Die Schlangentrommel. Ole R. Börgdahl
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Читать онлайн книгу Die Schlangentrommel - Ole R. Börgdahl страница 6
Arun schüttelte heftig den Kopf. Die Leute sollten höher halten, nur in die Luft schießen. Die Linie ging wieder ein paar Meter voran. Arun wandte sich nach links und nickte zu seinem direkten Nebenmann, der gleich eine ganze Salve abgab. Dann setzte es sich auf Aruns rechter Seite fort. Die Männer gingen ein paar Meter, schossen abwechselnd und beobachteten dann das vor ihnen liegende Terrain. Nach dem die Vögel aufgeflogen waren, gab es keine Bewegung mehr im Gras, keine plötzliche Flucht, keine erschreckte Reaktion. Sie gingen weiter. Arun voran, die Männer folgten ihm. Nhean blieb stehen, blickte noch einmal zurück.
Im ersten Moment glaubte er das Schlagen einer Peitsche zuhören, doch das Geräusch schwoll im Bruchteil einer Sekunde zu einer pfeifenden Explosion an. Nhean riss den Kopf herum. In einem Feuerstrahl, keine zwanzig Meter von ihm entfernt, sah er Matschklumpen aus der Erde schießen. Ein Mann schien vor der Explosion davon zu laufen. Nhean sah, wie er mit den Armen ruderte, doch dann entfernten sich die Arme vom Körper. Erde und Steine prasselten nieder. Nhean wich einen Schritt zurück, wollte die vorausgehenden Männer warnen, als drei oder vier weitere Explosionen folgten. Es war wie der Beschuss aus einer Kanone. Das Gras der Ebene hatte trotz der Feuchte des Bodens zu brennen begonnen. Nhean suchte nach Arun. Er sah nur noch zwei Männer des Trupps aufrecht stehen. Sie verharrten einen Moment und versuchten dann auf dem Weg, den sie gekommen waren, zurückzugehen. Nhean konnte Arun noch immer nicht finden.
*
Bruckner atmete tief aus. »Was war das denn, so kenne ich Sie ja gar nicht, ziemlich blutig!«
»Kambodschas Erde ist eben mit Blut getränkt«, sagte ich.
»Was ist denn da explodiert?«
»Landminen! An Kambodschas Grenze zu Thailand gab es zahlreiche Minengürtel. Bis heute wurden nicht alle gefunden.«
Bruckner nickte. »In Geschichte habe ich nicht so aufgepasst. Angka, Rote Khmer, was war da noch?«
»Pol Pot sagt Ihnen aber etwas?«
»Kann schon sein.«
»Ein Kommunist, der eigentlich Saloth Sar hieß. Er war zwischen 1975 und 1978 in Kambodscha an der Macht. Agrarkommunismus. Die Städte wurden geleert, alle mussten als einfache Bauern auf dem Land arbeiten oder beim Straßenbau. Das hat sehr vielen Menschen das Leben gekostet.«
»The Killing Fields«, rief Bruckner. »Ich kann mich an den Film erinnern.«
»Das war genau diese Zeit«, bestätigte ich.
»Aber Ihre Story beginnt doch im Jahre 1990«, stellte Bruckner fest.
»Ja, das war nur die Vorgeschichte. 1990 waren die Roten Khmers bereits im Untergrund. Sie wurden von den Vietnamesen vertrieben. In den achtziger Jahren gab es aber noch einen Guerillakrieg um die Vorherrschaft in Kambodscha. Aus dieser Zeit stammen auch die Landminen an der Grenze zu Thailand.« Ich sah Bruckner an. »Darf ich jetzt weiter erzählen?«
»Nur zu, aber Sie haben ja Ihren Kuchen noch gar nicht angerührt.«
»Danke, sehr führsorglich.«
Ich benutzte die Gabel und steckte mir ein ordentliches Stück Erdbeerkuchen in den Mund. Beim Kauen hatte ich Gelegenheit, zu überlegen, wo ich stehen geblieben war. Ich machte einen Zeitsprung.
