Fremd- oder Selbstbestimmung?. Frank Föder
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Fremd- oder Selbstbestimmung? - Frank Föder страница 7
Es muß etwas geben, das die Bemühungen derer, denen das System alle Macht verleiht, durchkreuzt. Die Regierenden erwirken Mäßigung und Frieden nicht, selbst dann nicht, wenn sie besten Willens sind. Ihnen sind offensichtlich die Hände gebunden. Diese Fessel kann ihnen nur die Einrichtung anlegen, der zu dienen sie sich verpflichtet haben. Was sich ihnen in den Weg stellt, muß aus dem Wesen jener Agentur kommen, deren Besonderheiten alles Handeln der Hoheiten bestimmt.
Sollte nicht der Mensch, sondern die gegebene Ordnung Schuld tragen an den verhängnisvollen Entwicklungen? Sollte Ronald Reagan recht gehabt haben, als er hellsichtig konstatierte: „Die Staaten sind nicht die Lösung der Probleme. Die Staaten sind das Problem“? Könnte es sein, daß nicht die Regierenden haften für das, was da schief läuft? Könnte sie das System zwingen, sich in der gezeigten Weise zu verhalten? Könnte für die fatale Entwicklung in der Welt in Wahrheit die Form verantwortlich sein, in der sich die Menschheit organisiert hat?
Wir durchschreiten jetzt ein Tor, durch das niemand ohne Zögern geht. Wir betreten geheiligtes Gelände. Hochverrat, das schlimmste aller Verbrechen, liegt in der Luft.
Der Staat, das sind wir, hat man uns beigebracht. Nur gemeinsam sind wir stark. Der Staat gibt uns Halt und Kraft. Ohne ihn fielen wir ins Nichts.
John Locke verlieh dieser Anschauung die akademische Weihe. Ihm zufolge hätten wir ein Übereinkommen geschlossen mit dieser Einrichtung, den vielgerühmten „Gesellschaftsvertrag“. Für die Gewalt über uns verlangten wir vom Staat, daß er die Dinge, die uns alle gemeinsam angehen, für uns erledigt. Denn jeder für sich allein, das versteht sich von selbst, ist nicht in der Lage, dem gewünschten Gemeinwohl zur Wirksamkeit zu verhelfen.
Doch das Gemeinwohl, darum geht es. Gegenwärtig steht nichts Geringeres auf dem Spiel als die Fortexistenz der Menschheit.
In Anbetracht dessen, sollte man meinen, nähmen die Staatsregierungen sich dieser Sache ernsthaft an. Vielleicht darf man bei einigen von ihnen tatsächlich entsprechende Bemühungen wahrnehmen. Wie beklagt aber, bleiben die nötigen Schritte und Maßnahmen aus. Reagans Verdacht, daß die Krux möglicherweise nicht bei ihnen, den ins Amt gesetzten Damen und Herren, liegt, sondern im System, drängt sich förmlich auf.
So ungebührlich es ist, die Frage kann nicht ausbleiben: Liegt das Gemeinwohl beim Staat wirklich in guten Händen? Erfüllt er seinen Teil des Vertrags?
Wo ist anzusetzen, um das höhere Leben auf der Erde zu retten, beim ohne Zweifel schuldigen Menschen oder vielleicht vorweg bei dem Ordnungsmuster, das dessen Verhalten bestimmt?
Der Staat trat wohl mit der Seßhaftigkeit unserer Vorfahren in die Welt. Auch der allmählich erkannte Vorzug der Arbeitsteilung begünstigte seine Errichtung. Häufig jedenfalls, wo diese Errungenschaften eine gewisse Beständigkeit erreicht hatten, erschien er auf der Bildfläche.
Viele meinen, Ackerbau und Arbeitsteilung hätten eine übergeordnete Obrigkeit bedingt. Das indessen ist schwerlich tatsächlich der Fall. Denn beides funktionierte damals und bis zum heutigen Tag auch ohne Regelung von oben. Es ist daher wohl eher so, daß jene Gegebenheiten die Errichtung der Staaten erst ermöglichten.
Genau genommen ist eine Notwendigkeit für die Etablierung dieser Gebilde nicht erkennbar. Viele Völker kommen bis heute ohne eine reglementierende Hochinstanz aus. Die Eidgenossen beugen sich der ihrigen nur, weil das Umfeld sie dazu zwingt. Die Gründung der Staaten ist wahrscheinlich jeweils lediglich dem Willen eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe entsprungen. Denn zu herrschen, das hat Charme.
Von epochaler Bedeutung aber ist, daß diese Institution umgehend etwas in die Welt setzte, das die Menschheit vorher nicht gekannt hatte.
