Die Entführung der MS Hansa Stavanger. Frederik Euskirchen
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Читать онлайн книгу Die Entführung der MS Hansa Stavanger - Frederik Euskirchen страница 14
Der Kapitän verneint. Ich lasse nicht locker und sage, dass wir das schaffen können, davon bin ich überzeugt, auch wenn es nicht einfach wird, zu organisieren und immer eine Restgefahr da sein wird, aber der Moment ist günstig. Der Kapitän redet jetzt sehr ruhig mit mir und meint, ich soll mich entspannen, ich möchte das nicht wirklich. Zwar bin ich enttäuscht, aber ich akzeptiere aus zwei Gründen. Erstens hat es keinen Sinn, wenn nicht alle mitziehen und zweitens ist er in diesem Moment der Kapitän, den ich kenne und den ich auch vor mir haben möchte. Ein ruhiger und bedachter Vorgesetzter.
Ich denke, an dieser Entscheidung gibt es nichts zu rütteln, es war der sicherste Weg für die Mannschaft.
In dieser Nacht schlafe ich kurz, alle liegen auf dem Boden verteilt, erschöpft von dem langen, stressigen Tag. Nach vier Uhr morgens, meinem Wachende, legen Longo, mein Wachmatrose und ich uns dann auch endlich hin.
Am nächsten Morgen werde ich von einem Piraten geweckt - zu früh. Er hat mein Handy in der Hand - wie geht es an und wie kann er es benutzen? Das sind seine Fragen … und ich frage mich, wie ich ihm die SIM-Lock-Funktion erklären kann. Ich sage einfach, es ist kaputt vom Wasser. Er versteht nicht ganz, ich bin etwas gereizt und sage auf Deutsch: “Ja, Wasser, weil ihr uns in Brand geschossen habt!” “Broken?” antwortet er. Endlich begreift er, glaube ich … seitdem kam fast jeden Tag ein anderer Pirat, bis man mir das Telefon nach einem Monat zurückgab - völlig entnervt.
Nun bin ich wieder wach, als einer der Letzten.
Es geht weiter mit dem Aufräumen. Die Brandwachen während der Nacht waren zum Glück ergebnislos. Wir beginnen, Teile der abgebrannten Kammern auszuräumen und machen damit weiter, den Wasserschaden einzudämmen. Vlad hat das Schiff in eine leichte Schräglage gebracht, sodass wir das Löschwasser besser entfernen können.
Während wir das tun und bevor weitere Piraten an Bord kommen, möchte ich Ihnen die fünf in traditionelle Wickelröcke gekleideten Seeräuber vorstellen, welche uns gekapert haben.
Der Anführer ist Tarik, oder auch Somali-Captain genannt. Er ist der Anführer der fünfköpfigen Gruppe, die uns angegriffen und gekapert hat, womit die Hansa Stavanger auch “sein” Schiff wurde, wodurch er, nach dem “Commander” der Piraten, auch bedeutenden Einfluss auf die Lösegeldforderung hat, dazu später mehr.
Tarik ist 21 Jahre alt. Ein Alter in dem viele jungen Menschen bei uns in Deutschland gerade mit dem Berufsleben anfangen und erwachsen werden. Tarik jedoch scheint schon lange im wirklichen Leben zu stehen. Ich habe noch nie einen so abgebrüht wirkenden jungen Menschen gesehen. Mögen es seine klaren Gesichtszüge sein, weswegen ihn der Kapitän immer als “sehr hübscher Junge” bezeichnet. Oder die Art, wie er jemanden anschaute. Er wirkte unheimlich streng, wie jemand, der seine Prinzipien hat, welche aber nur auf ihn selber zugeschnitten sind. Andere scheinen ihm gleichgültig zu sein. Ich bezweifle, dass er lange überlegen würde, jemanden für ein Stück Brot zu töten. Ein Jugendlicher ist das nicht, ich zweifle auch stark daran, ob er jemals so etwas wie eine Kindheit oder Jugend hatte. Leider habe ich nicht viel über ihn erfahren können. Zwar holt er mich im Verlauf der Haft einmal zu sich, auf Tee und Zigaretten, aber er spricht kein Wort Englisch und die anderen Piraten sprechen ungern über ihre Kollegen.
In meiner Vorstellung ist er das typische Waisenkind eines Dritte-Welt-Landes, das ausgesetzt wurde und nichts hat, außer seinem angeborenen Überlebenswillen. In meiner Welt, zu Hause, würde mir so ein Leben leidtun, jetzt tun mir die leid, die in seine Hände geraten.
