Unter den Bäumen des Himmels. Ludwig Wolf

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Unter den Bäumen des Himmels - Ludwig Wolf

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this is truly marvellous! Look at the headstones! What gorgeous shiny headstones! A pavement all over!“

      Headstones? Hatte der Engländer nicht mehr alle Sinne beisammen? Kopfstein hieß doch cobble-stone im englischen wenn Josef sich richtig erinnerte. Der Englischunterricht war zu seinen Schulzeiten damals nicht gerade praxisnah gewesen, erschöpfte sich mehr in der profanen Liga von bananas, oranges, apples, tomatoes und so weiter, von vegetables und fruits. Egal. Wenn einen blankgescheuerte Pflastersteine derart aus der Fassung bringen konnten, dann hatte man ohnehin nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder alle Socken in der Kommode. Alle Kulis im Sekretär. Alle Gewürze am Bord. Oder alle Nudeln in Asien.

      Mittlerweile war die Kellnerin wieder zur Stelle, pries die EEls. Die EEls, ja die EEls, die wären auch gut, sagte sie. Josef sah auf sein halbvolles Glas Pisse und fragte sich, ob er davon schon so besoffen sein könnte. Eher nicht, dennoch vermochte er sich keinen Reim mehr auf die Geschehnisse am Nebentisch zu machen. Maximal wollte man sich als Pop-Agentur tarnen, wozu dann aber hektisch versuchen, sich Musikvideos runterzuladen? Noch dazu so dilettantisch? Irgendein Businessplan, ein mit Terminen vollgestopfter Organizer wäre doch authentischer gewesen. Er sah wie die Kellnerin sogar noch die Enter-Taste für den einen drückte, den Bildschirm für den anderen richtig hindrehte. Das war alles mehr Schläfer denn Zelle, geschweige denn Terror.

      Und dann sah er sie. Ihm blieb der Mund offen, und das perfekte Bild konnte so unbehelligt an ihm vorüberziehen, ohne festgehalten zu werden. Seine Kamera war weggepackt in der Tasche seiner Jacke, er griff schnell danach, bekam den Knopf nicht auf, wusste am Weiterziehen der traurigen Gestalt, dass er es nicht schaffen konnte. Verdammt! Was tun? Das Motiv des Jahrhunderts sausen lassen? Nein. Dazu fiel ihm noch etwas ein. Die Tasche auf, Kamerasack raus, auf, Kamera raus, Bier ansetzen, auf zwei Züge weg damit, die unverschämten drei fünfzig waren schon geparkt, und auf, und wo war sie jetzt, war sie links oder war sie rechts? Erst einmal geradeaus, da hinein, nein, da vorn, nein, hinten, ja, doch, da war noch ein Eck, obwohl, nein, doch vorn, aber die schräge Gasse da, ja das könnte sein, weiter, ja das hatte die Haltung, dieser dunkle Fleck dort, dieses nichts mehr, dieses abgeschlossen mit dem Leben haben, ja jeden Tag machte man trotzdem weiter, nur weil er so war, so kam, so zu sein hatte, der Tag; jeden Tag ohne Lust, mechanisch, nur weil es eben ein neuer Tag war, ein weiterer, den man durchzustehen hatte, ein weiterer, den man abhaken konnte. Ja das musste sie sein. Die Körperhaltung war eindeutig, die schwarze Kleidung, er vermeinte auch die Tasche auszumachen. Schneller schritt er aus, immer schneller, die Kamera im rechten Winkel haltend, im Voraus zoomend, ins Display schauend, ob es klappen könnte. Schließlich, an einer Abzweigung die elegant schräg abbog, erreichte er sie, schwitzte schon einigermaßen und drückte schnell zweimal, ab ohne bemerkt zu werden. Heftig atmend hielt er inne, sah sich die Fotos im Display an. Eins war verschwommen, zu verschwommen wahrscheinlich, eins schien brauchbar, man sah worum es ihm bei dem Foto ging. Ihre riesige schwarze Einkaufstasche, auf der in schlichten weißen, aber großen Lettern die Worte SUPER SHOPPER standen.

      So war das gewesen, an diesem Tag, im letzten Sommer in Wien.

      (18)

      Eine Situation

      (19)

      „Danke für die Asche, gnädige Frau.“

      (20)

      „Entschuldigt, ich muss arbeiten auch noch, ich muss abrechnen, die Herren.“

      6. THAILAND; Traum, der

       Suvarnabhumi

      Ankommen und da sein. Am Suvarnabhumi. In Bangkok. Oder vielmehr noch dreißig Kilometer davon entfernt. Von Bangkok. Ein Flughafen wie eine Spinne. Erbaut auf dem Kobrasumpf, auf dem Nong Ngu Hao, ein zischelndes Schlängeln im Metall. Heute goldenes Land. Land von Gold. Die Luft in der Fluggastbrücke war von dumpfer Hitze. Sie schmeckte nach Verbrennung und totem Sumpf. Förderbänder, die auf ein gemeinames Ziel zusteuerten, zuzusteuern schienen, unaufhörlich fuhren, fuhren in ihr Eigenstes. Fuhren tief hinein. Kein Mensch wusste das. Das Förderband verschwand unter den Füßen. Aber es verschwand nicht einfach. Es fuhr tief hinein in die Eingeweide des Flughafens, den Untergrund unbekannter Tiefen, wo sich die metallenen Bänder ineinander verschlangen und neue Rolltreppen und Förderbänder gebaren.