Das Jahr der Schlange 2001
August 2001, Olofstorp in der Nähe von Göteborg. Rin Mura öffnete das Fenster seines Arbeitszimmers. Warme Luft strömte in den Raum. Es roch nach Gewitter. Am Himmel zogen die Wolken langsam an der Mondsichel vorbei. Rin Mura beugte sich hinaus, blickte nach unten in den Hof der Villa, in dem die beiden kantigen Volvo-Limousinen in der beginnenden Dämmerung warteten. Er sog noch einmal die Luft ein, schloss dann das Fenster. Er kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. Die Papiere hatte er bereits aus den schwarzen Aktenordnern genommen und bereitgelegt. Er nahm immer nur wenige Seiten und führte sie in den Schlitz des Schredders ein. Das Gerät zog Rin Mura die Blätter aus der Hand. Die rotierenden Messer lärmten, quälten sich durch das Papier und liefen leer, bis neue Blätter zugeführt wurden. Rin Mura griff nach den Kontoauszügen, besah sich noch einmal die Zahlenreihen und gab auch diese Dokumente in den Schredder.
Das Klopfen überhörte er. Die Tür öffnete sich, Chenda trat ins Zimmer. Sie ging sofort zu ihm, umarmte ihn. Sie küssten sich, sahen sich dann für einen kurzen Moment schweigend an. Rin Mura holte den Umschlag aus seiner Jacketttasche hervor.
»Hier sind deine Tickets und das Geld, Liebes«, erklärte er. »Es sind zehntausend Kronen und noch einmal zweitausend Dollar.«
Chenda nahm den Umschlag, öffnete ihn. Das Geld beachtete sie nicht, sie zog die Tickets hervor, studierte sie.
»Tijuana, Mexiko?«
»Sorry, Liebes, aber ich konnte es dir vorher nicht sagen. Du wirst in Tijuana bereits erwartet, vertrau mir.«
»Schiphol, ist das nicht ein Risiko?«, fragte Chenda.
»Es geht nicht ohne Zwischenstopp«, erklärte Rin Mura, während er ihre Hand nahm und sie streichelte. »Du wirst aber nur zwei Stunden Aufenthalt haben.«
Sie nickte, schob die Tickets wieder in den Umschlag und umarmte ihn ein zweites Mal. Sie gab ihm noch einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich von ihm löste und zur Tür ging. Draußen auf dem beleuchteten Flur lief einer der Leibwächter mit Chendas Koffern vorbei, trug sie aus dem Haus zu einem der Wagen.
Ein anderer Mann stand im Flur, wartete, bis Chenda das Arbeitszimmer verlassen hatte. Rin Mura nickte, Louk Bourey trat ein, kam zu ihm an den Schreibtisch und verbeugte sich.
Rin Mura legte Louk Bourey die Hand auf die Schulter. »Ist alles vorbereitet?«
»Ja, es ist alles vorbereitet, Herr«, bestätigte Louk Bourey und deutete wieder eine Verbeugung an.
Rin Mura lächelte. »Dann brauche ich jetzt Ihren Pass.«
Louk Bourey nickte. Er hatte das bordeauxrote Ausweisheft bereits in der Hand, reichte es Rin Mura, der es sofort aufblätterte und sich die Fotografie ansah.
»Als ich das Bild eingereicht habe, gab es keine Probleme«, erklärte Bourey. »Niemand hat danach gefragt und ich habe den Reisepass seit der Ausstellung vor zwei Monaten nicht benutzt. Ich habe ja noch meine alte ID-kort.«
»Brauche ich die auch?«, fragte Rin Mura.
Bourey schüttelte den Kopf. »Die habe ich jetzt sicher verwahrt. Sie verwenden nur meinen Reisepass.«
»In Ordnung!« Rin Mura steckte den schwedischen Ausweis in seine Jacketttasche. Dann wandte er sich um, nahm den bereitgelegten Papiere vom Schreibtisch. »Ich gebe Ihnen also meinen koreanischen Pass. Das Foto ist wirklich so schlecht, dass es niemandem auffallen wird.«
Rin Mura klappte den Ausweis auf. Die Fotografie wurde tatsächlich beiden Männern gerecht. Er reichte ihn Louk Bourey, der den Ausweis sofort in die Innentasche seiner Jacke steckte.
»Wenn wir uns das nächste Mal treffen, wird alles hinter uns liegen und wir nehmen mit Stolz