Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Der Sonnenstrahl nahm ihn, der Sonnenstrahl trug den Edelstein vom Kopfe der Kröte. Wohin?
Frage nicht den Naturforscher, frage lieber den Poeten; er erzählt es Dir wie ein Märchen; und die Kohlraupe und die Storchfamilie ist mit in dem Märchen. Denke! die Kohlraupe wird verwandelt und aus ihr wird ein schöner Schmetterling! Die Storchfamilie fliegt über Berge und Meere nach dem fernen Afrika, und findet doch den kürzesten Weg zurück nach Hause, nach demselben Lande, demselben Dache! Ja, das ist freilich fast gar zu abenteuerlich, und doch ist es wahr; Du kannst sogar den Naturforscher fragen, er muß es zugestehen; und Du selbst weißt es auch, denn Du hast es gesehen.
– Aber der Edelstein im Kopfe der Kröte?
Suche ihn in der Sonne! Sieh' ihn, wenn Du kannst!
Der Glanz dort ist zu stark. Wir haben noch die Augen nicht, um in die Herrlichkeit hineinsehen zu können, die Gott geschaffen hat, aber wir werden sie schon bekommen, und das wird das schönste Märchen sein, denn wir sind selbst mit in dem Märchen.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Ein alter Herrenhof lag da, umgeben von seinem schlammigen Wallgraben mit der Zugbrücke, die nur selten niedergelassen wurde: nicht alle Gäste sind gute Leute. Unter dem Traufendache waren Scharten angebracht, um durch dieselben zu schießen, kochendes Wasser, ja geschmolzenes Blei auf den Feind herabzugießen, wenn er sich zu sehr nähern sollte. Drinnen im Hause war es hoch bis zur Balkendecke, was sehr zu Statten kam bei dem vielen Rauche, der vom Kaminfeuer emporwirbelte, wo die großen, nassen Holzknorren schwehlten. An der Wand hingen Bilder von geharnischten Männern und stolzen Frauen in schweren Kleidern; die stattlichste von Allen schritt hier lebendig einher, sie wurde Meta Mogens genannt; sie war die Frau vom Hause, ihr gehörte der Herrenhof.
Gegen Abend kamen Räuber an; sie erschlugen drei ihrer Leute, auch den Kettenhund erschlugen sie, und dann legten sie Frau Meta an die Hundekette am Hundehause, während sie sich selber in dem Saale breit machten, den Wein und das gute Bier aus ihrem Keller tranken.
Frau Meta war an die Hundekette gelegt; sie konnte nicht einmal bellen. Aber siehe! Da schlich sich der Bursche eines der Räuber heran, ganz leise, er durfte nicht bemerkt werden, sonst hätten sie ihn todtgeschlagen.
»Frau Meta Mogens!« sagte der Bursche; »weißt Du noch wie mein Vater zu Lebzeiten Deines Herrn auf dem hölzernen Pferde reiten mußte? – Du batest für ihn, aber es half zu Nichts, er sollte so lange reiten bis ihm die Glieder verstümmelt sein würden; aber Du schlichst Dich zu ihm hinab, wie ich mich jetzt zu Dir schleiche; Du selbst schobst einen kleinen Stein unter jeden seiner Füße, damit er sich stützen könnte. Niemand sah es, oder sie thaten, als sähen sie es nicht, Du warst ja die junge, gnädige Frau. Das hat mir mein Vater erzählt, und das habe ich mir gemerkt und nicht vergessen! Jetzt löse ich Dich ab, Frau Meta Mogens!«
Darauf zogen sie Pferde aus dem Stalle heraus und ritten bei Regen und Wind und erhielten Freundeshilfe.
»Das war die kleine That an dem Alten reichlich vergolten!« sagte Meta Mogens.
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!« sagte der Bursche.
Die Räuber wurden gehenkt.
Ein alter Herrenhof lag da, er liegt noch da; es ist nicht der der Frau Meta Mogens; er gehört einem andern hochadeligen Geschlechte.
