Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

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Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt

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um seine Maltechnik zu studieren.«

      »Die Technik ergibt sich immer von selbst, wenn man ernsthafte Absichten hat und genaue Beobachtungen anstellt. Ich glaube nicht, dass Bosch sehr systematisch über seinen Stil nachdachte. Natürlich wusste er, was er tat.

      Aber er arbeitete aus einer künstlerischen Intuition heraus, er war sich seiner Formen völlig sicher. Entscheidend ist, ein starkes Empfinden für das zu entwickeln, was um einen herum vorgeht, und es einfach in die Realität des Bildes umzusetzen.«

      »Sie haben hier im Museum genügend Zeit, darüber nachzudenken, nicht wahr?«

      »Wenn ich auf meinem Stuhl sitze und die Augen öffne, will es mir manchmal so scheinen, als seien Hieronymus Bosch und ich eins geworden. Als sähen wir beide dasselbe Bild.«

      »Aber es ist dasselbe Bild?«, wandte ich ein.

      »Ich meine die zugrundeliegende Realität.«

      »Glauben Sie wirklich an den ganzen Hokuspokus mit Engeln und Teufeln?«

      »Nein, es sind nur Bilder für unsere inneren Teufel.«

      »Was ist mit Gott und dem Satan?«

      »Nur Bilder. Projektionen unseres Inneren für verschiedene abstrakte Realitäten, um die unser Leben kreist. Es sind Lügen, mit denen wir uns selbst beschwichtigen und unsere Angst und unser Unbehagen besänftigen. Primitive Krücken für schlichte Seelen, die noch nicht ganz dem Kindesalter entwachsen sind, die einfache Beispiele benötigen.«

      Seine Worte machten einen starken Eindruck auf mich. Ich dachte den ganzen Abend über sie nach. Nicht, als erführe ich dadurch etwas völlig Neues, sondern, als werde einigen Gedanken, die schon lange vor der Tür meines Bewusstseins gestanden hatten, nun endlich der Zutritt erlaubt …

      Wo es keinen Gott mit weißem Bart und keinen leibhaftigen Teufel gibt, da hat auch die sexuelle Enthaltsamkeit keinen Sinn. Was hatte mich eigentlich dazu gebracht, Mönch zu werden? Dieser katholische Wahn, der immer noch in unseren Köpfen spukt, selbst wenn wir gar keine Christen sind?

      Oder jene ablehnende Haltung unseren Gefühlen gegenüber, die entsteht, wenn wir dazu erzogen werden, uns solange anzustrengen und etwas »Nützliches« zu tun, bis wir den Genuss als Schuld und die Anstrengung als Lohn empfinden?

      Eine vertrocknete Form der Realität, entstanden durch plumpe Bilder, durch die Sklavenmoral des schlechten Gewissens. Plötzlich hatte ich begriffen, dass die Wirklichkeit, die solche Projektionen erzeugen, verkürzt ist, ohne Farbe und vollen Klang, ohne jeden inneren Aufschwung, ohne den ernsthaften Versuch, die Freuden des Daseins auszuloten.

      Also rüstete ich mich mit drei schwarzen Präservativen der Marke Panther aus, machte auf dem Balkon ein paar Kniebeugen in der kalten Abendluft, um meinen Kreislauf auf Trab und meine Potenz in Wallung zu bringen und schlich mich zurück ins Treppenhaus, am offenen Wohnzimmer vorüber.

      Als ich mit hartem Knöchel an Karolas Zimmertür klopfte, lief im Fernsehen gerade eine Schnulze aus den fünfziger Jahren, die meine Mutter augenblicklich so in ihren Sessel bannen würde, dass sie unfähig war, auch nur einen Muskel zu rühren, geschweige denn ihren gewohnten Kontrollgang durchs Haus zu machen, und meinen Vater veranlasste, auf der Stelle einzunicken.

