Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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»Wie kannst Du so sprechen?« sagte der gelehrte Mann. »Von welcher Schuld kann hier die Rede sein? Du bist so frei wie Einer! Ich freue mich außerordentlich über Dein Glück! Setze Dich nieder, alter Freund, und erzähle mir doch ein Wenig, wie das zugegangen ist und was Du dort in den warmen Ländern, in dem uns gegenüberliegenden Hause sahst!«
»Ja, das will ich Ihnen erzählen,« sagte der Schatten und setzte sich; »aber dann müssen Sie mir versprechen, daß Sie niemals zu irgend Jemand hier in der Stadt, wo Sie mich auch antreffen sollten, es sagen wollen, daß ich Ihr Schatten gewesen bin! Ich beabsichtige, mich zu verloben; ich kann mehr als eine Familie ernähren.«
»Sei unbesorgt,« sagte der gelehrte Mann; »ich werde Niemandem sagen, wer Du eigentlich bist. Hier ist meine Hand, ich verspreche es Dir, und ein Mann, ein Wort!«
»Ein Wort, ein Schatten!« sagte der Schatten; denn so mußte der ja sprechen.
Es war aber übrigens äußerst merkwürdig, wie sehr er Mensch geworden. Er war schwarz gekleidet und trug das feinste, schwarze Tuch, lackirte Stiefel und einen Hut, den man zusammendrücken konnte, sodaß er nichts als Deckel und Krempe war, nicht zu sprechen von dem, was wir bereits wissen: den Berlocken, der goldenen Halskette und den Diamantringen. Ja, der Schatten war außerordentlich gut gekleidet, und dies war es gerade, was ihn zu einem ganzen Menschen machte. »Nun will ich erzählen,« sagte der Schatten; und dann setzte er seine Füße mit den lackirten Stiefeln so fest er nur konnte, auf den Arm von dem neuen Schatten des gelehrten Mannes nieder, der wie ein Pudelhund zu seinen Füßen lag. Das geschah nun entweder aus Hochmuth, oder vielleicht auch, damit der neue Schatten daran kleben bleiben sollte. Aber der liegende Schatten verhielt sich still und ruhig, um recht zuhören zu können; er wollte auch wissen, wie man so los kommen und sich zu seinem eigenen Herrn hinauf dienen könne.
»Wissen Sie wer in dem Hause uns gegenüber wohnte?« sagte der Schatten. »Das war das Herrlichste von Allem! es war die Poesie! Ich war drei Wochen da, und das wirkt ebenso sehr, als wenn man dreitausend Jahre »lebte und Alles lesen konnte, was gedichtet und geschrieben ist. Denn das sage ich, und es ist wahr: Ich habe Alles gesehen und ich weiß Alles!«
»Die Poesie!« rief der gelehrte Mann. »Ja, sie lebt oft als Einsiedlerin in den großen Städten. Die Poesie! Ja, ich habe sie einen einzigen, kurzen Augenblick gesehen, aber der Schlaf steckte mir in den Augen: sie stand auf dem Altan und leuchtete, wie das Nordlicht leuchtet: Blumen mit lebenden Flammen. Erzähle, erzähle! Du warst auf dem Altan. Du gingst durch die Thür und dann – – –«
»Dann befand ich mich im Vorzimmer,« sagte der Schatten. »Sie saßen drüben und sahen stets nach dem Vorzimmer hinüber. Da war kein Licht: es herrschte dort eine Art von Halbdunkel; aber eine Thür nach der andern in einer Reihe von Stuben und Sälen stand offen, und da war es hell, und die Masse von Licht würde mich getödtet haben, wäre ich bis zur Jungfrau, gekommen. Aber ich war besonnen; ich nahm mir Zeit, und das muß man thun.«
»Und was sahst Du nun?« fragte der gelehrte Mann.
