Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt
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»Eine kleine Intelligenzbestie also – und auch noch hübsch?«
»Du bist ein wahrer Glückspilz.«
»Ihr wollt mich doch nicht mit ihr verkuppeln?«
»Untersteh dich, auch nur an so etwas zu denken, Marc! Sie ist deine Lehrerin, nichts weiter. Vater vertraut darauf, dass deine vollmundigen Behauptungen von einem Leben ohne Frauen ernst gemeint sind.«
Das hatte mir gerade noch gefehlt: Nachhilfestunden in Physik. Und dazu der Körpergeruch einer jungen intelligenten Frau, wenn sie sich am Schreibtisch über meine Schulter beugte. Wer sollte so etwas aushalten? Wenn ich es allerdings schaffte, meinen Vater davon zu überzeugen, dass ihre Arbeit so überflüssig war wie ein Kropf?
Das ließ sich nur durch Leistung bewerkstelligen. Ich würde mein Interesse an der Malerei auf Eis legen müssen. Ich wusste, dass ich in der Lage war, gut und schnell zu lernen. Am besten veröffentlichte ich irgendeinen genialischen Aufsatz in einem Fachmagazin für Theoretische Physik. Und nachmittags würde ich mir jeden Tag einen Gang durchs Museum gönnen, als Belohnung für meine Disziplin.
Karola war zwar hübsch, aber körperlich eher unscheinbar. Sie reichte mir gerade bis zu den Ohren. Sie liebte Pullover. Und das alles, ohne mein Sehzentrum durch breitflächige Fettpolster zu terrorisieren. Ihre Bewegungen waren so geschmeidig, als verbringe sie ihre Freizeit mit Yoga-Übungen. Bei alledem hatte sie eine Art, die Dinge anzugehen, die mir Achtung abnötigte. Nicht dieses zickige Gebaren, das sich emanzipierte Frauen antrainiert haben.
Sie schien zu glauben, ich hätte noch nie im Leben etwas von Erotik oder Sex gehört, denn sie behandelte mich, als sei ich völlig geschlechtslos, als komme das alles erst in einer späteren Lebensphase.
Nachdem Anja ihr gesagt hatte, ich hätte mich für die sexuelle Abstinenz entschieden, blickte sie mir einen Augenblick lang ausdruckslos in die Augen. Wieder hatte ich dieses verdammte Gefühl von Glas. Gehörte sie etwa zu den Gläsernen wie mein Vater? Ich versuchte ihre Gedanken zu lesen. Sie dachte: Wie kann sich jemand dafür entscheiden, Mönch zu werden, wenn er gar nicht weiß, wovon er redet?
Ihr Zimmer im Dachgeschoss machte mich rasend, weil es wie ein einladendes Liebesnest wirkte, und zwar eines von der modernen Sorte, keines mit Plüsch und rotem Licht. Ich lag halbe Abende krank vor Eifersucht auf der Lauer, um herauszufinden, ob sie dort irgendwelche Freunde empfing. Aber entweder war sie cleverer als ich, oder sie hatte sich vorgenommen, während der Probezeit kein Risiko einzugehen.
Immerhin wurde ich auf diese Weise von meinem Problem mit der Kunst ablenkt. Genauer gesagt, es normalisierte sich. Es verlor an Kraft.
Die wenigen Augenblicke, in denen ich mich ins Nationalmuseum fortstahl, um einen Blick auf die Abgründe des Lebens, auf meine berufliche Zukunft zu werfen, oder auf das, woran ich als Maler anzuknüpfen gedachte, wirkten so besänftigend und anregend auf mich, dass ich eine geheimnisvolle Verbindung oder Spannung zwischen Karola, meiner paranoiden Eifersucht und der Galerie und Montag empfand.
Bosch klaffende rote Wunde am Bauch erschien mir plötzlich weniger bedrohlich. Alle diese Bedenken waren nichts weiter als der Ausdruck eines übersättigten Gehirns. Was hinderte mich eigentlich daran, einen positiven Ton in meine Malerei zu bringen? Etwa die Vergangenheit? Die Tradition?
Ich hatte meine Krise überwunden – dank eines Mädchens, das nach irgendeinem konventionellen Deodorants roch, vermischt mit billigem Studentenparfüm von den Verkaufsständen der Mensa. Ein weiterer Beleg dafür, wie leicht Frauen im Leben eines Mannes zum Katalysator werden können.
