Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 102
Da sauste es mit einem Male eiskalt durch den Saal, und die blinde Mutter fühlte, daß es der Tod war, der nun ankam.
»Wie hast Du den Weg hierher finden können?« fragte er. »Wie hast Du schneller hierher kommen können, wie ich?«
»Ich bin eine Mutter!« antwortete sie.
Der Tod streckte seine lange Hand nach der kleinen feinen Blume aus; aber sie hielt ihre Hände fest um dieselbe, hielt sie dicht umschlossen, und dennoch voll ängstlicher Sorgfalt, daß sie keins der Blätter berühre. Da hauchte der Tod auf ihre Hände, und sie fühlte, daß dies kälter war, als der kalte Wind; da sanken ihre Hände matt herab.
»Gegen mich kannst Du doch nichts ausrichten!« sagte der Tod.
»Aber der liebe Gott kann es!« sagte sie.
»Ich thue nur, was er will!« sagte der Tod. »Ich bin sein Gärtner. Ich nehme alle seine Blumen und Bäume und verpflanze sie in den großen Paradiesgarten, in das unbekannte Land. Wie sie aber dort gedeihen, und wie es dort ist: das darf ich Dir nicht sagen!«
»Gieb mir mein Kind zurück!« sagte die Mutter und weinte und flehte. Mit einem Male faßte sie mit den Händen zwei hübsche Blumen fest an und rief dem Tod zu: »Ich reiße alle Deine Blumen ab, denn ich bin in Verzweiflung!«
»Rühre sie nicht an!« sagte der Tod. »Du sagst, daß Du so unglücklich bist, und nun wolltest Du eine andere Mutter ebenso unglücklich machen?«
»Eine andere Mutter!« sagte die arme Frau und ließ sogleich beide Blumen los.
»Da hast Du Deine Augen,« sagte der Tod. »Ich habe sie aus dem See aufgefischt; sie glänzten hell herauf; ich wußte nicht, daß es die Deinigen waren. Nimm sie zurück, sie sind jetzt noch, klarer, wie früher; dann sieh hinab in den tiefen Brunnen hier nebenan. Ich will die Namen der zwei Blumen nennen, die Du ausreißen wolltest, und Du wirst sehen, was Du zerstören und zu Grunde richten wolltest!«
Und sie sah in den Brunnen hinab; und es war eine Glückseligkeit zu sehen, wie die Eine ein Segen für die Welt ward, zu sehen, wie viel Glück und Freude sich um dieselbe verbreitete; sie sah das Leben der Andern, das bestand aus Sorgen und Noth, Jammer und Elend.
»Beides ist Gottes Wille!« sagte der Tod.
»Welche von ihnen ist die Blume des Unglücks und welche die Gesegnete?« fragte sie.
»Das sage ich Dir nicht,« antwortete der Tod: »aber das sollst Du von mir erfahren, daß eine der Blumen die Deines eigenen Kindes ist. Es war das Schicksal Deines Kindes, was Du sahst, die Zukunft Deines eigenen Kindes!«
Da schrie die Mutter vor Schrecken laut auf. »Welche von ihnen ist die meines Kindes? Sag mir das! Befreie das unschuldige Kind! Erlöse mein Kind von allem Elende! Trag' es lieber fort! Trag' es in Gottes Reich! Vergiß meine Thränen, vergiß mein Flehen und Alles, was ich gethan habe!«
»Ich verstehe Dich nicht,« sagte der Tod. »Willst Du Dein Kind zurück haben, oder soll ich mit ihm nach jenem Orte gehen, den Du nicht kennst?«
Da rang die Mutter die Hände, fiel auf die Kniee und bat den lieben Gott: »Erhöre mich nicht, wenn ich gegen Deinen Willen bitte, der allezeit der beste ist! Erhöre mich nicht! Erhöre mich nicht!«
Da ließ sie ihr Haupt auf die Brust hinabsinken.
Und der Tod ging mit ihrem Kinde nach dem unbekannten Lande.
Der Engel.