»Ich sah Alles! Und das will ich Ihnen erzählen; aber – es ist wahrlich nicht Stolz von meiner Seite – als freier Mann und bei den Kenntnissen, die ich besitze, abgerechnet meine gute Stellung und meine ausgezeichneten Vermögensverhältnisse, wünschte ich doch, daß Sie, »Sie« zu mir sagen möchten.«
»Bitte um Verzeihung,« sagte der gelehrte Mann; »das »Du« ist eine alte Gewohnheit, und solche legt man schwer ab. Sie haben vollkommen recht, und ich will daran denken. Aber nun erzählen Sie mir Alles, was Sie sahen.« »Alles,« sagte der Schatten, »denn ich sah Alles und ich weiß Alles.«
»Wie sah es denn in den inneren Gemächern aus?« fragte der gelehrte Mann. »War es dort, wie in dem kühlen Haine? War es dort, wie in einem heiligen Tempel? Waren die Gemächer, wie der sternenhelle Himmel, wenn man auf den hohen Bergen steht?«
»Alles war da,« sagte der Schatten; ich war zwar nicht ganz drinnen; ich blieb in dem vordersten Zimmer im Halbdunkel, aber da stand ich außerordentlich gut. Ich sah Alles und weiß Alles. Ich bin am Hofe der Poesie im Vorgemach gewesen.«
»Aber was sahen Sie denn? Gingen durch die großen Säle alle die Götter der Vorzeit? Kämpften dort die alten Helden? Spielten dort liebliche Kinder und erzählten ihre Träume?«
»Ich sage Ihnen, daß ich da gewesen bin, und daher begreifen Sie wohl, daß ich Alles sah, was zu sehen war. Wenn Sie dahin gekommen wären, da wären Sie nicht Mensch geblieben, aber ich wurde es! und zugleich lernte ich mein innerstes Wesen, mein Angeborenes, die Verwandtschaft kennen, in der ich zu der Poesie stand. Ja, damals, als ich bei Ihnen war, dachte ich nicht darüber nach; aber immer, das wissen Sie, wenn die Sonne auf- und niederging, war ich oft wunderbar groß: im Mondscheine war ich beinahe noch bemerkbarer, als Sie selbst; ich begriff damals nicht mein innerstes Wesen: im Vorgemach erschloß es sich mir – ich wurde Mensch! Reif kam ich wieder heraus, aber Sie waren nicht mehr in den warmen Ländern. Ich schämte mich, als Mensch so zu gehen, wie ich ging; ich hatte Stiefel, ich hatte Kleider und diesen ganzen Menschenfirniß nöthig, der einen Menschen erkennbar macht: ich nahm meinen Weg – ja, Ihnen kann ich es wohl anvertrauen; Sie werden es ja in kein Buch setzen – ich nahm meinen Weg unter den Rock der Kuchenfrau; unter den versteckte ich mich; das Weib dachte nicht daran, wie viel sie beherbergte. Erst am Abend ging ich aus; ich lief im Mondscheine auf der Straße umher; ich streckte mich lang an der Mauer hinauf; das kitzelte sehr angenehm auf dem Rücken; ich lief hinauf und hinab, schaute durch die höchsten Fenster in die Säle hinein und durch's Dach, wo Niemand hinsehen konnte, und ich sah, was Niemand sah, was Niemand sehen sollte. – Es ist im Grunde doch eine böse Welt; ich würde nicht Mensch sein wollen, wenn es nicht einmal angenommen wäre, daß es etwas bedeutet, Mensch zu sein. Ich sah das Allerunglaublichste bei Weibern und Männern und Eltern und den »»süßen, unvergleichlichen Kindern««. Ich sah, was kein Mensch weiter weiß, was sie aber Alle gar zu gern wissen möchten: Uebles bei den Nachbarn. Hätte ich eine Zeitung geschrieben, sie wäre gelesen worden; aber ich schrieb gradesweges an die Person selbst, und es entstand Schrecken in allen Städten, wohin ich kam. Sie hatten solche Angst vor mir, sie hatten mich außerordentlich lieb! Der Professor machte mich zum Professor; der Schneider gab mir neue Kleider (ich bin gut versehen); der Münzmeister schlug Münzen für mich; die Weiber sagten, daß ich schön sei – und so wurde ich der Mann, der ich jetzt bin! und nun sage ich Adieu! Hier ist meine Karte, ich wohne auf der Sonnenseite und bin bei Regenwetter stets zu Hause.« Und der Schatten ging.
»Das war doch merkwürdig!« sagte der gelehrte Mann.
Jahre und Tage vergingen, da kam der Schatten wieder.
»Wie geht es?« fragte er.
»Ach!« sagte der gelehrte Mann; »ich schreibe über das Wahre, das Gute und das Schöne; aber Keinem ist es darum zu thun, so etwas zu hören; ich bin verzweifelt, denn ich nehme mir das zu Herzen!«
»Das thue ich aber nicht,« sagte der Schatten; »ich werde dick und fett, und das muß man zu werden suchen. Sie verstehen sich nicht auf die Welt; Sie werden krank dabei – Sie müssen reisen. Ich will diesen Sommer eine Reise machen, wollen Sie mit? Ich möchte wohl einen Reisecameraden haben, wollen Sie als Schatten mitreisen? Es soll mir ein großes Vergnügen sein! Ich bezahle die Reise!«
»Sie reisen wohl sehr weit?« fragte der gelehrte Mann.
»Wie man's nimmt!« sagte der Schatten. »Eine Reise wird Ihnen sehr gut thun. Wollen Sie mein Schatten sein? dann sollen Sie Alles auf der Reise frei haben.«
»Das ist doch zu toll!« sagte der gelehrte Mann.
»Aber so ist