Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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      Mama schiebt sich in Windeseile ein großes Stück Pizza in den Mund und tut so, als könne sie darauf nun wirklich im Moment nicht antworten. Auch mein Vater scheint irgendwie mit der Pizza zu kämpfen, als wäre sie ein überaus zähes Stück Fleisch. Ich finde das Ganze langsam etwas lächerlich.

      Endlich antwortet Mama, nachdem sie ihr Pizzastück hinuntergewürgt hat: „Na ja! Zu der Zeit hielten die Menschen schnell mal jemanden für eine Hexe oder einen Zauberer. Aber lass uns jetzt endlich zu Ende essen, damit wir heute noch mal fertig werden.“

      Ich esse zwar brav meine Pizza, schwöre mir aber, mich mit ihrer Antwort nicht zufriedenzugeben.

      Eine seltsame Begegnung

      Ich kann in der Nacht nicht schlafen. Ständig schwirren mir die Geschichten von dem Professor, Julian und meinen Eltern durch den Kopf. Dazu kommt das, was mein Kopf selbst produziert, und das ist nicht unerheblich. Schließlich bin ich ein Geschöpf mit unermesslichem Reichtum an Fantasie. Das zumindest behauptet meine Deutschlehrerin, der meine Aufsätze meist zu fantasievoll sind.

      Als ich am Morgen aus dem Bett krabbele, fühle ich mich, als hätte mich der Schulbus überrollt. Die Stimmung am Frühstückstisch ist auch nicht gerade erhebend und ich sehe meinen Eltern an, dass sie eine diskussionsreiche Nacht hinter sich haben. Sie scheinen um Jahre gealtert zu sein.

      Mir ist an diesem Morgen der Professor irgendwie egal. Sein Anfall sieht nun, im Licht eines neuen Tages, kaum mehr erschreckend aus und ich mache mir keine weiteren Sorgen. Ganz im Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass man mir den Alten vom Hals halten wird. Warum sonst hatte die Schule es für nötig gehalten, meine Eltern zu informieren und ihnen zu versprechen, dass so etwas nicht wieder vorkommt.

      „Hast du gut geschlafen?“, höre ich die besorgte Frage meiner Mutter, und der Kopf meines Vaters fährt so ruckartig aus dem Papier der Tageszeitung hoch, dass mich sofort wieder ein seltsames Gefühl beschleicht.

      „Eigentlich schon“, antworte ich vorsichtig.

      Ich registriere den Blick, den meine Eltern sich zuwerfen.

      „Du siehst aber etwas blass aus“, meint meine Mutter skeptisch.

      Ich schüttele nur genervt den Kopf. Es hat sich eigentlich nichts verändert und doch tut sie so, als hätte ich eine lebensbedrohliche Krankheit und müsse unbedingt von allem schlechten dieser Welt abgeschirmt werden.

      „Du sagst uns doch, wenn dich etwas bedrückt oder ängstigt … oder du schlecht schlafen kannst. Wir sind immer für dich da.“

      Ich sehe meine Mutter aufgebracht an. Dann meinen Vater. Aber ich sage nichts dazu. Offenbar haben sie völlig vergessen, dass ich schon siebzehn bin.

      Julian schlurft in die Küche und wirft seine Schultasche auf den Stuhl neben mir. Ich kann gerade noch den Arm wegreißen, als Papa ihn schon anpflaumt: „Mensch, pass doch ein bisschen auf. Carolin hat nicht so gut geschlafen!“

      Als wenn das ein Stichwort ist, sieht mein Bruder mir verunsichert ins Gesicht.

      Das ist doch wirklich zu blöd. Sind hier jetzt alle übergeschnappt?

      Ich stehe auf und gehe kopfschüttelnd ins Badezimmer. Da habe ich wenigstens ein bisschen Ruhe vor den Irren da draußen.

      So bin ich auch froh, als ich das Haus endlich verlassen kann. Eigentlich viel zu früh.

      Der Weg zu unserer Bushaltestelle ist so lang, dass ich ihn üblicherweise mit dem Fahrrad bewältigte. Da ich aber viel früher als sonst bin, gehe ich zu Fuß. So entgehe ich wenigstens den Sprüchen meines Bruders, der bestimmt zehn Minuten später mit dem Fahrrad folgen wird.

