Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 86
Ib und Christinchen vertrugen sich in allen Stücken, sie theilten sich in Brot und Beeren, wenn sie hungrig waren, sie wühlten gemeinschaftlich in der Erde, sie liefen und krochen spielend überall umher; und eines Tages wagten sie sich gar, Beide ganz allein, auf den großen Landrücken hinauf und eine weite Strecke in den Wald hinein; einmal fanden sie dort einige Schnepfeneier, und das war ein großes Ereigniß.
Ib war noch nie auf der Haide gewesen, wo Christinchens Vater wohnte und auch nicht auf dem Strome gefahren; aber endlich einmal sollte das auch geschehen; Christinchens Vater hatte ihn dazu eingeladen und am Abende vorher folgte er diesem über die Haide nach dessen Hause.
Am nächsten frühen Morgen saßen die beiden Kinder hoch auf dem im Boote aufgeschichteten Brennholze und aßen Brot und Heidelbeeren. Christinchens Vater und sein Gehilfe trieben das Boot durch Stangen vorwärts, sie hatten die Strömung mit sich, und in schneller Fahrt ging es den Strom entlang, durch die Seen, welche derselbe bildet, und die oft durch Wald, Schilf und Röhricht wie verschlossen erschienen, aber doch immer die Durchfahrt gestatteten, wenn auch die alten Bäume sich über die Gewässer neigten, und die Eichen ihre abgeschälten Zweige hervorstreckten, als wenn sie die Hemdärmel abgestreift hätten und ihre knorrigen, nackten Arme zeigen wollten; alte Erlen, welche der Strom vom Ufer losgeschwemmt, klammerten sich mit ihren Wurzeln fest am Uferboden an und sahen aus, als wären sie kleine Waldinseln; die Wasserlilien wiegten sich auf dem Strome; es war eine herrliche Fahrt! – und endlich gelangte man bis an das große Aalwehr, wo das Wasser durch die Schleusen brauste; – das war zu schön, meinten Ib und Christinchen.
Damals war dort keine Fabrik und auch kein Städtchen; nur das alte große Gehöft mit seinem kärglichen Ackerbetrieb mit wenigen Leuten und wenigem Vieh war dort zu sehen, und das Gebrause des Wassers durch die Schleuse, das Schreien der wilden Enten war das ganze rege Leben Silkeborgs. – Nachdem das Brennholz ausgeladen war, kaufte der Vater Christinchens sich ein Bündel Aale und ein geschlachtetes Ferkel, welches Alles in einen Korb gethan und hinten in das Boot gestellt wurde. Darauf ging es stromaufwärts wieder zurück, aber der Wind war günstig und da man die Segel aufzog, war es so gut als hätte man zwei Pferde vorgespannt.
Als man sich auf dem Strome ungefähr dem Orte gegenüber befand, wo der Gehilfe des Kahnführers landeinwärts nur eine kurze Strecke vom Ufer entfernt wohnte, wurde das Boot vertäuet und die beiden Männer gingen ans Land, nachdem sie zuvor den Kindern eingeschärft hatten, sich ruhig zu verhalten. Aber das thaten die Kinder nicht, wenigstens nur sehr kurze Zeit, mußten sie doch m den Korb hinein gucken, m welchem die Aale und das Ferkel lagen; das Ferkel mußten sie haben, in der Hand halten, befühlen, betasten, und da sie dies zu gleicher Zeit thun wollten, so geschah es, daß sie es ins Wasser fallen ließen, dort trieb nun das Ferkel mit der Strömung davon, und das war eine entsetzliche Begebenheit.
Ib sprang ans Land und lief vom Boote eine kleine Strecke fort, und Christinchen sprang ihm nach; »nimm mich mit Dir!« rief sie, und in wenigen Augenblicken befanden sie sich tief im Gebüsch, sie sahen nichts mehr, weder das Boot, noch den Strand; sie liefen noch eine kleine Strecke weiter, dann fiel Christinchen zu Boden und weinte; Ib hob sie aber wieder auf.
»Folge mir!« sagte er. »Drüben liegt das Haus!« – Aber das Haus lag nicht drüben. Sie wanderten immer weiter, über das dürre, raschelnde, vorjährige Laub, über herabgefallene Baumzweige, und es knackte unter ihren kleinen Füßen; bald darauf hörten sie ein lautes durchdringendes Rufen, – sie blieben lauschend stehen, darauf schrillte der Schrei eines Adlers durch den Wald, es war ein garstiger Schrei und sie erschraken dabei, aber vor ihnen, drinnen im Walde, wuchsen die schönsten Blaubeeren in unglaublicher Menge; das war zu einladend als daß sie nicht hätten bleiben sollen, sie blieben auch und aßen von den Beeren und bekamen einen blauen Mund und blaue Wangen. Aber nun hörten sie von Neuem das frühere Rufen.
