Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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haben; denn diese Blume hat mehr Freude gewährt als die reichste Blume im Garten einer Königin!«

      »Aber woher weißt Du das Alles?« fragte das Kind, welches der Engel gen Himmel trug.

      »Ich weiß es!« sagte der Engel. »Denn ich war selbst der kleine, kranke Knabe, welcher auf Krücken ging! Meine Blume kenne ich wohl!«

      Das Kind öffnete seine Augen ganz und sah in des Engels herrliches, frohes Antlitz hinein; und in demselben Augenblicke befanden sie sich in Gottes Himmel, wo Freude und Seligkeit war. Und Gott drückte das tobte Kind an sein Herz, da bekam es Flügel, wie der andere Engel und flog Hand in Hand mit ihm. Und Gott drückte alle Blumen an sein Herz; aber die arme, verdorrte Feldblume küßte er; und sie erhielt eine Stimme und sang mit allen Engeln, welche Gott umschwebten: einige nahe, andere um sie herum in großen Kreisen, immer weiter und weiter, in das Unendliche, aber alle gleich glücklich. Und alle sangen sie, kleine und große, das gute, gesegnete Kind und die arme Feldblume, welche verdorrt dagelegen hatte, hingeworfen in den Kehricht, unter dem Unrathe des Umziehtages, in der schmalen, dunkeln Gasse.

      Es ist Herbst, wir stehen auf dem Festungswalle und blicken hinaus über das Meer; schauen die vielen Schiffe und die schwedische Küste jenseit des Sundes an, die sich in dem Abendscheine hoch über den Meeresspiegel erhebt; hinter uns schneidet der Wald jäh ab; prächtige Bäume umgeben uns, das gelbe Laub flattert von den Zweigen herab; unten am Fuße des Walles stehen finstere Häuser, eingezäunt mit Pallisaden, innerhalb dieser ist es gar beengt und schauerlich, aber noch schauerlicher ist es dort hinter dem vergitterten Mauerloche; dort sitzen die Baugefangenen, die ärgsten Verbrecher.

      Ein Strahl der sinkenden Sonne fällt in die kahle Kammer eines der Gefangenen. Die Sonne scheint über Gute und Böse. Der finstere, verstockte Verbrecher wirft einen widerwilligen Blick auf den kalten Sonnenstrahl. Ein Vögelein fliegt auf das Gitter zu. Das Vögelein zwitschert den Bösen wie den Guten: Es läßt nur ein kurzes »Quivit« ertönen, aber es bleibt auf der Gittermauer sitzen, schlägt mit den Flügeln, zupft eine Feder aus einem derselben, bustert sie auf, läßt die andern Federn sich emporsträuben an Hals und Brust – und der böse Mann an der Kette sieht ihm zu; in seinem harten Gesichte macht sich ein milderer Ausdruck geltend; in seiner Brust taucht ein Gedanke auf, den er sich selbst nicht einmal verdeutlicht, allein dieser Gedanke ist mit dem Sonnenstrahle ist mit dem Duft der Veilchen verwandt, die im Frühlinge üppig unten an der Mauer wuchern. – Jetzt klingen die Hörner der Schützen, lieblich und voll. Das Vögelein schreckt zusammen und flattert davon; der Sonnenstrahl schwindet allmälig und es ist wieder finster in der Kammer, finster im Herzen des bösen Mannes, aber die Sonne hat doch hineingeschienen, das Vögelein hineingezwitschert!

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Fahrt fort ihr herrlichen Töne des Jägerhorns! Fahrt fort zu klingen, der Abend ist mild, das Meer schaukelt leise seine spiegelglatte Fläche.

      Es war Winterszeit, die Luft kalt, der Wind scharf, aber hinter Thür und Riegel war es warm und gemüthlich, hinter Thür und Riegel lag, die Blume, sie lag in ihrer Zwiebel unter Erde und Schnee.

      Eines Tages fiel Regen; die Tropfen drangen durch die Schneedecke in die Erde hinab, berührten die Blumenzwiebel, sprachen von der lichten Welt oberhalb; bald drang der Sonnenstrahl fein und bohrend durch den Schnee zu der Zwiebel, und es kribbelte in ihr.

      »Herein!« sagte die Blume.

      »Ich kann nicht!« sagte der Sonnenstrahl, »ich bin nicht stark genug, um aufzuschließen! Wenn es Sommer wird, werde ich stark!«

      »Wann ist es Sommer?« fragte die Blume und wiederholte diese Frage jedesmal, wenn ein neuer Sonnenstrahl hinabdrang. Aber es war weit von der Sommerzeit entfernt; der Schnee lag noch, es fror Eis auf dem Wasser jede Nacht.