Ich glaube, dass es vor allem der Eindruck von Tarik war, der mich dazu bewogen hat, an eine eigene, gewaltsame Lösung zu denken.
Auf keinen Fall wollte ich in die Hände solcher Leute fallen, wie Tarik oder seinen Vertreter, der keinen Deut besser zu sein schien.
Ich spreche von Hamud. Er ist älter als Tarik, vielleicht um die 25 Jahre, wirkt für einen Somali relativ muskulös und wirkt genau wie Tarik schon sehr abgebrüht. Hamud ist eher der Aktionist, er bewegt sich auch immer sehr hektisch, schreit gern mal rum und ist auch schnell mit der Waffe, wie sich später rausstellen wird.
Er war es auch, der nach Erreichen der Brücke bei der Kaperung die Anweisungen gab, uns nach Waffen durchsuchte, als wir zum Feuer gingen, uns dort regelmäßig kontrollierte und schließlich ist er es, der die restlichen Piraten während der Überfahrt nach Somalia auf ihre Wachposten verteilt.
Zunächst denken wir, Hamud sei der Anführer, so aktiv war er. Aber als Tarik letztendlich sagt: “Me boss!” wird mir bewusst, dass sie auf eine seltsame Art und Weise tatsächlich das typische Kapitän - Erster Offizier Verhältnis widerspiegeln.
Abdullah ist eine Art Unteroffizier in der Gruppe. Er hat, nach eigenen Angaben, die Granaten auf uns abgefeuert. Er ist zunächst sehr ruhig, ich nehme ihn kaum wahr. Erst nach vielleicht zwei Monaten, von welchen er auch einige Zeit nicht mehr an Bord verbringt, kann ich mit ihm in Kontakt kommen.
Abduallah ist 27 Jahre alt und wohnt in Mogadishu. Das sagt er immer wieder, woraufhin er sich krüppelhaft bewegt und “Karate!” sagt. Manchmal benutzt er auch sein Lieblingsspielzeug dazu, einen Schraubenzieher. Er macht das nicht, um uns einzuschüchtern, ich glaub er will es einfach zeigen. Oft sitzt er auch bei einem und wiederholt immer wieder: “No problem!” Generell erlebe ich ihn, nachdem er dann einmal aufgetaut ist, als recht besonnen und fast schon freundlich. Das gilt für viele der somalischen Piraten, aber bis wir in unserer Haft dieses Verhältnis aufbauen können, dass die Piraten sich uns so zeigen, vergeht eine lange, mühsame Zeit.
Asman und Masa- al Abdallah sind die beiden Letzten im Bunde, in der Piratenhierarchie scheinen es Soldaten, vergleichbar mit Mannschaftsdienstgrad zu sein. Sie sind vom ersten Tag an nicht sonderlich aggressiv. Als ich kurz nach der Kaperung auf der Brücke stand und darauf wartete, zum Feuer gehen zu können, hat Masa meine Mütze aufgezogen. Als er meinen Blick sah, glaube ich, wusste er, dass es meine ist.
Daraufhin will er sie mir wiedergeben. Kann er behalten.
Mit ihm unterhalte ich mich schon kurz nach der Entführung, z. B. auf dem Weg nach Barawe. Er spricht ein wenig Englisch und versucht mir klarzumachen, dass kein Grund zur Sorge besteht.
Genau wie Asman, mit dem ich mich auch im späteren Verlauf der Geiselhaft recht gut verstehe. Da sie beide zum Kaperteam gehören, haben sie einen höheren Anspruch auf das Geld. An Bord findet ihr Wort außerdem etwas mehr Gehör bei ihrem Chef - damit wird das gute Verhältnis irgendwann nützlich für uns.
Asman kommt in den letzten Wochen der Haft regelmäßig zu mir, bringt mal ein großes Glas Milch mit oder etwas von den somalischen Bohnen und meint, dass alles ok sein wird. Auch für die Mannschaft sind die Worte gut. Seitdem ich ihn einmal gebeten habe, das mal nicht nur mir zu erzählen, blüht er regelmäßig darin auf, unseren Jungs zu sagen, dass niemals ein somalischer Pirat eine Geisel töten würde, nur Geld wollten sie und mehr nicht. Damit wird er zwar nicht unser Freund, aber immer wieder eine gern gesehene Aufmunterung.
Zum Ende hin verspricht er mir sogar 500 Dollar vom Lösegeld, auf die warte ich aber leider bis heute noch.
Bis wir allerdings auf diesem Niveau mit unseren Wärtern umgehen können, dauert es noch einiges. Jetzt beginnt an