Die Stille im Dorf. Karl Blaser

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Die Stille im Dorf - Karl Blaser Eifel-Saga

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      »Stimmt. Entschuldige, Micha, dass ich mit der Tür ins Haus falle. Aber ich bin so gespannt, wie es an der Front aussieht. Aus erster Hand will ich es erfahren! Die Leute hier machen immer mehr Scherereien. Es wird immer schwerer, die Befehle des Führers durchzusetzen. Die Moral der Bauern sinkt von Tag zu Tag. Sie weigern sich, mir zu gehorchen.«

      »Kein Wunder bei dem, was man so hört«, unterbricht ihn Anna.

      »Alles Feindpropaganda! Ich bin sicher, Micha wird das bestätigen! Nicht wahr, Micha? Das alles ist übelste Propaganda. Die Front steht!«

       Micha schweigt. Er schaut zur Mutter hinüber, die sich am Herd zu schaffen macht.

      »Die Bauern bereiten mir Sorgen. Die Ernte im vergangenen Herbst war gut, aber die Familien haben den größten Teil in den Wäldern versteckt. Das ist eindeutig Volkszersetzung. Das kann ich nicht durchgehen lassen!«

       Johanns Stimme bebt.

      »Ich versteh sie«, sagt Anna. »Die Menschen haben Angst, dass sie im Winter hungern müssen. Deshalb verstecken sie ihre Kartoffeln und ihre Rüben.«

       Johann macht eine unwirsche Handbewegung in ihre Richtung.

      »Dieser Weidenbach ist der Schlimmste! Ich bin ihm heute Nachmittag in den Wald nachgeschlichen und hab ihn beobachtet, wie er auf dem Steinbüchel im Fichtenwäldchen aus einer Erdgrube Runkelrüben ausgebuddelt und auf seinen wackligen Karren geworfen hat. Er hat Stroh drübergestreut, wollte seine Beute unbemerkt in die Scheuer bringen. ‚Erwischt’, hab ich gerufen und den Delinquenten zur Rede gestellt: Erst hat er nur laut gelacht, aber als ich ihm angedroht habe, ihn abholen zu lassen, hat er kalte Füße gekriegt. Er hat mir gleich die Gruben der anderen gezeigt. Unglaublich, diese Hinterlist! Ich habe alle Erdlöcher konfisziert. Gleich Morgen werden sie ausgehoben. Die Rüben werden dem deutschen Volk zurückgegeben.«

      »Mein Gott«, ruft Anna entsetzt. »Wo soll das noch hinführen, wenn …«

      »Was willst du damit sagen, Frau«, fällt Johann ihr ins Wort.

      »… wenn der Krieg zu Ende ist, meine ich: Dann hast du dir das ganze Dorf zum Feind gemacht!«

      »Ich bin Ortsbauernführer und führe Befehle aus«, erklärt Johann kurz und bündig.

      »Und der Weidenbach? Wie hat er reagiert«, will Anna wissen.

      »Der hat mich nur angeschaut, dann hat er mit dem Kopf gewackelt und ist einfach weggegangen. Dir gehen die Augen auch noch auf, hat er gesagt.«

       Anna schüttelt nur den Kopf.

      »Der Weidenbach hat recht. Wenn der Krieg aus ist, nehmen sie uns alles weg!«

      »Quatsch, Weib! Alles Quatsch! Hör auf, den Teufel an die Wand zu malen!« Johann fuchtelt ungeduldig mit der Hand. »Dieser verfluchte Weidenbach hetzt alle im Dorf gegen mich auf.«

      »Kannst du dich nicht ein bisschen zurückhalten?«, fragt Micha. »Man kann Befehle ja so oder so auslegen.«

       Aber Johann hat sich mehr und mehr in Rage geredet.

      »Vor zwei Wochen habe ich alle Bauernhöfe abgeklappert und befohlen, die Tischordnung zu ändern. Ostarbeiter gehören in den Stall! In den Stall! In den Stall! In den Stall!«, brüllt er mit sich überschlagender Stimme. »Der Weidenbach hat mich doch tatsächlich rausgeworfen. Verschwinde! Verlass sofort mein Haus, hat der Kerl gerufen.«

      »So böse habe ich deinen Vater noch nie gesehen«, staunt Anna.

       Sie stellt eine Flasche Schnaps auf den Tisch.

      »Noch bestimme ich, wer auf meinem Hof Ostarbeiter ist und wer nicht, hat er mir frech entgegengeschleudert, dieses Arschloch!«

       Vor Wut verschluckt sich Johann und bekommt einen Hustenanfall. Anna stellt ihrem Mann einen Teller mit dampfenden Kartoffeln vor die Nase, die es jetzt fast jeden Tag gibt, mal gebraten, mal gekocht, dann wieder gebraten.

      »Iss was«, sagt sie zu Johann. »Wenn du hungrig bist, rastest du aus.«

       Johann mampft und redet mit vollem Mund weiter. Anna nickt Micha hinter Johanns Rücken zu und bedeutet ihm, er solle sie alleinlassen. Micha hebt den Rucksack vom Boden auf und bewegt sich rückwärts aus der Küche. An der Tür stößt er sich den Kopf.

      »Autsch … Wo ist Margarete? Wie geht es ihr?«

      »Liegt sicher noch im Bett. Sie hat ständig Kopfschmerzen«, antwortet Anna.

      »Geh jetzt, ruh dich aus. Margarete läuft dir nicht weg.«

       Er steigt die Treppe hoch in sein Zimmer. Wie warm die Kammer ist! Im Ofen lodert das Feuer, daneben liegt trockenes Holz. Mutter hat wirklich fest geglaubt, dass ich wiederkomme, sie hat auf mich gewartet, denkt er, als er sich auf das Bett fallen lässt. Sie hat den Ofen befeuert, damit es im Zimmer warm ist, wenn ich heimkomme, obwohl sie nicht wusste, wann das sein würde.

       Micha streift die verdreckte Uniform ab, reißt sich das Oberhemd, seine Unterhose, seine stinkenden Socken vom Leib, kriecht unter das wärmende Federbett. Es duftet nach Lindenblüten, die seine Mutter im Spätsommer zum Trocknen auf den Speicher legt. Micha döst ein, Tausende von Bienen summen in seinem Schädel wie in der Kastanie draußen im Hof, wenn es Sommer ist. Er zieht sich die Decke über den Kopf. Ob die Öfen in den Stuben der anderen Kameraden im Dorf auch brennen diese Nacht? Micha versucht einzuschlafen.

       Es ist still.

       So still.

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