Unter den Bäumen des Himmels. Ludwig Wolf
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3. Einkehr
Der Circus war unglaublich. Seit Josef seine Blase erfolgreich in der Wirtshaustoilette entleert hatte, waren am Nebentisch so viele Hunde zusammengekommen, dass man ihre Zahl nicht mehr ohne weiteres feststellen konnte. Die Viecher zelebrierten ein dauerndes hin und her. Mal wickelte sich der eine von links um den Stuhl rechts außen, mal der andere um den Stuhl links außen, und zwar, genau, von rechts. Dazu sprang das jeweilige Herrchen oder Frauchen immer wieder auf, wickelte den sich begeistert hechelnd selbst strangulierenden Vierbeiner erneut vom entsprechenden Stuhlbein. Immer in der Gegenrichtung. Versteht sich. Oder der Stuhl musste angehoben werden, weil der Hund zu groß und ergo zu schwer war. Die begleitenden Gespräche der frauenlastigen Runde dazu waren von erlesener Finesse: „I brauch wos zum Rascheln, sonst ku sie nit. A Raschl-Sackl. Jo des brauch i. Wo issn? Ah, do hob is jo!“ (2) Sprachs und raschelte mit Hündin in den nahen Wald dahin. Es stand aber zu befürchten, dass sie bald wieder da war. Samt Hund, der dann hoffentlich leergeschissen war. Ebenso klar war, dass das „Raschl-Sackl“ geflissentlich nicht zur Kotbeseitigung benutzt werden würde. Klüger war es das Raschl-Sackl auch fürs nächste Geschäft parat zu haben. Nicht dass hier Verstopfung sensibler Hundedärme im Verzug war. Schließlich war im Wald Natur pur und jeder selber schuld, wenn er in die Scheiße griff, beziehungsweise stieg. In der Stadt war das anders, weniger Natur, aber da zahlte man schließlich Hundesteuer, und auf der Wiese, nun ja die, die war irgendwas dazwischen. Das sollte man nicht so eng sehen. Schließlich hatte so ein Tierchen auch Bedürfnisse; und die Katzen, die waren eh viel schlimmer, schissen jede Sandkiste zu mit ihren Kötteln. Kackten zwischen den Salat in den Gemüsebeeten.
„Na, da Hund vo da Mali! Wia i mit demm spaziern gonga bin, hot a sich danoch glei niedagleg und gschlofn.“
„Wenn a Weiwaleit lei a scheas Gsicht hot, is auf Daua zwenig. Is fian Misthaufn des Weib.“ (3) Endlich ging es um etwas anderes, als um die Viecher. Opa schien gut drauf und teilte Lebensweisheiten aus.
„Hu! Kung Fu, ha!“
„Los de Fuchtlarei Bua! Du tuasch da nu weh.“
„Oba des isch Kung Fu Opa!“
„Des isch ma wurscht! Leg den Steckn hi, sonst nimm i di nimma mit!“ (4)
Ein mittlerer Hund sprang über einen großen, ein kleiner wollte nach und sprang gegen das Tischbein. Ein Frauchen wurde rechterhand und abrupt unter den Tisch gezogen. Ein Gekläffe erster Klasse hub an und Josef suchte bereits das fünfte Mal dieselbe Zeile in seinem Schundroman.
„Wemma gean und mera senn, noa laft sie oiwei vua und zrugg. Sie tuat hoit olle ollaweil beschützen gei.“ (5)
Ah ja, Ende der viecherfreien Talkerei.
„Na, eatz bin i amoi gonga, isch ma da Hund von Nochborn noch. Bin i steabliebn und hob zu eam gsagt: - Gesch eatz!“
„Jo?“
„Bin i weidagonga. I hu oba oiwei was gheat hinta mia. Gsegn hob i nix. Bis hoit amoi die Holastaudn gwogglt hom. Isch dea Hund leise hintn noch, a bissl iwam Weg hoid. Und imma wenn i steabliebn bi, ischa a steabliebn, na.“
„Jo, des tean sie.“ (6)
Josef suchte wieder nach Zeilen; - Meine kurze rechte Gerade brachte die blonde Krankenschwester zu Fall - nein, die Zeile war zwar ganz schön macho, aber sie war es nicht.