      »Wie das lange dauert! Wie das lange dauert!« sagte die Blume. »Ich fühle ein Kribbeln und Krabbeln, ich muß mich recken, ich muß mich strecken, ich muß aufschließen, ich muß hinaus, muß dem Sommer »Guten Morgen« zunicken, das wird eine beglückende Zeit werden!«

      Und die Blume reckte und streckte sich drinnen gegen die dünne Schale, die das Wasser von außen erweicht, Schnee und Erde erwärmt, der Sonnenstrahl gekribbelt hatte; sie schoß hervor unter dem Schnee, mit weißgrüner Knospe auf grünem Stengel mit schmalen, dicken Blättern, die sie gleichsam schützen wollten. Der Schnee war kalt, aber vom Lichte durchstrahlt, daher war es gar leicht, durch ihn hindurch zu brechen, und nun kam der Sonnenstrahl mit größerer Kraft als bisher.

      »Willkommen! Willkommen!« sang und klang jeder Strahl und die Blume hob sich über den Schnee hinaus in die Lichtwelt. Die Sonnenstrahlen streichelten und küßten sie, daß sie sich ganz öffnete, weiß wie der Schnee und geschmückt mit grünen Streifen. Sie beugte ihren Kopf in Freude und Demuth.

      »Wunderschöne Blume!« sangen die Sonnenstrahlen. »Wie bist Du frisch und zart! Du bist die Erste! Du bist die Einzige! Du bist unsere Liebe! Du läutest Sommer, schönen Sommer über Land und Stadt. All' der Schnee wird schmelzen! Die kalten Winde werden hinweggejagt! Wir werden herrschen! Alles wird grünen! Und dann wirst Du Gesellschaft haben, Syringen, Goldregen und Rosen, aber Du bist die Erste, so fein, so zart!«

      Das war ein großes Vergnügen. Es war, als singe und klinge die Luft, als drängen die Strahlen des Lichts in die Blätter und den Stengel der Blume; da stand sie so sein und so leicht zu brechen und doch so kräftig in junger Schönheit; sie stand in weißem Kleide mit grünen Bändern da, sie machte Sommer. Aber es war noch weit bis zur Sommerszeit. Wolken verdeckten die Sonne, scharfe Winde bliesen.

      »Du bist zu früh gekommen!« sagten Wind und Wetter. »Wir haben noch die Gewalt, und Du sollst sie empfinden und Dich darein fügen! Du hättest hübsch zu Hause bleiben, nicht herauslaufen sollen und Staat machen die Zeit dazu ist noch nicht da!«

      Es war eine schneidende Kälte! Die Tage, die da kamen, brachten nicht einen Sonnenstrahl! Es war ein Wetter zum Entzweifrieren für so eine kleine Blume. Aber sie besaß mehr Kraft als sie selbst wußte; sie war stark in Freude und im Glauben an den Sommer, der kommen mußte, der ihr in ihrem tiefen Sehnen verkündet und von dem warmen Sonnenlichte bestätigt worden war, und so blieb sie denn auch mit Zuversicht in ihrer weißen Tracht im weißen Schnee stehen, ihren Kopf beugend, selbst während die Schneeflocken dicht und schwer herabfielen und die eisigen Winde, über sie dahinfuhren.

      »Du wirst brechen!« sagten sie, »verwelken, verwelken! Was wolltest Du draußen? Weshalb ließest Du Dich verlocken, der Sonnenstrahl hat Dich gefoppt! Jetzt hast Du es darnach, Du Sommernärrin!«

      »Sommernärrin!« wiederholte sie in kalter Morgenstunde.

      »Sommernärrin!« jubelten einige Kinder, die in den Garten kamen, »da steht eine, wie schön, wie schön, die Erste, die Einzige!«

      Diese Worte thaten der Blume so wohl, es waren Worte wie warme Sonnenstrahlen. Die Blume empfand es in ihrer Freude nicht einmal, daß man sie brach; sie lag in Kindeshand, wurde von Kindesmund geküßt, in die warme Stube getragen, von sanften Augen beschaut, in's Wasser gesteckt, wie stärkend, wie belebend! Die Blume glaubte, sie sei plötzlich tief in den Sommer hineingerathen.

      Die Tochter vom Hause, ein schönes, kleines Mädchen, war confirmirt, sie hatte einen lieben Freund, und der war auch confirmirt, er studirte zum Amtsexamen. »Der soll mein Sommernarr sein!« sagte sie und nahm die seine Blume, legte sie in ein Stückchen duftendes Papier, auf welches Verse geschrieben waren, Verse von der Blume, die mit Sommernarr begannen und mit Sommernarr

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