Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt
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»Natürlich, was sonst?«
Wir setzten uns auf ihre Bettkante und laborierten eine Weile mit den Utensilien und den dazugehörigen Körperteilen. Aber anscheinend war außer einer netten entspannenden Oberschenkelmassage an diesem Abend nicht viel drin für mich. Die Gummis erwiesen sich als viel zu groß. Oder das für diesen Zweck erforderliche Körperteil aus Angst zu klein. Mussten für irgendeinen Bodybuilder angefertigt worden sein. Sondergröße, falscher Karton im Automatenschacht.
Erstaunlicherweise meisterte Karola mein Problem mit der Diskretion einer erfahrenen Prostituierten – als sei es eine ganz alltägliche Erfahrung für sie. Ihre Hände waren unglaublich geschickt. So führte meine erste etwas persönlichere Begegnung mit Alexander Montag, zu einem eher kläglichen Ergebnis, was den Lustgewinn anbelangte.
Ich hatte Schlüsse aus seinen Bemerkungen gezogen, die noch in die Kategorie »Was denken wir auf der Affeninsel?« gehörten.
Ich begriff erst ganz allmählich, dass er mir mehr mitzuteilen versuchte als die Trivialität: Genieße das Leben, verdammt noch mal, falls Gott wirklich tot ist.
6
Die Frage, ob es den Teufel gab, brachte mich trotzdem in nicht geringe Schwierigkeiten, denn ich war ihm längst leibhaftig begegnet – während meines Wechsels zu einer anderen Schule nach unserem Umzug! Diesmal hatte er die Gestalt eines Schülers meiner Klasse angenommen: Harald Piper Müller …
Jemand musste ihm den teuflischen amerikanischen Vornamen »Piper« verpasst haben, um von seiner wahren Natur abzulenken. Ich hatte schon Tage und Nächte damit verbracht, ihn zu überführen, wie er gerade seinen Pferdefuß kratzte oder seine Hörner polierte, um bei den Mädchen Eindruck zu schinden.
Aber auf irgendeine durchtriebene Weise verstand er es immer, sich wieder rechtzeitig in seine harmlose Menschengestalt zurückzuverwandeln.
Piper hätte mir völlig gleichgültig sein können, wäre er nicht Anne-Maries älterer Bruder gewesen. Seine Schwester war das schönste Mädchen auf dem Schulhof. Ihr feuerrotes Haar wurde von einem schwarzen Lederstirnband mit indianischen Ornamenten zusammengehalten, das mich wohlig erschauern ließ, weil es mich an den Marterpfahl erinnerte. Ich verpasste keine Gelegenheit, ihr unter die Augen zu laufen. Aber sie quittierte meine Annäherungsversuche immer mit verlegenem Lächeln. Ich war wenig einfallsreich, was mein Werben um sie anbelangte. Manchmal starrte ich sie nur wie gelähmt an.
Piper hatte herausgefunden, was mit mir los war. Seitdem machte wer mir die Schule zur Hölle. Er wandte nie rohe körperliche Gewalt dabei an, sondern setzte lieber etwas ein, das viel stärker auf uns wirkt – Worte.
Nach meiner Einstandsparty an der Schule war es ihm und ein paar anderen betrunkenen Schülern gelungen, über den Baum vor meinem Fenster in mein Zimmer einzusteigen, um nach einem vermuteten Tagebuch zu suchen, in dem ich, wie Piper ganz richtig hoffte, meine unglückliche Liebe zu seiner Schwester zu Papier gebracht hatte.
Wie meine Schwester Anja waren sie prompt fündig geworden und hatten mein verdammtes Tagebuch aufgestöbert (das besagte billige Notizheft), und der erste Satz darin, datiert zweieinhalb Monate vor meinem sechzehnten Geburtstag, lautete nun einmal, dass ich mich entschieden hatte, fortan der Sexualität zu entsagen, weil sie eine Irreführung des Intellekts sei. Es gab auch ein paar Bemerkungen über seine Schwester darin, die wahrscheinlich noch peinlicher wirken würden.
Also ließ dieser Teufel Harald Piper Müller keine Gelegenheit aus, in der Klasse mit halblauter Stimme daraus zu deklamieren, als zitiere er aus Dantes Göttlicher Komödie. Es machte mich krank.
