Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Ich garantierte ihr mit einem unbeholfenen Lachen, dass weder ein Geist noch sonst etwas in dem Haus sein Unwesen treibt, und das war der Anfang einer ganz brauchbaren Freundschaft zwischen mir und Christiane.
Bald legte sich das Gerede, als alle sahen, dass wir ganz normal das Haus bewohnten und nichts uns nach dem Leben trachtete. Dass dieser Onkel Otto es so lange leer stehen gelassen hatte, überzeugte wohl alle, dass der Spuk vorbei war, von dem mir eigentlich niemand so richtig sagen konnte, warum diese Angst vor dem Haus eigentlich so fest in den Köpfen saß. Über den Hexer von Ankum wusste keiner näheres zu berichten und auch alle neugierigen Nachforschungen von Julian und mir verliefen im Sande. Keine Aufzeichnung aus dem Internet erbrachte, dass es hier jemals wirklich einen Hexer gegeben hatte oder mysteriöse Morde in diesem Haus geschehen waren, die einen Geisterwahn gerechtfertigt hätten. Julian war sowieso von Anfang an der Meinung, dass die Einheimischen spinnen. Er wollte mir nicht mal helfen, etwas darüber herauszufinden und schmetterte auch schnell alles ab, was ich vielleicht noch für interessant hielt und weiterverfolgen wollte. Er lachte mich sogar deshalb aus.
Also beließ ich es dabei, wenn auch seit dem Einzug in das Haus mein Innerstes sich immer mehr zu wandeln begann und eine innere Unruhe mich stärker als bisher plagte. Etwas in mir schien die Vergangenheit nicht ruhen lassen zu wollen.
Einige Monate nach dem Einzug begann ich sogar von der Vergangenheit zu träumen und sah Dinge, die weit zurücklagen und die diesen Ort betrafen. Diese Träume machten mir natürlich Angst und ich verdrängte sie, sobald ich die Augen für einen neuen Tag öffnete.
Ich sprach mit niemand darüber. Denn irgendwie war da etwas in mir, das mich davor warnte, mich mit meiner Umwelt darüber auszutauschen. Etwas, das ich aber nicht benennen konnte.
Und dann gab es heute diesen Vorfall in der Schule, der mich immer noch innerlich erzittern lässt. Denn heute erfuhr ich von einem weiteren Stück Familienchronik aus vergangenen Zeiten, das so unvorstellbar und erschreckend wie unglaubwürdig erscheint und doch wirkt es auf mich, als öffnete man das erste Türchen eines Adventkalenders und ließ tief verborgenes Wissen heraus.
Also, heute Morgen fuhr ich wie jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Bushaltestelle. Ich war da noch wirklich gut gelaunt gewesen und nichts schürte in mir die Unruhe, da ich seit zwei Wochen keine seltsamen Träume hatte. Mein tiefstes Innere war zu der Zeit noch glücklich und zufrieden angesichts des vor uns liegenden schönen Frühlingtags.
Christiane war spät dran und erreichte den Bus gerade, als ich schon einstieg. Im Bus trafen Christiane und ich dann auf die ersten Mädchen, die uns lauthals begrüßten. Aber Christiane wollte nur schnell einen Platz suchen und zog mich neben sich in einen Sitz, um mir das Neuste von einem Jungen aus ihrer Klasse zu erzählen. Der wickelte angeblich reihenweise Mädchen um den Finger, wie Christiane abfällig bemerkte. „Weißt du, der hat jede Woche eine andere und jetzt ist diese Tanja dran. Ich sage es dir … ausgerechnet die! Die war noch bis vor 2 Tagen mit diesem komischen Thomas zusammen.“
Es war schon witzig. Ohne dass sie es mir sagte, wusste ich, dass sie bei diesem Möchtegern Casanova auch zu gerne mal zum Opfer werden wollte.
Nadine, ein Mädchen mit langem, dunkelbraunem Haar und Pferdegebiss, beugte sich über unsere Rückenlehne zu uns herunter und bestätigte mir meine Vermutung. „Ach, du meinst Felix, mit dem du letzte Woche so oft telefoniert hast?“
Ich sah Christiane an, die bis zum Scheitel rot anlief. Sie hatte nicht erwähnt, dass es einen Jungen gab, mit dem sie in letzter Zeit viel telefonierte.
Weil wir auf den Busparkplatz an den Schulen vorfuhren, kam Christiane dann aber um eine Erklärung herum, zu der sie sich sicher genötigt gefühlt hätte.