      Karolas verschlafene Stimme antwortete durch die Tür wie aus einem seit Generationen verschlossenen Grab. Ich wusste, dass sie sich gerade mehrere Nächte wegen einer schwierigen Klausur in »Diamagnetismus« um die Ohren geschlagen hatte, das ist ein in allen Stoffen durch ein äußeres Magnetfeld induzierbarer Magnetismus. Kein normaler Mensch interessierte sich noch dafür, außer ein paar verrückten Physikern, die hofften, immer weiter in die Geheimnisse der Materie eindringen zu können.

      »Ich bin’s, Marc.«

      »Um diese Zeit?«

      »Es ist sehr dringend …«

      Es war gerade mal acht Uhr. Viel zu früh für eine vitale junge Frau wie Karola, aber die richtige Zeit für alles, was der Seele auf die Sprünge half. Ich stand mit meinen Präservativen vor ihrer Tür, die Packung in der Hand wie einen verwelkter Blumenstrauß – den ich schnell hinter meinem Rücken verbarg, als ich mich selbst so sah –, da flog auch schon die Tür auf und Karola stand in irgendeinem geblümten Ding, das sie auf dem Flohmarkt am Tisch für vom Lieferwagen gefallene Textilien erstanden hatte, vor mir – die Arme in die Hüften gestützt.

      Diese himmlischen weißen Arme …

      »Was ist los, Herzbaum?«, erkundigte sie sich mit hochgezogenen Brauen. Karola nannte mich immer beim Nachnamen, wenn es ernst wurde. Ich versuchte irgend etwas zu sagen, biss mir aber im Eifer des Gefechts so heftig auf die Zungenspitze, dass ich vor Schmerz und Schreck völlig starr wurde.

      »Was hältst du denn da hinter deinem Rücken versteckt?«

      »Nichts … ich.«

      »Zeig mal her!«

      »Nein, bitte nicht …«

      Sie sah mir in die Augen, und diesmal war ich alles andere als Glas für sie. Sie witterte, was vorging. Vielleicht roch sie es auch. Zeugungsfähigen Frauen wird nachgesagt, dass sie einen untrüglichen Sinn für die Ausdünstung männliche Hormone haben.

      »Hände nach vorn oder Tür zu«, forderte sie drohend.

      Ich streckte meine Hand mit der Schachtel aus.

      »Marke Panther«, stellte Karola ungerührt fest, als ständen die Freier mit Präservativen vor ihrer Tür Schlange. »Ist es denn so dringend? Bist du dafür nicht noch viel zu jung?«

      »Ich bin fast einen Kopf größer als du.«

      »Einen halben. Frauen sind meistens kleiner als Männer.«

      »Ich glaube, die Körpergröße spielt keine besondere Rolle dabei.«

      »Und wieso glaubst du, dass ich für so etwas zu haben bin? Ich meine, wer gibt dir eigentlich das Recht, von mir zu denken, ich sei eine Nutte?«

      Sie wippte auf den Zehenspitzen in ihrem geblümten Nachthemd, dessen einer Träger schräg über ihrer weißen Schulter hing, und grinste, halb prüfend, halb verächtlich. Die Korridorlampe warf einen Schatten auf ihr Gesicht, der wie der Pferdefuß des Leibhaftigen aussah. Eine Projektion meiner schwarzen Phantasie, versuchte ich mir einzureden.

      »Ist es zum ersten Mal?«

      Ich nickte.

      »Jeder tut’s irgendwann zum ersten Mal. Es ist meist wenig erfreulich. Wir sind viel zu verkrampft.« Sie tippte sich mit beiden Mittelfingern an die Schläfen. »Da drinnen läuft garantiert das falsche Programm ab, beim ersten Mal.«

      »Bei mir nicht«, widersprach ich.

      »Du hast mir schon oft aufgelauert, nicht wahr? Du beobachtest mich.«

      »Nein, wie kommst du darauf?«

      »Ich bin nicht blind, Herzbaum …«

      »Es ist nur wegen der Freier, die dich besuchen könnten. Der Gedanke, da könnte noch jemand anders außer mir sein, macht mich nervös.«

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