„Dominanzproblem.“
Das seltsam bleiche Gesicht des Arztes verfügte auch über seltsam leblos lodernde Augen …
„des Aufreitn a.“ (7)
… rochen alle irgendwie nach Leichen. - Die Zeile war es schon eher.
„Des isch wia bei die Jugendlichn.“ (8)
Das steife, weiße Schwesternhäubchen rutschte über das frisch gewichste Linoleum wie ein gut gewachster Eisstock.
Das schien wieder falsch, weil direkt nach der rechten kurzen Geraden angesiedelt. Josef gab es auf. Die Selbstverständlichkeit mit der der Nebentisch alle seine noch so unwichtigen Belange öden Zusammenlebens mit dem besten Freund des Menschen lautstark kundtat, war einfach nicht wegblendbar. Auch nicht wenn man darauf aus war endlich zu jener Stelle zu kommen an der der Krankenschwester unter den kurzen weißen Rock ans ebensolche Höschen gegriffen wurde, was unzweifelhaft als nächstes kommen musste. Schließlich war das Schundheftchen, das er kürzlich aus seinem umfangreichen Fundus gefischt hatte, ein typisches Werk aus den Siebzigern. Den Begriff „politisch korrekt“ gab es damals noch nicht, vielleicht weil die Politiker damals noch arbeiteten und nicht herumlaberten. Manche Stellen waren so erfrischend direkt, dass man es kaum glauben konnte. Ein Heidenspaß, wie wir schon wissen. Trotzdem. Irgendeine Tante durchkreuzte die Konzentration mit einem Hausrezept für Jägerschnitzel mit Sicherheit aufs Schrillste. - „Und; des isch owa oiwei scho so guat!“ (9)
Man glaubte es unbesehen und wusste, wo man lebte. In einem Land, wo der Landeshauptmann ein dauergrinsender Ex-Landpolizist war, noch war, es bis zur hoffentlichen Abwahl war, eine Grinsekatze, die ständig Probleme mit der Sprache hatte und oft ins Lallen kam. Ganz anders als sein stets polternder Vorgänger, ein Landesverweser, der offensichtlich die Bezeichnung Landesvater völlig verinnerlicht hatte und die Leute ständig auf Kindergartenniveau hielt. Schließlich wusste er genau was gut für seine Untertanen war. Er war der Chef, der Häuptling eben, da gab´s kein Aufmucken! „Gessn wead, wos auf´n Tisch kimmt!“ (10), die Meldung vom Nebentisch kam perfekt passend zum aktuellen Gedankengang. Erschwerend kam für einen denkenden Landesbewohner wie Josef noch dazu, dass der Bürgermeister seiner Heimatstadt, die er sich leider nicht aussuchen durfte, eine Art selbstvergessener Dandy im Oscar-Wilde-Stil war. Wohl grinste er auch ständig und sah ähnlich glatt aus wie der derzeitige Landesunhold, er vermochte sich aber wesentlich eloquenter auszudrücken. Heraus aus dem Bürgermeister kam aber gleichfalls nur heiße Luft. Er war eine Art Dorian Gray ohne Spiegel, also etwas, an dem absolut kein Bedarf herrschte. Außer im Winter, aber da war der wirtschaftliche Nutzen relativ klein, da sie schnell verflog. Die Luft, die heiße. Und Spiegelscherben heizten ohnehin nicht gut. Und deren Bilder? Heizwert gleich null. Gerade so, wie der Heizkostenzuschuß. Den bekam man nur, wenn man noch weniger als Notstandshilfe bekam. Wen wunderte es da, dass die Bewohner eines solchen Landes ihr