Morgentod. Ole R. Börgdahl
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Читать онлайн книгу Morgentod - Ole R. Börgdahl страница 8
»Moment, das verstehe ich nicht, wie kommen Sie darauf?«, fragte Bruckner. »Die Waffe kann doch auch herausgekippt sein, während unser Opfer im Schrank hantierte?«
Dr. Loos trat vor die Tote, beugte sich über sie, nahm ihren rechten Arm hoch und drehte die Handfläche nach oben. »Hier können Sie die Verbrennungsspuren sehen. Das kommt vom Mündungsfeuer.«
»Alle Achtung«, sagte Bruckner, »da nehmen Sie ja die Arbeit des Gerichtsmediziners vorweg.«
»So etwas ist wohl nicht sehr schwer zu erkennen«, entgegnete Dr. Loos mit einem Achselzucken.
Er legte den Arm der Toten wieder behutsam auf dem Fußboden ab und erhob sich.
»Was glauben Sie, was passiert ist?«, fragte Bruckner weiter.
Dr. Loos räusperte sich erneut. »Sie hat den Lauf der Flinte zu sich gezogen, ihn wie gesagt mit der rechten Hand gehalten und dann muss sich der Schuss gelöst haben.«
»Wie meinen Sie das, der Schuss muss sich gelöst haben?« Bruckner sah mich kurz an, wartete aber auf Dr. Loos’ Antwort.
»So etwas kann schnell passieren, wenn die Waffe noch geladen war. Es ist natürlich unverantwortlich, eine geladene Flinte im Schrank abzustellen.«
»Also das ist Ihre Theorie«, fasste Bruckner zusammen. »Das Opfer geht an den Schrank, öffnet ihn, nimmt das Gewehr mit der rechten Hand und zieht es am Lauf heraus. Daraufhin löst sich ein Schuss. Warum hat sich der Schuss gelöst?«
Es war Bruckners Art zu fragen, denn genau wie ich, wusste er die Antwort bereits. Dr. Loos ließ sich auf das Spiel ein.
»Das Sicherungskabel«, antwortete er und ging an den Schrank heran. »Es ist aber absolut gefährlich, wenn man das Sicherungskabel so verlegt wie hier.« Der Arzt sah Bruckner wieder an. »Sie wissen schon, was ich meine. Das Kabel sollte eigentlich unterhalb der Abzüge laufen.«
Bruckner verzog keine Mine. »Also, sie hat die Flinte aus irgendeinem Grund mit der rechten Hand am Lauf angefasst, den Lauf zu sich gezogen. Das Sicherungskabel hat sich gespannt und den Abzug ausgelöst. Dann ergeben sich mehrere Fragen für mich.«
Bruckner schien kurz zu überlegen. Jetzt sprach er nicht mehr zu Dr. Loos, sondern zu Hartmann und mir.
»Warum hat sie die Waffe angefasst? Wollte sie sich umbringen oder war alles nur eine Verkettung unglücklicher Umstände? Warum war der Abzug nicht gesichert, denn sonst hätte sich kein Schuss lösen können? Hat sie die Waffe selbst geladen? Hat sie die Waffe selbst entsichert?«
Bruckner wandte sich direkt an Hartmann, der gleich verstand und den Kopf schüttelte.
»Moment, Moment, wir haben den Schrank noch nicht untersucht. Wann denn auch.«
Hartmann holte ein zweites Paar Venylhandschuhe hervor, streifte es sich über die Hände und beugte sich in den Schrank.
»Vorsicht!«, rief Dr. Loos, der einen Schritt zurückgetreten war. »Erst den Abzug sichern, das ist ein Doppelläufer, da kann noch eine zweite Patrone im anderen Lauf stecken.« Er blieb auf seiner sicheren Position stehen, reckte sich etwas und dirigierte mit den Händen. »Einfach den Schlossbügel oben auf der Flinte nach rechts drücken und den Lauf brechen, das heißt den Lauf herunterkippen.«
Hartmann ging mit dem Oberkörper ein Stück zur Seite und zeigte auf den Bügel der ganz rechts stehenden Waffe. »Hier drücken?«
»Ja, und den Lauf beim Brechen festhalten.« Dr. Loos näherte sich einen Schritt.
Hartmann nickte und klappte den Lauf der Flinte nach vorne. »Nicht schlecht«, sagte er und deutete auf die beiden Patronen, die beim Öffnen der Waffe ein Stück aus ihren Läufen geschoben wurden.
»Einsammeln!«, rief Bruckner.
Hartmann zog einen Plastikbeutel aus seiner Jackentasche. Die Patrone im unteren Lauf hatte noch ein glänzendes Zündhütchen und war unversehrt. Von der im oberen Lauf war nur noch die Kunststoffhülse übriggeblieben. Hartmann tütete beide Patronen ein. Bruckner kam wieder auf seine Fragen zurück.
»Wollen wir ein kleines Fazit ziehen«, schlug er vor. »Ein vorläufiges Fazit, meine ich. Die Frage ist nämlich, Selbstmord oder Unfall, suizidal oder akzidentell.«
Dr. Loos fühlte sich wieder angesprochen und nickte. »Soll ich das so in meinen Bericht schreiben?«
Bruckner wandte sich zu ihm und schüttelte den Kopf. »Ja Herr Doktor, jetzt sind Sie hier doch schneller fertig, als wir gedacht haben. Sie müssen nur noch den Totenschein ausfüllen, das ist Ihre einzige Pflicht. Ich erkläre das hier nämlich offiziell zu einer polizeilichen Angelegenheit und entbinde Sie von der Leichenschau.« Bruckner zögerte einen Moment. »Ich bedanke mich bei Ihnen, war gute Arbeit.«
»Soll ich noch einmal nach Frau von Treibnitz schauen?«
»Das kann ich natürlich nicht entscheiden, Sie sind hier der Arzt«, antwortete Bruckner.
»Ich werde nach ihr sehen«, entschied Dr. Loos, ohne zu zögern.
Bruckner nickte. Er deutete zur Tür. »Kollege Seitz soll Sie nach oben begleiten. Bitte bedenken Sie, dass Frau von Treibnitz eine Zeugin ist. Vielleicht können Sie ihr auch etwas geben, damit Sie wieder auf die Beine kommt.«
Dr. Loos hatte Bruckner verstanden. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
Hermann Seitz hatte bereits die Tür geöffnet. Dr. Loos und er verließen die Bibliothek. Hartmann, Bruckner und ich blieben bei der Leiche. Es gab noch ein paar Punkte, über die wir uns austauschten, die uns aber zunächst nicht weiterbrachten.
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