Die Stille im Dorf. Karl Blaser
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Читать онлайн книгу Die Stille im Dorf - Karl Blaser страница 18
Er solle langsam essen, sonst werde ihm schlecht, mahnt sie.
»Und wenn schon! Besser satt kotzen als hungrig sterben.«
»Wo ist Vater?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und Max?«
»Der steht im Stall. Das Pferd und die Katzen sind das Einzige, was deinen Vater hier auf dem Hof kümmert. Gottseidank haben wir die Polen. Wir müssen Brennholz haben, aber das ist deinem Vater egal. Der Winter dauert lange dieses Jahr.«
»Das hier nennt ihr Winter?«, ruft Micha.
Darauf weiß sie keine Antwort. Sie reicht ihm noch ein Stück Brot.
»Hitler braucht kräftige Soldaten, aber bald gibt’s keine mehr.«
»Pst! Ich will jetzt nicht über diesen Kerl reden!«
Micha lächelt sie an und streichelt ihr mit der Hand über die rote Wange.
»Du hast Recht. Es ist so schön warm hier.«
»Leg dich erst mal hin. Ruh dich aus. Du siehst so müde aus. Versuch, ein bisschen zu schlafen.«
»Schlafen …«, sagt Micha leise. »Schlafen ...«
»Ja, schlafen«, wiederholt Anna. »Schlaf heilt die Seele.«
»Ich weiß nicht, ob ich das noch kann. Gibt es Nachricht von den andern Jungs im Dorf?«
»Ich erzähl‘s dir später, das hat doch Zeit.«
»Nein«, insistiert der Sohn. »Hast du was von Karl gehört?«
»Ella, Karls Verlobte, hat vor ein paar Tagen einen Brief von ihm aus Frankreich bekommen. Im Umschlag steckte auch ein Bild von ihm. Er steht lachend, in Siegespose und mit Zigarette in der Hand, vor einem feindlichen Panzer«, erzählt Anna.
»Karl steckt an der Westfront? Er ist verlobt?«
»Karl hat Ella kennengelernt, als er beim letzten Heimaturlaub im Herbst in Cochem Wein gehamstert hat. Ella ist wirklich eine Nette! Wenn sie ihren Namen buchstabiert, dann sagt sie: Ella wie alle, nur rückwärts! Sie ist immer fröhlich und hat nette Sprüche auf Lager. Im Winter ist sie oft ins Dorf gekommen: Sie will herziehen, sobald der Krieg vorbei ist.«
»Sie will wirklich von der Mosel herziehen?«
»Ja, das hat sie vor. Warum auch nicht? Bei den beiden hat’s richtig gefunkt. Das hat sogar der einäugige Edmund erkannt.«
»Nicht zu fassen«, sagt Micha.
Er schüttelt den Kopf.
»Auf der Rückseite des Fotos hat er ein kleines Gedicht für sie geschrieben.«
»Ein Gedicht? Karl hat Ella ein Gedicht geschickt?«
Micha kommt aus dem Staunen nicht heraus. Karl, sein Freund, mit dem er die Schulbank gedrückt hat, schreibt Gedichte? Ausgerechnet Karl, der früher lieber Bäume im Wald gefällt hat oder über die Felder galoppiert ist, als über Hausaufgaben zu brüten? Dieser Karl schreibt jetzt also Liebesgedichte?
»Ja, er hat Ella ein Liebesgedicht geschrieben. Sie hat es allen vorgelesen, immer und immer wieder, sie war so stolz und glücklich. Alle Frauen kennen es inzwischen schon auswendig. Nur einer im Dorf kennt es nicht: dein Vater! Der darf nichts davon wissen!«
»Karl hat wirklich ein Gedicht geschrieben? Sagenhaft! Erzähl! Na los! Sag schon! Du kennst es doch auch!«
Anna ziert sich.
»Na mach schon! Was hat er geschrieben?«
»Du darfst es aber nicht Vater weitererzählen!«
»Ich schwöre es bei Max und allen unehelichen Katzen, die sich auf unserem verdammten Hof herumtreiben«, sagt Micha lachend.
»Also gut.« Anna räuspert sich. »Aber kein Wort davon zu Vater, hörst du?«
»Versprochen!«
»Voll Erwartung Tag für Tag,
auf des Krieges größten Schlag,
auf den Tag der Invasion
auf der Küstenstation.
Bomben fielen jede Stund,
schlugen Frankreichs Küste wund.
Feindlich war uns Schicksals Zwang.
Das war Deutschlands Untergang!«
»Stark«, staunt Micha. »Echt stark. Das ist wirklich von Karl? Recht hat er! Deutschland säuft ab! Und er ist verlobt! Ich kann’s nicht glauben! Er hat auch die Schnauze voll, wie wir alle! Da kann sein Schnappschuss vor dem feindlichen Panzer nicht drüber hinwegtäuschen. Wann ist der Brief angekommen? Vielleicht ist Karl ja schon unterwegs nach Hause!«
»Ja, vielleicht«, antwortet Anna.
»Und was ist mit Niklas?«, fragt er. »Gibt es auch Nachrichten von Niklas?«
Anna weiß nicht, was sie sagen soll.
»Er war auf Heimaturlaub. Dann ist er wieder zurück an die Ostfront«, antwortet sie.
»Zurück an die Ostfront? Welche Ostfront? Es gibt keine Ostfront mehr! Ist er denn völlig verrückt?«
»Er hat sich nicht umstimmen lassen«, erwidert Anna. »Ich erzähl dir alles später. Jetzt schlaf erst mal, du musst dich ausruhen, mein Junge. Versuch zu schlafen!«
»Schon gut«, sagt Micha.
»Ich sag Anne-Kathrin Bescheid, dass du da bist. Sie wird dir alles haarklein berichten.«
*
Micha hat Mühe, die Augen offen zu halten. Bleischwer sind seine Beine. Die warme Ofenluft in der Küche macht schläfrig. Er will sich gerade zurückziehen, als die Haustür auffliegt und Johann hereinstürzt. Er ist sichtlich erregt, zwischen seinen buschigen Brauen zeigt sich eine tiefe Zornesfalte. Als er Micha sieht, hellt sich seine Miene auf. Seine Augen leuchten, ein Lächeln überzieht sein Gesicht.
»Micha!«
Vater und Sohn fallen sich in die Arme, Johann klopft seinem Sohn auf den Rücken.
»Gut, dass du wieder da bist! Mein tapferer Junge! Wir haben uns heftig Sorgen gemacht.«
Micha löst sich aus seiner festen Umarmung, lächelt den Vater verstohlen an.
»Ich habe doch gewusst, dass du dich nicht unterkriegen lässt.«
Johann setzt sich an