Mich faszinierte Karolas helles Lachen, wenn sie mir mit unschuldsvoller Miene, als belehre sie einen unbegabten Schüler, klarzumachen versuchte, dass sich Naturgesetze immer nur falsifizieren aber niemals verifizieren ließen und ich mit der ganzen Leidenschaft meines jungen Forscherlebens widersprach. Das war vulgärster Popper. Nichts ließ sich jemals wirklich verifizieren, wenn man der Sache bis ins letzte nachging, nicht mal der Satz, Naturgesetze ließen sich niemals verifizieren, also auch nicht die Naturgesetze.
Der Grund dafür liegt, wie ich heutzutage glaube, in der mangelnden Überprüfbarkeit unserer Gedanken. Man kann unmöglich wissen, ob sie ihre Welt nur mit Hilfe obskurer, vom Gehirn zusammengefügter Wahrnehmungen erschaffen oder auf irgendeine Weise bewusstseinsunabhängige Dinge erfassen.
Der Irrtum unserer begabten Studentin war, dass sie auf zu naive Weise ihren »Wahrnehmungen« und Gedanken vertraute. Sie war ein durch und durch normaler Mensch, so stinknormal wie meine Familie.
Sie passte vollendet zur Inneneinrichtung unseres Hauses: neureich und von der Stange, mit vergoldeten Armaturen, aber aus Kunststoff-beschichteten Spanplatten. Karola konnte mir theoretisch nicht das Wasser reichen. Sie war einfach nur bürgerlich, einschließlich aller Marotten, die sogenannte absolut gültige Verhaltensregeln mit sich bringen, wie ihre Binden vor mir im Kleiderschrank zu verstecken oder sich eine Badetuch umzubinden, wenn sie aus der Wanne kam.
Da schien mir der fette, unser großes Irrenhaus und seine höllischen Folgen abbildende Hieronymus Bosch im Weltgerichts-Triptychon schon eher auf der Höhe der Zeit. Für ihn war das Erdachte und Vermutete genauso real wie die sogenannte ordinäre Realität. Wir sind fast immer Opfer oder Nutznießer unserer Gedanken.
Besäßen wir nur genügend Innensicht, würden wir leicht erkennen, wie wenig von den Dingen übrigbleibt, die wir als »Realitätskrümmel« wahrnehmen – dem Zeug, das man sägen, zerbrechen oder verbrennen kann. Den Blick vor dieser anderen, inneren Realität zu versperren, ist die beste Voraussetzung dafür, zum psychischen Krüppel zu werden.
An diesem Freitagnachmittag hatte ich meine kleine Kamera mitgenommen, obwohl es verboten war, in der Galerie zu fotografieren. Unter dem in heller Glorie thronenden Weltenrichter war eine Apokalypse alptraumhafter Grausamkeiten ausgebrochen, in der Teufel und andere Bestien ihr gnadenloses Geschäft erledigten, während im Hintergrund des mittleren Bildes die Welt in Flammen aufging.
Eine kalte Wintersonne fiel durch die großen Fenster. Was ich brauchte, wenn ich auf den verräterischen Blitz verzichten wollte, war lediglich eine ruhige Hand und eine lange Belichtungszeit. Ein 1/15 Sekunde ohne Stativ. Als ich die Kamera ans Auge hob, sagte Montags Stimme hinter mir:
»Es ist ein Gemälde von großer innerer Hellsichtigkeit …«
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Er sagte nicht: Verschwinde mit deiner verdammten Kamera, sondern er sah mich zum erstenmal an wie jemanden, der nicht durchsichtig ist. Ich gewann augenblicklich meine Existenz zurück und fühlte mich nicht länger als Schatten.
Sein gütiges altes Gesicht war es, das mir diesen Lebenshauch eingab. Es schien, als würde ich zugleich leicht und schwer. Als werde das Gewicht eines gewaltigen Steines von mir genommen, der mich in den Boden gedrückt hatte, und als gewönne ich dadurch auch mehr Standfestigkeit. Die Atmosphäre des Raumes schien mich zu halten und umfloss mich wie eine unsichtbare Hülle.
»Ich weiß natürlich, dass es hier verboten ist, zu fotografieren, weil das Blitzlicht den Farben schadet«, sagte ich. »Aber mir ist plötzlich klar geworden, dass ich mich länger mit dem Bild beschäftigen muss. Die Zeit