Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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alle Flaggen wehten, und mitten auf dem Schiffe war ein köstliches Zelt von Gold und Purpur und mit den schönsten Kissen errichtet: da sollte das Brautpaar in der kühlen, stillen Nacht schlafen!

      Die Segel schwellten im Winde, und das Schiff glitt leicht und ohne große Bewegung über die klare See dahin.

      Als es dunkelte wurden bunte Lampen angezündet, und die Seeleute tanzten lustig auf dem Verdecke. Die kleine Seejungfer mußte ihres ersten Auftauchens aus dem Meere gedenken, wo sie dieselbe Pracht und Freude erblickt hatte; und sie wirbelte sich mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe schwebt, wenn sie verfolgt wird; und Alle jubelten ihr Bewunderung zu: nie hatte sie so herrlich getanzt. Es schnitt ihr wie scharfe Messer in die zarten Füße, aber sie fühlte es nicht; es schnitt ihr noch schmerzlicher durch das Herz. Sie wußte, es sei der letzte Abend, an dem sie ihn erblickte, für den sie ihre Verwandten und ihre Heimath verlassen, ihre schöne Stimme dahingegeben und täglich unendliche Qualen ertragen hatte, ohne daß er es mit einem Gedanken ahnte. Es war die letzte Nacht, daß sie dieselbe Luft mit ihm einathmete, das tiefe Meer und den sternenhellen Himmel erblickte; eine ewige Nacht ohne Gedanken und Traum harrte ihrer, die keine Seele hatte, keine Seele gewinnen konnte. Und Alles war Freude und Heiterkeit auf dem Schiffe bis über Mitternacht hinaus; sie lachte und tanzte mit Todesgedanken im Herzen. Der Prinz küßte seine schöne Braut, und sie spielte mit seinem schwarzen Haare, und Arm in Arm gingen sie zur Ruhe in das prächtige Zelt.

      Es wurde still auf dem Schiffe, nur der Steuermann stand am Steuerruder, die kleine Seejungfer legte ihre weißen Arme auf den Schiffsbord und blickte gegen Osten nach der Morgenröthe; der erste Sonnenstrahl, wußte sie, würde sie tödten. Da sah sie ihre Schwestern der Fluch entsteigen; die waren bleich, wie sie; ihr langes schönes Haar wehte nicht mehr im Winde; es war abgeschnitten.

      »Wir haben es der Hexe gegeben um Dir Hilfe bringen zu können, damit Du diese Nacht nicht stirbst! Sie hat uns ein Messer gegeben, hier ist es! Siehst Du, wie scharf? Bevor die Sonne aufgeht, mußt Du es in das Herz des Prinzen stoßen, und wenn dann das warme Blut auf Deine Füße spritzt, so wachsen diese in einen Fischschwanz zusammen und Du wirst wieder eine Seejungfer, kannst zu uns herabsteigen und lebst Deine dreihundert Jahre, bevor Du zu todtem, salzigem Seeschaume wirst. Beeile Dich! Er oder Du mußt sterben, bevor die Sonne aufgeht! Unsere Großmutter trauert so, daß ihr weißes Haar, wie das unsrige, unter der Scheere der Hexe gefallen ist. Tödte den Prinzen und komm zurück! Beeile Dich! Siehst Du den rothen Streifen am Himmel? In wenigen Minuten steigt die Sonne auf, dann mußt Du sterben!« Und sie stießen einen tiefen Seufzer aus und versanken in den Wogen.

      Die kleine Seejungfer zog den Purpurteppich vom Zelte und sah die schöne Braut mit ihrem Haupte an des Prinzen Brust ruhen; und sie bog sich nieder, küßte ihn auf seine schöne Stirn, blickte gen Himmel, wo die Morgenröthe mehr und mehr leuchtete; betrachtete das scharfe Messer und heftete die Augen wieder auf den Prinzen, der im Traume seine Braut bei Namen nannte. Nur sie war in seinen Gedanken, und das Messer zitterte in der Hand der Seejungfer. – Aber da warf sie es weit hinaus in die Wogen; sie glänzten roth, wo es hinfiel; es sah aus, als keimten Blutstropfen aus dem Wasser auf. Noch einmal sah sie mit halbgebrochenen Blicken auf den Prinzen, stürzte sich vom Schiffe in das Meer hinab und fühlte, wie ihr Körper sich im Schaum auflöste.

      Nun stieg die Sonne aus dem Meere auf: die Strahlen fielen so mild und warm auf den kalten Meeresschaum und die kleine Seejungfer fühlte nichts vom Tode. Sie sah die helle Sonne, und über ihr schwebten Hunderte von durchsichtigen, herrlichen Geschöpfen, sie konnte durch dieselben des Schiffes weiße Segel und des Himmels rothe Wolken erblicken; die Sprache derselben war melodisch, aber so geisterhaft, daß kein menschliches Ohr sie vernehmen, ebenso wie kein irdisches Auge sie erblicken konnte, ohne Schwingen schwebten sie vermittelst ihrer eigenen Leichtigkeit durch die Luft. Die kleine Seejungfer sah, daß sie einen Körper hatte, wie diese, der sich mehr und mehr aus dem Schaume erhob.