Wir verabschiedeten uns und gingen zu unseren getrennten Schulen. Ich in die Hauptschule und Christiane mit den anderen Mädchen in die Realschule.
In meiner Schule lief dann alles wie gewohnt, bis zur letzten Stunde. Da bekamen wir einen Vertretungslehrer für unsere Geschichtsstunde.
Statt des sonst so schmucken Lehrers kam ein veralteter Professor in die Klasse geschlurft, der aus einer anderen Epoche zu stammen schien. Woher sie diese Mumie ausgegraben hatten und warum sie den gerade auf uns losließen, erfuhren wir im gleichen Zuge.
Wir starrten den alten Mann mit den sehr wenigen Haaren und einer dicken Brille auf der schiefen Nase, die die Poren der Haut so groß erscheinen ließ, dass man glaubte in Krater zu sehen, fragend an. Die Augenbrauen waren so wuschelig und über der Nase zusammengewachsen, dass die Brille nur halb vor die Augen passte, und aus den Nasenlöchern ragten karge, stachelige Haare hervor.
Das alles sah ich aber nur so genau, denn mir rückte der Alte am Ende der Stunde dermaßen auf die Pelle, dass mir das Grausen kam.
Aber greifen wir mal nicht vorweg.
Also dieser Professor Knecht schrieb mit kreischender Kreide seinen Namen an die Tafel und setzte sich hinter den Schreibtisch. Dann ließ er seine riesigen, reptilienhaften Augen über die Reihen von Schülern gleiten.
Als er alle begutachtet hatte, räusperte er sich, krächzte etwas von einem Museum, der Heimat und vergangener Geschichten, und dass er immer auf der Suche nach Wahrheiten und Aufklärungen ist. Doch manchmal, so erklärte er, sprang er auch als Lehrer ein, wenn mal Not am Mann war, was das Fach Geschichte betraf. Er versicherte uns, dass er das sehr gerne tat und dass ihm die Zusammenarbeit mit jungen Menschen Spaß macht.
Seine durch die Brille hervorgehobenen, riesigen Augen liefen wie Brenngläser über unsere Köpfe hinweg und ließen seine Worte etwas unglaubwürdig erscheinen. An mir blieben sie einen Moment hängen und verengten sich bedrohlich. Dann keuchte er eine Seitenzahl aus unserem Geschichtsbuch und wartete, bis alle das Buch aus dem Schulranzen auf den Tisch gezerrt hatten. Er krächzte genauso unfreundlich: „Füller raus und die Seite abschreiben. Ich möchte eine saubere und leserliche Arbeit in ungefähr …, “ er suchte nach seiner Uhr in der dichten, grauen Wolle auf seinem Arm, „… einer halben Stunde.“
Alles stöhnte und seufzte und doch war da etwas an dem Alten, das keinen Widerspruch duldete, wie es sonst so oft in unserer Klasse praktiziert wurde.
Bald hörte ich das Kratzen der Füller und schrieb selbst fleißig die Sätze ab, die uns einen Einblick in den Zweiten Weltkrieg geben sollten. Ein Thema, das ich eigentlich hasse wie die Pest. Denn ich habe oft schreckliche Albträume vom Krieg, Soldaten und dem Tod.
Als ich kurz aufsah, um festzustellen, was der alte Professor die ganze Zeit macht, sah ich ihn mit zuckenden Augenlidern das Klassenbuch studieren.
Plötzlich sah er auf und mir direkt ins Gesicht.
Entsetzt senkte ich die Augen wieder auf mein Heft. Irgendwie durchzuckte mich sein Blick wie ein Blitz. Als ich wieder vorsichtig aufzusehen wagte, starrten mich diese großen Froschaugen immer noch an und in dem alten Gesicht schienen die Muskeln ein Eigenleben zu entwickeln.
Wieder blickte ich schnell auf mein Heft und schrieb weiter. Irgendwie hatte ich Angst, sonst noch einmal ungewollt in dieses Gesicht zu blicken und erneut darin diesen erschreckenden Ausdruck blanken Hasses zu sehen.
Als die ersten ihre Hefte abgaben, waren etwa zwanzig Minuten vergangen. Noch zehn Minuten später sprang der Alte auf und ging in einem behänden Schritt, den ihm keiner mehr zugetraut hätte, zu den Tischen noch schreibender und entriss ihnen die Hefte.
„Genug, genug“, krächzte