STRANGERS IN THE NIGHT. Jon Pan

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STRANGERS IN THE NIGHT - Jon Pan

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im Blut

      Die Kriegsgefangenschaft war die erste Gelegenheit, bei der Rehbein das Überleben durch seine besondere Fähigkeit praktizierte. Er sprengte seine inneren Grenzen. An Qualen mangelte es nicht. Der Alltag war voll von Demütigungen. Die Männer hatten kahl geschorene Köpfe, sahen zerlumpt aus. Viele mussten beim Bau von Eisenbahnstrecken mitarbeiten und bis zur Erschöpfung Schienen schleppen.

      Die Situation im Lazarett, wo Rehbein sich abmühte, hatte sich etwas beruhigt. Es starben nicht mehr so viele Männer. Der Winter jedoch war hart, und die Heimat lag in weiter Ferne, sie war unerreichbar.

      Im Lager hatte sich unter kommunistischer Leitung ein antifaschistischer Ausschuss, »Antifa« genannt, gebildet, der sich darum bemühte, die Gefangenen zu Kommunisten umzuschulen. Dieser Ausschuss unterstand einer Zentrale in Belgrad, die von dort aus etwa dreißig Kriegsgefangenenlager und deren Außenstellen im Umkreis von vierzig Kilometern leitete.

      Rehbein, für den jede Ideologie ein Gräuel war, unterwarf sich nur mühsam einer solchen Prozedur. Doch schon bald reifte in ihm eine Idee, die er zwei seiner ehemaligen Mitmusiker mitteilte. Rehbein wollte ein Kriegsgefangenen-Orchester gründen.

      Das war nicht einfach, aber nicht unmöglich. Einer der Gefangenen hatte in einem Schuppen, mitten in beschlagnahmtem Kriegsgerät, einige Instrumente entdeckt. Darunter auch eine Geige, zwar in schlechtem Zustand, aber mit einigem Willen war sie spielbar.

      Die ersten näheren Besprechungen fanden in der Warteschlange vor dem »Zwölfzylinder« statt. Der »Zwölfzylinder« war die einzige sanitäre Anlage im Lager. Er bestand aus zwölf blechernen Trichtern, die nebeneinander in einer schmalen Baracke in den Boden eingelassen waren. Diese primitive Einrichtung musste für mehr als tausend Mann reichen. Demzufolge herrschte dort Dauerbetrieb. Und es stank dementsprechend. Zwei Gefangene hatten im Schichtbetrieb die Aufgabe, im »Zwölfzylinder« für Ordnung zu sorgen. Dazu gehörte auch das Spülen mit einem Wassereimer.

      Mitunter konnten die Gefangenen Briefe nach Hause schreiben. Rehbein erhielt von seiner Mutter eine traurige Nachricht: Arno, Rehbeins Bruder, war tot, Opfer eines der vielen Bombenangriffe. Er hatte, noch ein halbes Kind, im Volkssturm dienen müssen. Rehbeins Vater war aus der Wehrmacht zurückgekehrt. Der Mutter ging es gesundheitlich schlecht. Sie litt an Herzbeschwerden. Die vielen Bombennächte in Hamburg hatten bei ihr einen dauerhaften Schock ausgelöst. Rehbein wusste nicht, was er seiner Mutter zurückschreiben sollte.

      »Hosenkrank« bedeutete, dass einer der Gefangenen keine Hose mehr besaß. Die ständig getragenen Kleidungsstücke fielen auseinander. Ersatzhosen gab es nicht. Wer keine Hose mehr besaß, konnte nicht zur Arbeit gehen. Er war also eben »hosenkrank«. Außer wenn die Sonne schien. Dann wurde der Mann ohne Hose dem »Sonnenscheinkommando« zugeteilt und musste, eine Wolldecke um den Bauch, im Freien eine speziell zugeteilte Arbeit verrichten.

      Rehbein war »hosenkrank«. Er stand in der Baracke, die zerlöcherte Wolldecke um den Bauch. Mit zu kalten Fingern spannte er den Violinbogen. Setzte die Geige zwischen Hals und Schulter, neigte den Kopf zur Kinnstütze. Versuchte das Instrument zu stimmen, drehte an den Wirbeln: g – d – a – e, das schaffte er unter diesen Umständen nie. Seine Finger tasteten das Griffbrett ab. Es fühlte sich an wie eine Eisspur. Die Saiten schnitten ein. Er nahm den Bogen hoch, strich einige zaghafte Züge. Die Bespannung haftete schlecht, da es an Kolophonium fehlte.

      In der Baracke erklang Musik, Geigenklänge, gespielt von Herbert Rehbein. Vielleicht hörte es draußen jemand. Das war ihm im Moment gleichgültig.