      »Wo komme ich hin?« fragte sie, und ihre Stimme klang wie die der andern Wesen, so geisterhaft, daß keine irdische Musik sie wiederzugeben vermag.

      »Zu den Töchtern der Luft!« erwiderten die Andern. »Die Seejungfer hat keine unsterbliche Seele und kann sie nie erhalten, wenn sie nicht eines Menschen Liebe gewinnt; von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch keine unsterbliche Seele, aber sie können durch gute Handlungen sich selbst eine schaffen. Wir fliegen nach den warmen Ländern, wo die schwüle Pestluft den Menschen tödtet; dort fächeln wir Kühlung. Wir breiten den Duft der Blumen durch die Luft aus und senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang gestrebt haben, alles Gute, was wir vermögen, zu vollbringen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen Theil am ewigen Glücke der Menschen. Du arme, kleine Seejungfer hast mit ganzem Herzen nach demselben, wie wir, gestrebt; Du hast gelitten und geduldet, hast Dich zur Luftgeisterwelt erhoben und kannst nun Dir selbst durch gute Werke nach drei Jahrhunderten eine unsterbliche Seele schaffen.«

      Und die kleine Seejungfer erhob ihre verklärten Augen gegen Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Thränen in ihren Augen, – Auf dem Schiffe war wieder Lärm und Leben; sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen; wehmüthig starrten sie den perlenden Schaum an, als ob sie wüßten, daß sie sich in die Fluthen gestürzt habe. Unsichtbar küßte sie die Stirn der Braut, fächelte den Prinzen an und stieg mit den übrigen Kindern der Luft auf die rosenrothe Wolke hinauf, welche den Aether durchschiffte.

      »Nach dreihundert Jahren schweben wir so in das Reich Gottes hinein!«

      »Auch können wir noch früher dahin gelangen!« flüsterte eine Tochter der Luft. »Unsichtbar schweben wir in die Häuser der Menschen hinein, wo Kinder sind, und für jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, welches seinen Eltern Freude bereitet und deren Liebe verdient, verkürzt Gott unsere Prüfungszeit. Das Kind weiß nicht, wann wir durch die Stube stiegen, und müssen wir aus Freude über dasselbe lächeln, so wird ein Jahr von den dreihundert Jahren abgerechnet; sehen wir aber ein unartiges und böses Kind, so müssen wir Thränen der Trauer vergießen, und jede Thräne legt unserer Prüfungszeit einen Tag zu!«

      In der Nähe von dem klaren Strome Gudenau in Nordjütland, im Walde, welcher sich an dessen Ufern hin und weit in das Land hinein erstreckt, erhebt sich ein großer Landrücken und zieht sich, einem Walle gleich, durch den Wald, An diesem liegt westwärts ein Bauernhaus, umgeben von magerem Ackerlande; der Sandboden schimmert durch die spärlichen Roggen- und Gerstenhalme, die hier wachsen. – Es sind einige Jahre her; die Leute, die hier wohnten, bebauten das Feld, hatten außerdem drei Schafe, ein Schwein und zwei Ochsen; kurz, sie nährten sich ganz gut, hatten zu leben, wenn man das Leben nimmt wie es kommt, ja, sie hätten es wohl gar dahin bringen können, zwei Pferde zu halten, aber sie sagten wie die andern Bauern der Gegend: »das Pferd frißt sich selber!« – es zehrt so viel wie es nährt. Jeppe-Jäns bestellte sein Feld im Sommer; im Winter machte er Holzschuhe, und alsdann hatte er auch einen Gehilfen, einen Burschen, der, wie er, es verstand die hölzernen Schuhe stark aber leicht und »mit Façon« zu machen; sie schnitzelten Schuhe und Löffel, und das brachte Geld, man würde Jeppe-Jansens Unrecht gethan haben, hätte man sie arme Leute genannt.

      Der kleine Ib, der siebenjährige Knabe, das einzige Kind im Hause, saß dabei und sah den Arbeitern zu, schnitzelte an einem Stocke, und schnitt sich wohl auch zuweilen in den Finger; aber eines Tages hatte es Ib mit zwei Stückchen Holz so weit gebracht, daß sie wie kleine Holzschuhe aussahen, und diese wollte er Christinchen schenken; und wer war Christinchen? Sie war des Kahnführers Töchterlein, fein und zart, wie ein herrschaftliches Kind; hätte sie Kleider darnach gehabt, es würde Niemand geglaubt haben sie sei aus der Hütte von der nahen Haide. – Dort wohnte ihr Vater, welcher Witwer war und sich davon nährte, daß er auf seinem großen Boote Brennholz aus dem Walde nach dem nahen Gute Silkeborg mit seinem großartigen Aalfange und Aalwehr, zuweilen auch gar bis nach dem entfernten Städtchen Randers fuhr. Er hatte Niemand, der Christinchen hätte unter seine Obhut nehmen können; deshalb war

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