John K. Rickert. Gabriele Steininger
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Читать онлайн книгу John K. Rickert - Gabriele Steininger страница 5
"Ich bin Patrick Doyle. Ich brauche einen Anwalt." Seine Stimme klang hart.
"Mister Doyle, haben Sie einen Termin?" Ihre stahlblauen Augen sahen ihn fragend an. Sie lächelte immer noch freundlich.
"Nein. Ich habe keinen Termin. Aber es ist dringend."
"Dann sollten wir einen Termin machen", stellte Lucy fest und klickte mit der Maus auf dem Pad ein paar Mal hin und her.
"Hören Sie, Fräulein. Ich habe keine Zeit einen Termin zu machen." Er wurde ungeduldig. Es war die fünfte Kanzlei, die er heute aufsuchte.
"Es ist wirklich dringend und ich brauche jetzt einen Anwalt. Sofort. Nicht morgen, nicht übermorgen und auch nicht in einer Woche." Die Empfangsdame ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, klickte noch einmal, tippte auf der Tastatur in den PC ein und hob, immer noch lächelnd, den Kopf.
"Mister Doyle, würde es ihnen in einer viertel Stunde passen?"
Erstaunt sah er sie an. Patrick hatte mit Vielem gerechnet. Seit Stunden war er im Regen unterwegs und wurde überall abgewiesen. Wenn man einen Rechtsverdreher brauchte, waren Termine in Dublin nur in einem Acht Wochen Turnus möglich. Und jetzt, hier, sollte er innerhalb einer viertel Stunde einen bekommen. Erstaunen und Freude, doch noch Erfolg zu haben, mischten sich in seine Antwort.
"Ja. Ich nehme den Termin."
"Möchten Sie eine Tasse Kaffee, solange Sie warten?", erkundigte sich Lucy. Der Mann tat ihr leid. Er sah furchtbar aus, in seinen durch und durch nassen Klamotten.
"Ja gerne, Miss, wie heißen Sie eigentlich?" Patrick klang jetzt freundlicher. Lucy zeigte mit dem Finger auf das kleine Schildchen, welches zwischen den Ordnern kaum zu sehen war.
"Gut. Lucy White. Ich würde mich über eine Tasse heißen Kaffee von Ihnen wirklich freuen, während ich warte." Patrick lächelte. Es war das erste Mal seit Tagen.
Die junge Frau verschwand hinter einer Tür, um kurz darauf mit einer dampfenden Tasse Kaffee und einem Teller mit Keksen wieder aufzutauchen. Patrick ließ die heiße Flüssigkeit seine Kehle hinunterlaufen und schob sich einen der Cookies in den Mund. Gleichmäßig klackerte die Tastatur von Lucy, die sich wieder ihrer Arbeit zuwandte. Es hatte eine beruhigende Wirkung. Hier zu sitzen, in der trockenen Wärme, Kaffee zu trinken und Kekse zu essen. Langsam entspannte er sich und wurde ruhiger. Es roch angenehm nach Leder und Papier. Kurz schloss er die Augen und legte seinen Kopf in den Nacken.
Die Tasse war leer, als er Stimmen und leise Schritte auf dem Teppich vernahm. Eine Tür wurde geschlossen und ein Mann im Anzug kam mit einer Frau den Flur entlang. Sie trug ein blaues Kostüm, eine strenge Frisur und sah erstaunlich adrett aus. An der Theke angekommen, verabschiedete sich Bernard Burgauer von seiner Klientin, die sich freudestrahlend von ihm trennte.
"Lu? Mach doch bitte die Rechnung fertig und schicke sie Misses Mac Ginty."
"Mache ich, Mister Burgauer. Geht heute noch zur Post." Bernard drehte sich in Patricks Richtung.
"Und wie kann ich Ihnen helfen?", fragte er den triefnassen Mann.
"Das ist Patrick Doyle. Er braucht einen Anwalt. Dringend", meldete sich Lucy hinter ihrer Ordnerwand.
