Morgentod. Ole R. Börgdahl
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Читать онлайн книгу Morgentod - Ole R. Börgdahl страница 6
»Gut, Sie sind gleich noch dabei, wenn ich mir die Tote ansehe.«
»Ich habe Verpflichtungen«, begann Dr. Loos wieder zu stammeln. »Mir ist das alles wirklich sehr unangenehm. Können Sie nicht Ihre Kollegen von der Gerichtsmedizin hierherholen?«
»Kommt noch!«, sagte Bruckner weiterhin mürrisch. »Sie haben die Leiche als Erster untersucht, Sie bleiben bitte hier.«
Es vergingen zwei Sekunden, dann fügte Bruckner in milderen Worten noch etwas hinzu. »Bitte haben Sie Verständnis dafür, Herr Dr. Loos.«
Bruckner wandte sich wieder an Hartmann. »Ich überlege gerade, soll ich mit den Leuten sprechen oder erst die Leiche ansehen?«
»Die sollten sich noch ein paar Minuten beruhigen«, meinte Hartmann. »Wir haben sie ja regelrecht zusammengetrieben. Den Gärtner musste ich zweimal bitten, wieder ins Haus zu kommen.«
»Den Gärtner«, wiederholte Bruckner. »Da gibt es doch ein Sprichwort.«
»Oh, sonst sind die Phrasen doch immer von mir, Herr Kriminaloberkommissar«, entgegnete Hartmann.
Bruckner zuckte mit den Schultern. »Also zuerst die Leiche. Spurensicherung schon abgeschlossen?«
»Nein, wie gesagt, die Leiche geht vor.«
»Wo ist das, diese Bibliothek?«
Hartmann zeigte auf die Tür, durch die er, Hermann Seitz und Dr. Loos vor zwei Minuten gekommen waren. Bruckner nickte. Hartmann ging voran, wir anderen folgten. Ich betrat das Zimmer als Letzter und schloss die Tür hinter mir. Hartmann und Galler hatten Scheinwerfer aufgestellt, die Hartmann jetzt wieder einschaltete. Ich hatte den Körper der toten Frau erst gar nicht wahrgenommen. Das grelle Licht tauchte alles in eine unwirkliche Welt, in eine Welt aus Sachlichkeit. Dieses Empfinden hatte ich früher auch schon immer im Leichenschauhaus, was es einem einfacher macht, die Grausamkeit des Todes von Gewaltopfern zu ertragen. Erst jetzt spürte ich die Hitze in dem Raum. Hartmann klärte uns gleich auf.
»Der Gaskamin war voll aufgedreht, warum auch immer. Das macht die Sache für den Pathologen nicht einfacher. Wir konnten natürlich nicht lüften.«
Bruckner nickte. »Wie weit ist der Bereich gesichert?«, fragte er.
Hartman zeigte in gerader Linie von der Tür bis zur Leiche. »Wir haben hier einen Korridor von zwei Metern Breite aufgenommen. Und um die Tote herum einen Halbkreis von ebenfalls zwei Metern.«
»Und die Spurenlage?«
»In der Nähe der Leiche vor allem Blut, menschliches Gewebe und verbrannte Stoffreste«, erklärte Hartmann. »Die Stoffreste stammen wohl von der Kleidung der Toten, soweit man das ohne Laboruntersuchung feststellen kann.«
»Sonst nichts?«
Hartmann schüttelte den Kopf. »Wir sind mit unserem Staubsauger über den Teppich gegangen. Ist so gut wie nichts hängengeblieben. Der Raum wird täglich gereinigt. Gibt ja auch genug Personal hier.«
»Wer sagt das?«, fragte Bruckner.
»Die Haushaltshilfe«, antwortete Hartmann. »Eine Frau Lankes. Ich habe mich sehr nett mit ihr über Staubsauger unterhalten. Hier im Hause bevorzugt man einen Vorwerk Kobold.«
»Kobold?«, wiederholte Bruckner.
»Der Mercedes unter den ...« Hartmann sprach den Satz nicht zu Ende, weil Bruckner schon die Hand hob.
»Ich glaube wir lassen die Phrasen«, sagte er mit einem Ton, der allerdings nicht sehr ernst klang.