»Es setzt was für das Ferkel!« sagte Christinchen.
»Komm wir gehen nach unserm Hause!« sagte Ib, »das ist hier im Walde!« und sie gingen weiter; sie geriethen auf einen Fahrweg, aber nach Hause führte der Weg nicht und es wurde finster und sie fürchteten sich. Die wunderbare Stille, welche ringsum herrschte, wurde durch garstiges Schreien der großen Horneule oder anderer Vögel unterbrochen; endlich verliefen sie sich Beide in ein Gebüsch; Christinchen weinte und Ib weinte, und als sie sodann eine Weile geweint hatten, streckten sie sich in das dürre Laub und schliefen ein.
Die Sonne stand hoch am Himmel als die beiden Kinder erwachten, es fror sie, aber in der Nähe von ihrer Lagerstätte, auf dem Hügel, strahlte die Sonne durch die Bäume, dort wollten sie sich wieder erwärmen, und von dort aus, meinte Ib, würden sie das Haus seiner Eltern sehen können; aber sie waren weit von dem Hause entfernt, in einem ganz andern Theile des Waldes. Sie kletterten diese Anhöhe hinan und befanden sich an einem Abhange, einem klaren durchsichtigen See gegenüber; die Fische standen darin in großen Schaaren an dem Wasserspiegel, von den Sonnenstrahlen beleuchtet; was sie hier Alles erblickten, kam ihnen ebenso unerwartet als plötzlich; aber dicht neben ihnen prangte ein Haselnußstrauch voll der schönsten Nüsse, und nun pflückten sie die Nüsse ab, knackten sie auf und aßen die feinen jungen Kerne, die sich erst kürzlich gebildet hatten – aber es war ihnen doch noch eine Ueberraschung, ein Schrecken vorbehalten. Aus dem Gebüsche trat eine große, alte Frau hervor, deren Haar tief schwarz und glänzend war; das Weiße in ihren Augen leuchtete wie bei Mohren; auf dem Rücken trug sie ein Bündel, in der Hand einen Knotenstock; sie war eine Zigeunerin. Die Kinder verstanden nicht gleich, was sie sagte; sie zog drei große Nüsse aus der Tasche hervor; drinnen in diesen, erzählte sie, lägen die schönsten, herrlichsten Dinge, es seien Wünschelnüsse.
Ib blickte sie an, sie sprach so freundlich, daß er sich zusammen nahm und sie fragte, ob sie ihm die Nüsse schenken wollte, und die Frau gab sie ihm und pflückte sich vom Haselnußstrauche andere, eine Tasche voll.
Ib und Christinchen blickten die drei Wünschelnüsse mit großen Augen an.
»Ist wohl in dieser Nuß ein Wagen mit zwei Pferden?« fragte Ib.
»Ib, da drinnen ist eine goldene Carosse mit goldenen Pferden!« sagte die Frau.
»Dann gieb mir die Nuß;« sagte Christinchen, und Ib gab sie ihr, die fremde Frau knüpfte die Nuß in ihr Halstuch ein.
»Ist wohl in dieser Nuß hier so ein kleines hübsches Tuch wie Christinchen da um den Hals hat?« fragte Ib.
»Es sind zehn Halstücher darin!« sagte die Frau, »es sind feine Kleider, Strümpfe, Hut und Schleier drin.«
»Dann will ich auch die haben!« sagte Christinchen, und Ib gab ihr auch die zweite Nuß; die dritte war ein kleines schwarzes Ding.
»Die mußt Du behalten,« sagte Christinchen, »und die ist auch schön.
»Und was ist denn darin?«
»Das Allerbeste für Dich!« antwortete die Zigeunerin.
Und Ib hielt die Nuß recht fest. – Die Frau versprach, sie wolle die Kinder auf den richtigen Weg führen, damit sie sich nach Hause finden könnten, und nun ging es weiter, freilich in einer ganz andern Richtung als sie hätten gehen müssen, aber deshalb darf man noch lange nicht der alten Frau nachsagen, daß sie die Kinder stehlen wollte.
Auf dem wilden Waldpfade begegneten sie dem Waldvoigt, derselbe kannte Ib, und durch seine Hilfe kamen denn auch Ib und Christinchen nach Hause; wo man sich ihretwegen sehr geängstigt hatte; es wurde ihnen verziehen und vergeben, obgleich sie allerdings Beide in