John hatte sich auf der Chaiselounge ausgebreitet. Sein Arm hing an der Seite herunter. Die Fingerspitzen berührten gewachstes Parkett, welches sich im Fischgrätenmuster durch die kleine Bibliothek zog. Lässig lag die andere Hand über seiner Stirn. Wahrlich, dieser Arbeitstag hatte ihm den letzten Nerv geraubt und in diesem Moment wollte er weder jemanden sehen noch hören.
Beide Arme bepackt mit Einkäufen, öffnete Bernard umständlich die Wohnungstür. Es hatte Vorteile, wenn man im ersten Stock wohnte und der Arbeitsplatz direkt in der Etage darunter lag. Großeinkäufe gehörten nicht dazu. In der Küche angekommen, stellte er die vollen Tüten ab und rief nach John. Keine Antwort. Er ging durch die Wohnung und fand seinen Freund im Halbschlaf in der Bibliothek.
"John?", fragte er leise. Von der Chaiselounge kam ein brummender Laut.
"Du schläfst doch nicht etwa?"
Umständlich hievte sich der junge Mann in eine sitzende Position und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen.
"Nein, ich schlafe nicht", murmelte er in die Handflächen hinein.
"Bist du krank? Fehlt dir irgendetwas?" Besorgnis schwang in Bernards Stimme.
"Nein. Ich bin okay. Wie kommst du darauf?"
"Weil ich dich noch nie so gesehen habe. Zumindest nicht zu dieser Uhrzeit." Der Anwalt hatte die Augenbrauen hochgezogen und wartete auf eine Antwort - die auch prompt kam.
"Ich hatte einfach einen Fuck-Tag." Bernard hasste diese Ausdrucksweise, sah sie John in diesem Moment aber nach.
"Dann habe ich Neuigkeiten, die dich aufmuntern könnten." Bernard setzte sich grinsend neben seinen Freund.
"Ich glaube, mich muntert nichts mehr auf." Johns resignierter Ton, konnte seinen Freund nicht beirren.
"Oh doch. Das wird es", sagte er bestimmt. "Vergiss die Beschattungssache und hör mir zu. Es gibt einen Fall für dich. Einen verdammt interessanten noch dazu." Bernard erzählte ihm von dem neuen Mandanten, der ihn heute in seiner Kanzlei aufgesucht hatte.
"Und dieser Patrick Doyle, sagst du, ist sich sicher? Ein zweites Testament?"
Der Anwalt war in der Küche verschwunden, um die Einkäufe zu verstauen, weshalb beide ihre Stimmen erhoben hatten.
"Ja, ist er. Seine Mutter, Olivia Doyle, war Daniel Mac Fleeds Geliebte. Er hat Patrick in Briefen an Sie als seinen Sohn anerkannt." Er musste an das Bündel blauer Briefumschläge denken, mit dem Doyle vor seiner Nase herumgewedelt hatte. Sie waren feucht. Doch man konnte sie, trotz
der leicht verschwommenen Tinte, immer noch gut lesen. Jetzt hingen sie über der Heizung in seinem Büro, um zu trocknen.
Inzwischen hatte der Detektiv sich an den kleinen Tisch in der Küche gesetzt.
"Du musst nicht mehr so schreien. Ich bin direkt hinter dir."
Bernard erschrak, als John mit dem Sprechen begonnen hatte. Er hatte ihn noch in der Bibliothek vermutet und nicht kommen gehört.
"Das heißt, wir haben einen verschollenen Erben. Mit dem Anrecht auf einen Pflichtteil", stellte er fest.
"Ja, so sieht es aus. Laut Mister Doyle ist es mehr, als der bloße Pflichtteil. Es ist mein Auftrag zu prüfen, wo sich dieses zweite Testament befindet und seinen Erbanspruch durchzusetzen. Patrick Doyle befürchtet einen Betrug."
"Normalerweise liegt so ein Dokument bei einem Notar." Johns Bemerkung war überflüssig. Bernard war mit Nachlässen bestens vertraut.
"Es liegt ein Testament vor. Die Sozietät Conner & Mac Gail in Dublin vertritt die Mac Fleeds seit Jahrzehnten." Bedeutungsvoll senkte Bernard die Stimme. "Die Anwälte, Notare und Steuerberater dort sind allesamt Koryphäen auf ihren Gebieten. Die Verlesung ist im Übrigen auf nächsten Montag