„Nach meinen Daten“, sagt der Ethnologe Jürg Helbling von der Universität Luzern, „lag die kriegsbedingte Mortalität über weite Strecken der Menschheitsgeschichte praktisch bei null. Die frühen hochmobilen Jäger- und Sammlergruppen bekriegten sich kaum oder gar nicht.“ (Gemäß Süddeutscher Zeitung vom 21./22. April 2012 auf Seite 24).
Diese Begebenheit bestätigt eine Studie des amerikanischen Anthropologen Douglas Fry und des schwedischen Entwicklungspsychologen Patrik Söderberg. Ihnen zufolge kommt es seit je her innerhalb von Gruppen zu Tötungsdelikten. Daß aber ganze Gruppen gegeneinander ins Feld ziehen, sei äußerst selten festzustellen. Es gebe noch heute Stämme in Afrika und in Asien, die sich noch nie mit Krieg, dem systematischen Kampf zwischen Gruppen, beschäftigt haben (Die genannten unter dem Titel „Krieg liegt uns nicht im Blut“ in Science, Bd. 341, Seite 270, 2013).
Eine weitere Erhärtung dieses Sachverhalts geben die Anthropologen Joachim Burger und Ruth Bollongino von der Universität Mainz (in Science online im September 2011). Ihnen zufolge lebten die Jäger und Sammler mit den vor 7500 Jahren in Mitteleuropa eingewanderten Ackerbauern in friedlicher Nachbarschaft, wahrscheinlich über drei Jahrtausende hinweg. Beide Gesellschaften hätten sich eindeutig gekannt: Wildbeuterfrauen hätten Bauern geheiratet. Sie hätten ihre Toten am gleichen Ort begraben. Schwerwiegende Konflikte zwischen den Gruppen aber hätten offenbar nicht stattgefunden. Wahrscheinlich weil sie unterschiedliche Lebensräume beansprucht hätten.
Auch hat es in den Äonen vor der Zeitrechnung durchaus Zusammenführungen von Menschen zur Erfüllung eines gemeinsamen Wunsches oder Ziels gegeben, wie unter anderem die Errichtung von Stonehenge beweist. Hier haben Mitglieder einer egalitären Gesellschaft eine beachtliche Gemeinschaftsleistung vollbracht. Die von der Welt noch wenig wissenden Jäger und Sammler im Süden Englands vermochten über Jahrtausende hinweg schwerwiegende Konflikte untereinander zu vermeiden. Statt ihre Pfeile und Speere gegen einander zu richten, legten sie gemeinsam mit primitiven Mitteln Kilometer lange Prozessionsstraßen an, daneben über Jahrhunderte gemeinsam genutzte Begräbnisstätten und ein gewaltiges Heiligtum. Sie kannten offensichtlich Priester und Baumeister, aber keine Könige.
Daß ein Herr A einem Herrn B den Schädel eindellt, das hat es gegeben – wie bezeugt -, seit der Mensch einen Knüppel schwingen kann. Und das wird sich, wie man annehmen muß, weiterhin zutragen, solange es Menschen gibt, in jeder denkbaren Daseins- und Gesellschaftsform.
Mit der Unterwerfung unter eine Herrschaft aber, mit dem Staat kommt Krieg in die Welt.
Zum grundlegenden Selbstverständnis des neuen Gebildes gehörte von Anfang an, quasi unabdingbar, nicht nur herzuzeigen, was ihm eigen ist, sondern auch, es zu gebrauchen. Macht verführt, geradezu unwiderstehlich, sie zu demonstrieren – und sie anzuwenden, wenn ein Vorteil lockt.
Staat muß sich als wehrhaft darstellen. Zugleich aber weckt er die Sucht seiner Vorstände nach Vergrößerung des Machtbereichs. Dafür wiederum braucht er Leute, die das dazu geeignete Handwerk beherrschen. Damit hatte die Stunde des Militärs geschlagen. Seither tritt eine auf Menschentötung bewaffnete und trainierte Streitmacht auf den Plan und in Aktion. Staat und Streitkräfte verschmolzen umgehend zu einer unzertrennlichen Einheit.
Seither gibt es „Geschichte“. Seither fallen organisierte Massen von Menschen über einander her, richten Tod und Zerstörung an. Erst mit der Fremdbestimmung, mit dem Staat stellt sich Gefahr ein für Leib und Leben in großem Umfang durch Mitmenschen. Vor allem aber, erst mit seiner Existenz töten Menschen nicht aus Wut oder Haß, sondern wider Willen, auf Befehl.
Aus der Sicht der neuen Untertanen freilich hatten Herrscher und Heer eine eindeutig eingeschränkte Aufgabe. Indem sie der Staatsgründung zustimmten, das liegt wohl auf der Hand, ging es ihnen darum, andere Gewalthaber von dem Beutegang gegen sie abzuhalten und, sollte die Abschreckung versagt haben, ihnen den