      Es dauerte nicht lange, bis der Kommissar von der Sache mit der Geige erfuhr. Der Kommissar mochte Rehbeins Musik, denn Rehbein hatte die Gabe, wie ein Zigeuner zu spielen. Er entlockte dem Instrument jagende oder klagende Klänge, zart oder teuflisch. »Muzikar gut«, sagte der Kommissar. »Du jetzt spielen und nicht mehr arbeiten.«

      Es war klar, dass mehr Musiker her mussten. Der Kommissar, den Musik offensichtlich begeisterte, stimmte zu. Rehbein durfte eine Besetzung zusammenstellen, sein Kriegsgefangenen-Orchester. Insgesamt elf Mann, da sich nicht mehr Instrumente auftreiben ließen. Endlich kam Farbe in den harten Gefangenenalltag. Die Neuigkeit machte überall die Runde. Hoffnung breitete sich aus. Rehbein war bemüht, geeignetes Notenmaterial zu finden. Er arrangierte, schrieb neu, obwohl es auch an leeren Notenblättern fehlte.

      Der Kommissar war hilfsbereit. Er veranlasste, dass Notenpapier besorgt wurde. Die Musiker erhielten Sonderrationen. Ab und zu gab es sogar Zigaretten. Die Männer um Rehbein mussten sich nicht mehr die Köpfe kahlscheren lassen, durften die Haare länger tragen. Rehbein besaß auch wieder eine brauchbare Hose.

      Das erste Konzert rückte näher. Ein Vertreter des Antifa-Ausschusses war mit der Leitung beauftragt worden. Das Konzert sollte außerhalb des Lagers stattfinden. Ausschließlich für die Gefangenen. In einem richtigen Saal. Das war eine Sensation.

      Am Tag der Veranstaltung wurde eine ausgesuchte Anzahl Gefangener unter strenger Bewachung aus dem Lager geführt. Die Musiker waren schon am Nachmittag in den Saal gebracht worden. Unter strenger Bewachung konnten Rehbein und seine Männer dort ihre Notenpulte aufbauen und eine Probe abhalten. Die Vorstellung fand am Abend statt. Wie sich bald herausstellte, waren auch Gefangene aus anderen Lagern anwesend.

      Ein einziges Konzert genügte, und das KriegsgefangenenOrchester unter der Leitung von Herbert Rehbein wurde in Belgrad und Umgebung zu einem Begriff. Sehr schnell folgten weitere Auftritte. Bei dem ersten Konzert hatte Rehbein auch einen Kameraden aus seiner Zeit auf Kreta wiedergetroffen, Heinz Schubert aus dem Lager Senjak in Beograd. Und es dauerte nicht lange, da traten Rehbein und seine Musiker in diesem Lager auf. Nicht ohne Folgen, wie sich herausstellte.

      Heinz Schubert hat sich einige Tage Zeit für meine Recherchen genommen. Schubert ist ein erfolgreicher Geschäftsmann in Berlin, der in seinem Leben eine renommierte Fachfirma für Medizintechnik aufgebaut hat. Wir reden über den Krieg, über die Jahre, die er als Soldat auf Kreta und später in Jugoslawien hat verbringen müssen. Schubert war Bataillonsschreiber 2a–2b gewesen. Er hatte Rehbein auf Kreta kennen gelernt. Danach trafen die beiden Männer immer wieder zusammen. Sie machten denselben Leidensweg durch. Und sie befreiten sich später gemeinsam aus dem Joch der Kriegsgefangenschaft.

      Als Rehbein und sein Kriegsgefangenen-Orchester 1946 im Lager Senjak auftraten, war Heinz Schubert gerade »hosenkrank«. Schubert war an der Sache mit der Musik sofort sehr interessiert und wollte ein eigenes Orchester gründen. Schließlich hatte er Schlagzeug gespielt und auch schon einige Texte verfasst. Doch was ihn noch mehr faszinierte, war die Möglichkeit, auf diese Weise vielleicht dem täglichen Gefangenendasein zu entkommen.

      Es dauerte nicht lange, da hatte auch Schubert einige Musiker versammelt, alles Gefangene, die sich diese Chance natürlich nicht entgehen lassen wollten. Ziko, jugoslawischer Sanitätsreferent und Dolmetscher, half mit, vermittelte bei den Vorgesetzten. Dazu kam die Versetzung von einem Mann namens Edmund Koetscher nach Senjak, der in den letzten Jahren Kapellmeister am Sender Belgrad gewesen war. Mit seiner Hilfe wurde es möglich, Instrumente zu besorgen.

      Die ersten Konzerte fanden statt, zuerst noch in Senjak, dann begann eine regelrechte Tournee durch andere Lager.

      Während sich für Schubert die Situation verbesserte, erlitten Rehbein und seine Musiker einen Rückschlag. In Pancevo hatte ein neuer Kommissar die Auflösung des Kriegsgefangenen-Orchesters veranlasst. Rehbein musste wieder im Lazarett arbeiten.

      Monate vergingen. Wie Rehbein erfuhr, war nach kurzer Zeit auch das Orchester von Schubert aufgelöst worden. Die Kommandantur in Belgrad duldete nur noch ein einziges Orchester. Es spielten Musiker aus verschiedenen Lagern mit und nannte sich offiziell »Gefangenen-Unterhaltungsorchester Belgrad«. Mehr wusste Rehbein davon nicht. Doch eines Tages

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