Bruckner sah erst nach links und dann nach rechts, um die zwei Meter abzuschätzen. Hermann Seitz, der bislang noch überhaupt nicht gesprochen hatte, blieb wie eine Wache an der Tür stehen. Wir anderen gingen auf dem vorgegebenen Weg zur Leiche. Eine gute Minute lang ließen wir das Bild auf uns wirken. Dr. Loos begann schon unruhig zu werden. Bruckner ließ ihn weiter zappeln.
»Was wissen wir über die Dame?«
»Caroline Upp, fünfunddreißig Jahre alt, ledig. Die Information stammt von Herrn von Treibnitz«, erklärte Hartmann.
»Das weiß ich schon alles. Hast du nicht mehr zu bieten? Was ist mit Angehörigen, Eltern, Geschwister, sind Namen von Freunden bekannt und das alles? Mit wem haben wir es zu tun? Was sagt der Polizeicomputer?«
Hartmann pfiff durch die gespitzten Lippen. »Noch gar nichts. Die Überprüfung steht noch aus. Ich kann mich schließlich nicht zerreißen. Ich werde mich aber gleich noch einmal dahinterklemmen.«
Bruckner nickte, gab sich mit der Antwort vorerst zufrieden. »Was waren ihre Aufgaben?«, kam er gleich zum nächsten Punkt.
»So wie ich es verstanden habe, war Frau Upp die Hauswirtschaftlerin.«
»Was macht so jemand?«
»Weiß nicht«, sagte Hartmann.
Bruckner gab auch mit dieser Antwort vorerst zufrieden. Bisher hatte er in gewisser Weise nur über die Leiche hinweggesprochen. Jetzt ging er in die Knie. Ich selbst habe immer den Blick von oben bevorzugt. Bruckner hockte direkt vor dem Kopf der Toten, so hat jeder seine eigene Herangehensweise. Die Leiche lag auf dem Rücken vor einem geöffneten Schrank. Das rechte Bein war gerade gestreckt, das Linke leicht angewinkelt. Die Arme waren zu beiden Seiten des Kopfes nach hinten geworfen. Es sah tatsächlich so aus, als wäre die Tote mit großer Wucht umgestoßen worden und hatte dabei mit den Armen gerudert, um den Sturz noch zu verhindern. Dieses Bild täuschte selbstverständlich. Es war vielmehr die heftige Rückwärtsbewegung, die die Arme mit sich gerissen hatte. Es war also keine gewollte oder reflexartige Bewegung, sondern die reine Physik eines leblosen Körpers. Die Ursache für diese plötzliche Leblosigkeit zeichnete sich auf der Brust der Frau ab. Das blutdurchtränkte Kleid verbarg zunächst die schwere Verletzung. Bei genauerem Hinsehen konnte man aber den zerstörten Brustkorb erkennen. Ein gut fünf Zentimeter großes Loch, zerfetztes Fleisch, geborstene Knochen. Alles war bereits in Blut getaucht, sodass es wie eine einzige rote Masse wirkte. Ich blickte jetzt auch in das Gesicht der Toten. Erhebliche Blutspritzer an Kinn und Nase. An einigen Hautstellen gab es Verbrennungsspuren. Die Augen waren geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Die Gesichtshaut wirkte insgesamt bläulich. Die braunen, halblangen Haare klebten in einer Blutlache am Teppich.
Bruckner gab dem Arzt ein Zeichen. Dr. Loos hockte sich ohne ein Zögern zu ihm auf den Boden.
»Was können Sie mir darüber sagen?«
Dr. Loos überlegte, als wenn er nach den richtigen Worten suchen musste. Dann legte er los.
»Schussverletzung aus nächster Nähe, vielleicht zehn, höchstens zwanzig Zentimeter«, war die erstaunlich knappe und präzise Antwort.
Dr. Loos war aber noch nicht fertig. Bruckner und er blieben in der Hocke, während der Arzt auf den Körper der Toten zeigte, um seine Erklärungen anschaulicher zu machen.
»Schrotmunition. Das Brustbein wurde aufgesprengt, hoher Blutverlust in relativ kurzer Zeit. Ich vermute auch gravierende innere Verletzungen.« Er machte eine Pause und sah Bruckner an. »Die Schrotkörner können an den Knochen abgeprallt