      Hitze in der Hose, wen wundert´s, in geilgrau langer Unterwäsche gestartet, bei Minus zehn Grad, lebensnotwendig, die zweite Haut aus hundert Prozent Baumwolle. Hier, obwohl klimatisiert, galt es, überflüssige Textilien so schnell wie möglich loszuwerden. Es war höchste Zeit, unangenehmes Dampfen an den Ober- und Unterschenkeln war bereits länger spürbar. Die Füße in den dicken Socken begannen zu jucken. Die Reproduktionen von Gemälden verschiedenster Künstler heimischer Provenienz neben dem Förderband passierend, hielt Josef Ausschau nach dem Piktogramm, das Männern Erleichterung verhieß, versprach, und in den meisten Fällen auch hielt. Jedes Einzelne der Bilder strafte Europas Dünkel Lügen. Die Werke waren wunderbar. Hervorragend. Glaswände dazwischen offerierten Raucherparadiese, die man nicht betreten wollte. Man sah nur Gliedmaßen im Nebel. Wusste nicht, zu wem sie gehörten. Manchmal tauchte auch ein verschwommenes Gesicht hinter der Scheibe im Rauchgrau auf. Kurz. Moderne Poltergeistphänomene. Bewegungen erzeugten Wirbel im Grau. Ein Francis Bacon des modernen Lebens.

      Endlich tauchte das bekannte Piktogramm auf. Josef verließ das Förderband und bog rechts in die Herrentoilette ein. Die lange Reihe weißer Pissbecken in genormter Höhe wurde von einem längeren, erheblich tiefer gesetzten abgeschlossen. In Josefs Heimat, der letzten Operettenrepublik weltweit, gab es so etwas nicht. Zumindest hatte er noch nie zuvor ein tiefergelegtes Pissoir gesehen. Eine Formel eins Geschichte? Der Sinn des Ganzen war ihm nicht klar. Ein Sportpissbecken? Dafür war es wieder zu schmal und ohne Spoiler. Egal. Erst mal in eine Kabine. Dankenswerterweise ohne Münzschloss, also für jedermanns Notdurft offen. Zuhause konnte so was schon mal in die Hose gehen. Ohne Wechselgeld. Am Geisterbahnhof. Während die computergenerierte Tussi zum hundertsten Mal die Verspätung irgendeines Intercitys um eine geschlagene Stunde annoncierte, hatte er sich in die Hose geschissen. Vor der Clotür, aber ohne Kleingeld halt. Fructoseintoleranz. Überfallsartiger Dünnschiss. Ohne Ankündigung. Das war wirklich scheisse gewesen. Gott sei Dank lange her. Josef schloss die Tür, hing den Rucksack an den Haken. In der komisch lang geformten Kackschüssel stand das Wasser beinah bis zum Rand, was erst einmal das Schließen des Toilettendeckels dringend anriet. Dann rasch die Jacke ausziehen, der Schweiß stand Josef mittlerweile schon auf der Stirn, tropfte von den Brauen. Er öffnete den Rucksack, holte seine orangefarbenen Kunststoffclogs heraus. Raus aus dem überhitzten Goretex Schuhwerk und sofort die Hosen runter. Die baumwollene Leibwäsche gleich hinterher. Der Wäschehügel auf der Closchüssel wuchs. Josef wechselte zu einem frischen, zu einem vor allem dünnen Slip, ließ Unterhemd und Socken weg, stopfte die überflüssige Wäsche in den Rucksack, zog den Beutel zu und klemmte die Jacke unter die Klappe. Nachdem alles Gebrauchte sicher verstaut und alles Frische angezogen war, konnte auch der Toilettendeckel wieder geöffnet werden, ohne dass die Gefahr bestand, dass etwas von seinen Sachen in die Schüssel fiel. Josef ergriff die Gelegenheit und nutzte das Ding bestimmungsgemäß. Er zuckte kurz zusammen, weil sein langer Schwanz mit dem Kopf ins Wasser tauchte, stöhnte aber bald zufrieden und erleichtert, erschrak aber darob, weil er vergessen hatte, dass er hier nicht zuhause war. Tonales public kacking also. Was sollte es schon? Niemand sah was da jetzt im Wasser schwamm. Außer Josef selber. Er drückte den Spülknopf, worauf die ganze Schüssel mit einem mächtigen Brausen abgesaugt wurde. Josef erschrak noch einmal. Jetzt wusste wohl jeder draußen an den Pissoirs, dass er, Josef, hier geschissen hatte. In Bangkok. Am Flughafen. Er mochte so etwas nicht. Josef beschloss, noch ein Weilchen zu warten, bevor er die Tür öffnete und hinausging. Eigentlich war das vollkommen lächerlich, da die Wahrscheinlichkeit, dass ihn ausgerechnet hier, auf diesem einen Clo im Flughafen von Bangkok, jemand erkennen sollte, ähnlich groß war, wie die Chance auf einen Sechser im Scheiß-Eurolotto. Josef schulterte also

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