Wir befinden uns in der Gegenwart. Die Sonne bescheint die vergoldete Thurmspitze, kleine Waldinselchen liegen gleich Bouquets auf dem Wasser, und die wilden Schwäne umkreisen sie schwimmend. Im Garten wachsen Rosen; die Frau vom Hause ist selbst das feinste Rosenblatt, es strahlt in Freude, in der Freude guter Thaten, nicht aber in die weite Welt hinaus, sondern drinnen in den Herzen, und was dort verwahrt ist, das ist nicht vergessen, – aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Jetzt begiebt sie sich vom Herrenhause aus nach dem kleinen Bauernhäuschen auf dem Felde. Darin wohnt ein armes, gelähmtes Mädchen; das Fenster in dem Stübchen sieht nach Norden, die Sonne kommt hier nicht herein; das Mädchen kann nur über ein kleines Stückchen Feld hinausschauen, welches von einem hohen Zaune eingeschlossen ist. Aber heute ist Sonnenschein, die warme, herrlichschöne Sonne unseres lieben Herrgottes ist drinnen im Stübchen; sie kommt aus dem Süden durch das neue Fenster, dort wo früher nur Mauer war.
Die Gelähmte sitzt in dem warmen Sonnenscheine, sieht Wald und See, die Welt ist so groß, so wunderschön geworden und zwar durch ein einziges Wort von der freundlichen Frau auf dem Herrenhofe.
»Das Wort war so leicht, die That so winzig!« sagte sie; »die Freude, die sie mir gewährten, war unendlich groß und segensreich!«
Und deshalb übt sie so manche gute That, denkt an Alle in den armen Häusern und in den reichen Häusern, wo es auch Betrübte giebt. Es ist verborgen und verwahrt, aber der liebe Gott vergißt es nicht; aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Ein altes Haus stand da; es war in der großen, Stadt mit ihrem regen Verkehr, Zimmer und Säle hat es; aber die betreten wir nicht; wir bleiben in der Küche, und dort ist es warm und hell, rein und niedlich; das Kupferzeug blitzt, der Tisch ist wie gebohnt, der Ausgußstein ist wie ein frisch gescheuertes Spickbret; das Alles hat das eine Dienstmädchen ausgerichtet und doch noch Zeit erübrigt, sich anzukleiden, als wolle es zur Kirche gehen. Es trägt eine Schleife an der Haube, eine schwarze Schleife; das deutet auf Trauer. Aber es hat ja Niemand zu betrauern, weder Vater noch Mutter, weder Verwandte noch Geliebte; es ist ein armes Mädchen. Einst war es verlobt, verlobt mit einem armen Burschen; sie liebten sich innig. Eines Tages kam er zu ihr und sagte:
»Wir Beide haben Nichts!« sagte er; »die reiche Witwe drüben im Keller hat mir warme Worte gesagt; sie will mich in Wohlstand versetzen; aber Du bist in meinem Herzen. Wozu räthst Du mir?«
»Zu dem, wovon Du meinst, es wird Dein Glück sein!« sagte das Mädchen. »Sei gut und liebevoll gegen sie, aber das laß Dir gesagt sein, daß wir Beide von Stund' an, wo wir uns trennen, uns nicht wieder sehen dürfen.«
– Und es verstrichen Jahre; da begegnet ihr der einstige Freund und Bräutigam auf der Straße; er sah krank und elend aus; da konnte sie es nicht unterlassen, sie mußte fragen: »Wie geht's Dir?«
»Reich und gut in jeder Beziehung!« sagte er; »die Frau ist brav und gut, aber Du bist in meinem Herzen. Ich habe meinen Kampf gekämpft, er ist bald ausgekämpft! Wir sehen uns jetzt nicht eher als bei Gott.«
Eine Woche ist verstrichen; diesen Morgen stand es in der Zeitung zu lesen, daß er gestorben war; deshalb trägt das Mädchen ein Trauerkleid! Der Bräutigam ist gestorben und hat Frau und drei Stiefkinder hinterlassen, wie es zu lesen steht; es klingt dies, als wenn es einen Riß hätte, und doch ist das Metall rein.
Die schwarze Schleife deutet auf Trauer, das Gesicht des Mädchens deutet in noch höherem Grade darauf; im Herzen ist sie verwahrt, wird niemals vergessen! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Seht, das waren drei Geschichten, drei Blätter an einem Stiele. Wünschest Du noch mehrere Kleeblätter? Im Herzbüchlein sind deren viele, aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Die wilden Schwäne.
Weit von hier, dort wohin die Schwalben fliegen, wenn wir Winter haben, wohnte ein König, der eilf Sohne