Ich verlor vier Kilo Gewicht. Meine Gesicht nahm eine fahlgraue Färbung an. Mein Rücken war gebeugt, wie ich im Spiegel feststellte. Ich hatte nur noch eines im Sinn – dem dreisten Grinsen dieser Spötter zu entgehen.
Nach meinem Missgeschick mit Karola hätte mich nichts in der Welt dazu bewegen können, es noch einmal mit ihr zu versuchen. Dabei gab sie mir bei ihren Nachhilfestunden zu verstehen, dass sie unser kleines Abenteuer durchaus als amüsant empfunden hatte. Ich fürchtete, dass ein weiterer Fehlschlag meine »Impotenz« fixieren könnte.
In meinem Notizheft stellte ich lange Betrachtungen darüber an, ob ich bei Anne-Marie genauso versagen würde.
Ein gefundenes Fressen für Piper. Unser Klassenlehrer Alfons Donelli, ein gebürtiger Italiener, der Deutschland zu seiner Wahlheimat erklärt hatte, war im Nebenfach Religionslehrer.
Obwohl er nicht genau mitbekam, worum es ging, weil Piper als geborener Teufel (ich hatte sein Gesicht auf Hieronymus Boschs Weltgerichts-Triptychon entdeckt!) sein Wissen sehr geschickt einsetzte, spürte er doch die dunkle Wolke von Hass und Grausamkeit, die uns umgab.
Meine Mitschüler hatten ihr Opfer gefunden, um von ihren eigenen Schwächen abzulenken, und Donelli versuchte dieses makabere Spiel nach Kräften abzuschwächen.
Er hatte ein feines, kultiviert wirkendes Gesicht, das mich an Alexander Montag erinnerte, obwohl er gut und gern dreißig Jahre jünger war. Wir wussten, dass ihm mehr als alles andere daran lag, uns sein Nebenfach, die Religion nahezubringen. Die anderen Fächer waren – bei aller wissenschaftlichen Strenge – nur Vorbereitung für ihn, ein Forum, den einen oder anderen Gedanken über die Kraft des Guten in der Religion einfließen zu lassen.
Natürlich war ihm klar, dass man dabei auf gar keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen durfte. In einer Zeit, in der der Zynismus die vorherrschende Bewusstseinsverfassung ist, scheint es dafür nur einen gangbaren Weg zu geben: das persönliche Vorbild. Donelli war das Vorbild par excellence.
Der Papst hätte ihn auf der Stelle zu seinem Vertrauten erklärt und seine spätere Heiligsprechung erwogen, wäre er nur einziges Mal seiner aufrichtigen Seele gewahr geworden. Donelli lief mit einem seligen Lachen durch die Schule, das Gesicht leicht zu den Wolken angehoben, als empfange er bereits die höchsten Weihen des Himmels.
Seine Tragödie war, dass ihm niemand auch nur ein einziges Wort abnahm. Seine Schüler glaubten eher an Satan und an böse Geister als an eine Weltseele, die trotz ihrer Allmacht so etwas Verrücktes wie blutrünstige Moskitos, Haie in der Tiefsee und Prostatakrebs geschaffen hatte. Was hätte ihren Verdacht widerlegen sollen, dass dieser Gott entweder gar nicht existierte oder übergeschnappt war?
Aus demselben Grund sahen sie auch keinen Anlass, mit ihren Grausamkeiten und Sticheleien aufzuhören. Warum auf das Vergnügen verzichten, wenn es keinen Lohn für Wohlverhalten und keine Strafe für Gemeinheiten gab? Seine Schwester musste meine Notizen ebenfalls gelesen haben.
Auf dem Schulhof galt ich nur noch als Der Impotente. Warum sollte Anne-Marie sich mit einem solchen Individuum kompromittieren? Welchen Sinn hatte es, sich mit einem Versager abzugeben?
Mein Universum war so grau wie mein Gesicht; der schwarze Nachthimmel über mir ein getreuer Spiegel meiner Seele; die treibenden Wolken die Schwingen der Raubvögel; jedes Geräusch ein elektrischer Schlag in meine Eingeweide; das graue Regenwasser in den Straßenrinnen der Saft der Verwesung.
Und meine Trauer wuchs mit jedem Zucken des Sekundenzeigers! Wie alles, an dem wir zu stark hängen, das wir mit zu großer Kraft begehren, verstärkte sich Anne-Maries Anziehungskraft nur noch weiter bis ins Unermessliche.
Als