

      „Das war nur Spaß!“, rufe ich und grinse Julian frech an. „Ich kenne auf jeden Fall keinen. Du?“, frage ich und greife nach meiner Schultasche, als wäre es nun wirklich an der Zeit, diesen Unsinn zu lassen und die Hausaufgaben in Angriff zu nehmen.

      Julian steht langsam auf und schüttelt den Kopf. „Nö, ich sage ja, dass der bestimmt wieder nach Ägypten gegangen ist.“ Er dreht sich noch einmal zu mir um und seine dunklen Augen verengen sich zu Schlitzen, die mich so seltsam mustern, dass alles in mir zusammenschrickt. Eine Sekunde lang habe ich das Gefühl, dass Julian mich durchschaut.

      Ich sage, als wäre das meine feste Meinung: „Vielleicht brauchte irgend so ein Ölscheich einen fähigen Laboranten zum Ölpunschen? Die haben bestimmt besser gezahlt als die Bauern hier. Da hat unser schlauer Verwandter gedacht, da geh ich lieber wieder.“

      Julian grinst steif und nickt.

      Mir kommt mit einem Mal der Gedanke, dass er mir noch irgendetwas verschweigt, genauso wie ich ihm. Aber ich wische den Gedanken schnell fort und füge noch, mich etwas dumm und unwissend stellend, hinzu: „Nah, den Verstand eines Ärchemästen oder wie das heißt, hast du bestimmt von diesem Kurt geerbt. Ich auf jeden Fall nicht.“ Ich spiele damit darauf an, dass Julian schon immer mit Chemiebaukästen herumhantiert hatte.

      Der scheint eine Sekunde zu erstarren. „Alchemist heißt das“, knurrt er und reißt die Tür auf. Dort dreht er sich noch einmal um, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. „Und, was war jetzt mit diesem Professor, nach dem du gefragt hast?“

      „Ach nichts! Gar nichts! Wir hatten bei dem heute nur Vertretung und der war echt schrecklich. Mehr nicht!“, antworte ich, die Unbekümmerte spielend.

      Ich bin froh, dass Julian endlich mein Zimmer verlässt. Nachdenklich gehe ich zum Fenster und stelle schnell die Blumen und alles Kram, was ich immer auf der Fensterbank ablege, auf den Schreibtisch. Das Fenster weit öffnend, sauge ich gierig die frische Luft in meine Lunge und rede mir ein, dass auch dieser Professor von der Geschichte gehört haben muss, die Opa meinen Eltern erzählt hatte. Aber das erklärt noch nicht, was wirklich aus diesem Kurt geworden war.

      Je mehr ich mir einzureden versuche, dass die Geschichte mit der Hexenverbrennung nur Blödsinn ist, umso heftiger schleicht sich in mir ein Interesse an dieser Geschichte ein. Mehr noch! Es scheint mir auf seltsame Weise der Wirklichkeit zu entsprechen, als wäre ich dabei gewesen. Und der Name Kurt …!

      Gibt es einen Zusammenhang mit „meinem“ Kurt?

      Mit Erschrecken baut sich in mir die Gewissheit auf, dass da tatsächlich eine Verbindung bestehen könnte.

      Ich beginne entsetzt, diese Geschichte als unwahr abzutun, aus einer Art Schutz heraus vor einem Wissen, das unbedingt tief in meinem

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