      Wir besuchen zwar unterschiedliche Schulen, müssen aber bei der gleichen Bushaltestelle in den Schulbus einsteigen. Ein Umstand, der mich heute mehr nervt als sonst. Aber da der Winter vorbei ist, wird Julian bestimmt bald wieder regelmäßiger mit dem Fahrrad zum Gymnasium fahren. Das hoffe ich zumindest.

      Die frische Luft ist herrlich, und das Zwitschern der Vögel lässt meine Laune wieder etwas steigen. Die Sonne strahlt schon so hell, dass es ein schöner Tag zu werden verspricht und auf einem Feld kann ich die fünf Rehe sehen, die sich in den Wäldern der näheren Umgebung aufhalten. Sie sehen kurz auf und grasen dann unbekümmert weiter.

      Ich bin stolz darauf, dass die grazilen Tiere keine Angst vor mir haben und sehe schon in einiger Entfernung die Bushaltstelle, in der aber noch niemand wartet. Ein Blick zurück sagt mir, dass Julian auch noch nirgends auftaucht.

      Zu meinem Erstaunen komme ich sogar noch vor Julian an der Bushaltestelle an und frage mich, ob er heute schon das erste Mal mit dem Fahrrad direkt zur Schule gefahren ist.

      Im selben Augenblick trifft auch Christiane ein, die morgens immer von ihrer Mutter gebracht wird.

      „Hi!“, knurrt sie mürrisch, wie jeden Morgen. Christiane ist notorisch immer schlecht gelaunt.

      Wir setzen uns auf die leere Bank des Bushäuschens und sie fragt mit einem Blick auf den leeren Fahrradständer: „Bist du etwa zu Fuß?“

      Ich nicke.

      „Du bist ja wohl total verrückt!“, keift sie kopfschüttelnd und sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

      Christiane lässt sich meistens bringen, um nicht mit dem Fahrrad fahren zu müssen. Niemals würde sie freiwillig ihren Weg zur Bushaltestelle zu Fuß bewältigen, obwohl er sogar kürzer als meiner ist.

      Sie murrt schnippisch, weil ich nichts dazu sage: „Das hätte ich nicht getan. Jetzt siehst du aus, als hättest du einen Tausendmeterlauf hinter dir. So würde ich mich in der Schule nicht blicken lassen.“

      Soll ich ihr sagen, dass ich die halbe Nacht wach gelegen habe?

      „Danke“, antworte ich ihr stattdessen, die Gekränkte spielend. Aber eigentlich ist mir Christianes morgendliches Geplänkel egal. Sie hat fast jeden Morgen schlechte Laune.

      Julian kommt in diesem Moment die Straße hochgeradelt. Er hat es sehr eilig, wie mir scheint. Warum sehe ich im selben Augenblick, als der Bus sich der Haltestelle nähert.

      „Ist der Bus zu früh oder ist Julian zu spät?“, frage ich Christiane, die ohne zu antworten aufsteht und Julian zuruft: „Hau rein, du lahme Socke!“

      Wir steigen in den überfüllten Bus und Julian hechtet hinter uns her. Ich höre ihn etwas von „durchgeknallten Eltern“ murmeln und sehe, wie er sich neben einem Jungen in den Sitz wirft. Ich und Christiane müssen stehen.

      Christiane ist an diesem Morgen wieder einmal mehr als üblich schlecht mit sich und ihrer Umwelt zufrieden. Sie schimpft über den Busfahrer, der etwas zu rasant die Kurven nimmt und winkt ihrer Cousine zu, die weit hinten im Bus sitzt, mit den an mich gerichteten Worten: „Die Doofe könnte uns ja auch mal einen Platz freihalten.“

      Mir ist warm. Einerseits von dem Marsch, andererseits von den mittlerweile im Gang dicht gedrängten Schülern. So bin ich froh, als wir den Bus an der Schule endlich wieder verlassen können. Dort gesellen sich die anderen Mädchen aus Christianes Klasse zu uns und wir umarmen und drücken uns kurz.

      Als der Bus an uns vorbeizieht,

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