»Jedes Mal, wenn ein gutes Kind stirbt, kommt ein Engel Gottes zur Erde hernieder, nimmt das todte Kind auf seine Arme, breitet die großen, weißen Flügel aus, fliegt hin über alle Plätze, welche das Kind lieb gehabt hat, und pflückt eine Hand voll Blumen, welche er zu Gott hinaufbringt, damit sie dort noch schöner wie auf der Erde blühen. Der liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz, aber derjenigen Blume, welche ihm die liebste ist, giebt er einen Kuß, und dann bekommt sie eine Stimme und kann in der großen Glückseligkeit mitsingen!«
Sieh, alles Dieses erzählte ein Engel Gottes, indem er ein todtes Kind zum Himmel forttrug, und das Kind hörte gleichwie im Traume; und sie fuhren hin über die Stätten in der Heimath, wo der Kleine gespielt hatte, und kamen durch Gärten mit herrlichen Blumen.
»Welche wollen wir nun mitnehmen und in den Himmel pflanzen?« fragte der Engel.
Da stand ein schlanker, herrlicher Rosenstock, aber eine böse Hand hatte den Stamm zerbrochen, so daß alle Zweige, voll großer, halbaufgebrochener Knospen, rund herum vertrocknet, hingen.
»Der arme Rosenstock!« sagte das Kind. »Nimm ihn, damit er dort oben bei Gott zum Blühen kommt!«
Und der Engel nahm ihn, küßte das Kind dafür, und der Kleine öffnete halb seine Augen. Sie pflückten von den reichen Prachtblumen, nahmen aber auch die verachtete Butterblume und das wilde Stiefmütterchen mit.
»Nun haben wir Blumen!« sagte das Kind, und der Engel nickte, aber er flog noch nicht zu Gott empor. Es war Nacht, es war sehr still; sie blieben in der großen Stadt und schwebten in einer der schmalen Gassen, umher, wo Haufen von Stroh, Asche und Auskehricht lagen; es war Umziehtag gewesen. Da lagen Scherben von Tellern, Gypsstücke, Lumpen und alte Hüte, was Alles nicht gut aussah.
Der Engel zeigte in all diesen Wirrwar hinunter auf einige Scherben eines Blumentopfes und auf einen Klumpen Erde, der herausgefallen war und von den Wurzeln einer großen, vertrockneten Feldblume, welche nichts taugte und die man deshalb auf die Gasse geworfen hatte, zusammengehalten wurde.
»Die nehmen wir mit!« sagte der Engel. »Ich werde Dir erzählen warum, während wir weiter fliegen!«
»Dort unten in der schmalen Gasse, in dem niedrigen Keller wohnte ein armer, kranker Knabe; von Kindheit an war er immer bettlägerig gewesen; wenn er am gesundesten war, konnte er auf Krücken in der kleinen Stube ein paar Mal auf und nieder gehen: das war Alles. An einigen Tagen im Sommer drangen die Sonnenstrahlen während einer halben Stunde bis auf den Flur des Kellers; und wenn dann der arme Knabe dasaß und sich von der warmen Sonne bescheinen ließ, und das rothe Blut durch seine feinen Finger sah, die er vor das Antlitz hielt, dann hieß es: »»Heute ist er aus gewesen!«« – Er kannte den Wald mit seinem herrlichen Frühlingsgrün nur dadurch, daß ihm des Nachbars Sohn den ersten Buchenzweig brachte, den hielt er über sein Haupt und träumte dann, unter Buchen zu sein, wo die Sonne schiene und die Vögel sängen. An einem Frühlingstage brachte ihm des Nachbars Knabe auch Feldblumen, unter diesen war zufällig eine mit der Wurzel, und deshalb wurde sie in einen Blumentopf gepflanzt und dicht am Bette an das Fenster gestellt. Die Blume war von einer glücklichen Hand gepflanzt: sie wuchs, trieb neue Schößlinge und trug jedes Jahr ihre Blumen. Sie wurde des kranken Knaben herrlichster Blumengarten, sein kleiner Schatz hier auf Erden; er begoß und pflegte sie, und sorgte dafür, daß sie jeden Sonnenstrahl bis zum letzten, welcher durch das niedrige Fenster hinunter glitt, erhielt; und die Blume selbst verwuchs in seine Träume, denn für ihn blühte sie, verbreitete ihren Duft und erfreute ihm das Auge; zu ihr wendete er sich im Tode, als der Herr ihn rief. – Ein Jahr ist er nun bei Gott gewesen; ein Jahr hat die Blume vergessen im Fenster gestanden und ist verdorrt; sie